Luftaufnahme vom teilweise zerstörten Ort Schuld in Nordrhein-Westfalen
APA/dpa/TNN/Christoph Reichwein
Verheerende Unwetter

Tote und Dutzende Vermisste in Deutschland

Infolge des Hochwassers in Teilen Deutschlands sind weiter Dutzende Menschen vermisst, die Zahl der Todesopfer steigt. Laut Medienberichten sollen bereits 20 Menschen gestorben sein. Unterdessen steigen die Pegelstände weiter.

Im Kreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz kamen vier Menschen ums Leben, zwei Feuerwehrleute starben bei Einsätzen in Nordrhein-Westfalen, in Köln wurden zwei Personen tot in ihren überfluteten Kellern gefunden, sagten die örtlichen Polizeibehörden. Laut „Bild“ gibt es drei weitere Tote in Solingen und Rheinbach. Im Kreis Euskirchen im Süden von Nordrhein-Westfalen kamen nach ersten Erkenntnissen der Behörden mehrere Menschen ums Leben.

„Derzeit sind uns acht Todesfälle bekannt“, hieß es am Donnerstag auf der Facebook-Seite des Kreises. Genauere Angaben – etwa weshalb die Menschen im Zusammenhang mit dem Unwetter starben – machte der Kreis nicht. In mehreren Orten sei die Lage sehr kritisch. „Es finden Menschenrettungen statt“, hieß es weiter. Teilweise bestehe kein Zugang zu den Orten. Im Kreisgebiet sei die Kommunikation weitgehend ausgefallen. Auch der Feuerwehrnotruf 112 und die Kreisverwaltung seien nicht zu erreichen. Wegen der Verbindungsprobleme könne der Kreis derzeit nur unregelmäßig informieren.

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Eine Überschwemmte Kleinstadt in Deutschland
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Im Westen Deutschlands stehen ganze Ortschaften unter Wasser. Hier die Gemeinde Insul am Fluss Ahr.
Ein Teil eines Hauses wurde vom Wasser weg gerissen
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Ein Teil eines Hauses in Hagen wurde vom Wasser weggerissen
Feuerwehrleue versuchen jemanden aus einem Haus zu retten
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Feuerwehrleute versuchen in Trier, Personen aus einem Haus zu retten
Eingestürztes Haus in Schuld in Nordrhein-Westfalen
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Eingestürztes Haus in Schuld in Rheinland-Pfalz
Weggespülte Straße in Schuld
Reuters/Wolfgang Rattay
Die Straße im Ort Schuld wurde weggespült
Luftaufnahme vom teilweise zerstörten Ort Schuld in Nordrhein-Westfalen
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Luftaufnahme vom teilweise zerstörten Ort Schuld
Überfluteter Rhein in Köln
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Der Rhein bei Köln
Die Kyll ist in Erdorf in Rheinland-Pfalz über die Ufer getreten und hat Teile des Dorfes geflutet.
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Durch die Unwetter traten Flüsse über die Ufer
Ein Auto ist in Hagen in Nordrhein-Westfalen vom Schutt bedeckt
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Ein Auto wurde von Schutt bedeckt, den ein über die Ufer getretener Fluss mitführte
Deutsche Soldaten bei den Aufräumarbeiten
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Feuerwehr und Polizei erhielten Unterstützung von Mitgliedern der deutschen Bundeswehr
Bergepanzer
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Soldatinnen und Soldaten sind mit Bergepanzern und anderem Gerät im Einsatz
Der Ort Altena ist überflutet
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Der Ort Altena in Nordrhein-Westfalen ist überflutet

Bis zu 148 Liter Regen pro Quadratmeter

Wegen Starkregens steigen neben der besonders betroffenen Eifel an Rhein, Mosel und kleineren Flüssen im Westen Deutschlands die Pegelstände. In Nordrhein-Westfalen blieb die Lage nach dem Dauerregen angespannt. Nach dem Abklingen der Starkregens kämpfen Feuerwehr und andere Einsatzkräfte an vielen Orten mit einer sich verschärfenden Hochwasserlage.

Bei den Unwettern im Norden von Rheinland-Pfalz fielen bis zu 148 Liter Regen pro Quadratmeter. Diese Menge ging im Laufe des Mittwochs und in der Nacht nieder, wie das dortige Klimaschutzministerium in Mainz mitteilte. Für den Hochsommer sei das „ein neues Phänomen“, sagte Ministerin Anne Spiegel (Grüne). „Die aktuellen Extremwetterereignisse in Form von Starkregen sind dramatisch.“ Aus kleinen Bächen seien unberechenbare Fluten geworden. Am stärksten betroffen seien die Bezirke Ahrweiler, Bitburg-Prüm, Vulkaneifel und Trier-Saarburg.

Teile des Rheins für Schifffahrt gesperrt

Auch an der Mosel verschärft sich die Lage nach Angaben des Ministeriums. Zurzeit werde am Pegel Trier ein Wasserstand von bis zu 9,15 Metern erwartet. Am Oberrhein bilde sich am Pegel Maxau ein erster Hochwasserscheitel aus. Nach kurzem, leichtem Rückgang seien wegen der für den Südwesten vorhergesagten Niederschläge ab Donnerstagabend wieder steigende Wasserstände zu erwarten.

Teile des Rheins in Süddeutschland wurden für die Schifffahrt gesperrt. In der Region um Maxau und Iffezheim sei der Schiffsverkehr eingestellt worden, teilte das Wasser- und Schifffahrtsamt mit. Die Sperre werde voraussichtlich bis zum Wochenende anhalten. Weiter nördlich sei der Rhein weiterhin befahrbar.

Katastrophenfall in Ahrweiler ausgerufen

Die Polizei in Trier rief die Menschen eindringlich dazu auf, den Stadtteil Ehrang wegen Überflutungen zu meiden. Es bestehe Lebensgefahr, warnte die Polizei am Donnerstag auf Twitter. Nach Angaben der Stadt Trier läuft aktuell der Ortskern von Ehrang voll. „In großen Teilen des Ortes gibt es keinen Strom. Bitte folgen Sie den Evakuierungsdurchsagen“, schrieb die Stadtverwaltung.

In Ahrweiler wurde der Katastrophenfall ausgerufen. Nach Angaben der Polizei waren mehrere Orte wegen Hochwassers von der Außenwelt abgeschnitten. Dutzende Menschen sollen laut den Behörden vermisst sein. Der zuständige Landrat Jürgen Pföhler rief die Menschen auf, möglichst zu Hause zu bleiben und „sich gegebenenfalls in höher gelegene Stockwerke“ zu begeben. „Die Lage ist sehr ernst“, sagte er. Es bestehe Lebensgefahr.

Schaulustige behindern Rettungseinsatz in Schuld

Wie der SWR Donnerstagfrüh berichtete, seien in der 750-Einwohner-Gemeinde Schuld bei Adenau in der Eifel nach starken Unwettern sechs Häuser eingestürzt. 25 weitere sollen einsturzgefährdet sein. Die Lage in Schuld sei unübersichtlich, zitierte der SWR einen Sprecher der Polizei in Koblenz. Derzeit würden knapp 70 Menschen vermisst. „Sehr viele“ Menschen – hier war die Rede von rund 50 – befänden sich auch auf Hausdächern, die Rettungseinsätze liefen auf Hochtouren.

Schaulustige behinderten nach Angaben der Polizei den Rettungseinsatz in Schuld. „Bitte haltet die Rettungswege frei!!!!!“, schrieb das Polizeipräsidium Koblenz am Donnerstag auf Twitter. Die Beamten riefen auch dazu auf, Straßensperren zu beachten und in Sicherheit zu bleiben. In überfluteten Gebieten seien die Gefahren unkalkulierbar.

Bundeswehr im Einsatz

Auch im Eifelkreis Bitburg-Prüm ist die Situation wegen Hochwassers nach Angaben eines Sprechers extrem gefährlich. In Messerich in der Eifel wurden nach den Angaben zwei Helfer des Technischen Hilfswerks von den Fluten eingeschlossen, es bestehe Lebensgefahr, wie der SWR berichtete. Auf dem Campingplatz „Stahlhütte“ in Dorsel im Kreis Ahrweiler und weiteren Anlagen entlang der Ahr mussten Personen von den Dächern ihrer Campingwagen gerettet werden.

Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) kündigte schnelle Unterstützung durch die deutsche Bundeswehr an."Die Bundeswehr hilft schnell und unkompliziert in Hagen und Ahrweiler mit derzeit 300 Soldatinnen und Soldaten."

Krankenhaus in Eschweiler evakuiert

Im Kreis Euskirchen drohte in der Nacht auf Donnerstag der Damm der Steinbachtalsperre zu brechen. Kritisch war die Lage zeitweise auch an der Bevertalsperre und der Wuppertalsperre. Dort konnte das Wasser aber kontrolliert abfließen, wie die Feuerwehr mitteilte.

Infolge des Starkregens fiel in Eschweiler bei Aachen am Donnerstag die Trinkwasserversorgung aus. Es sei eine Wasserleitung gebrochen, die die Innenstadt versorge, teilte die Städteregion Aachen mit. Die Einwohner von Eschweiler sollten auf unnötigen Wasserverbrauch durch Duschen oder Toilettenspülungen verzichten. Das ebenfalls betroffene Krankenhaus mit derzeit rund 400 Patienten und Patientinnen werde im Laufe des Tages geräumt.

130 Menschen in Solingen gerettet

Die Einsatzkräfte in Solingen hätten in den vergangenen Stunden etwa 130 Menschen im Stadtgebiet aus akuter Not vor dem Hochwasser gerettet, sagte ein Sprecher der Feuerwehr Donnerstagmittag. „Wir haben die Menschen über Drehleitern, Boote, Bojen herausgeholt. Es war alles improvisiert.“ In zwei Situationen hätten sich Einsatzkräfte zudem auf Tanklöschfahrzeugen in Sicherheit bringen müssen. Die Einsatzkräfte sprachen nach den starken Regenfällen in Solingen nach Angaben eines Stadtsprechers von einem „Jahrhunderthochwasser“.

Großflächige Strom- und Bahnausfälle

Vielerorts mussten Menschen vor den Fluten in Sicherheit gebracht werden. Es gab auch großflächige Stromausfälle. Eine Sprecherin des Netzbetreibers Westnetz berichtete am Donnerstagvormittag, rund 200.000 Haushalte seien ohne Strom, weil Umspannwerke und andere Anlagen überflutet seien und abgeschaltet werden mussten. Betroffen seien vor allem das Bergische Land und die Eifel.

Auch der Bahnverkehr ist durch die Überflutungen und den Dauerregen stark beeinträchtigt. Die Deutsche Bahn rief dazu auf, Fahrten von und nach Nordrhein-Westfalen nach Möglichkeit zu verschieben. Aufgrund von Streckensperren fahren zahlreiche S-Bahn- und Regionallinien nicht oder nur eingeschränkt, wie die Deutsche Bahn mitteilte. Auch auf den Autobahnen gibt es erhebliche Wetterfolgen.

Merkel erschüttert, Laschet verspricht Hilfe

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich erschüttert zu den Überschwemmungen und dankte den Helfern. „Ich bin erschüttert über die Katastrophe, die so viele Menschen in den Hochwasser​gebieten durchleiden müssen“, sagte Merkel laut einem Tweet von Regierungssprecher Steffen Seibert am Donnerstag. „Mein Mitgefühl gilt den Angehörigen der Toten und Vermissten. Den vielen unermüdlichen Helfern und Einsatzkräften danke ich von Herzen.“ Merkel hält sich derzeit zu ihrem wohl letzten USA-Besuch als Kanzlerin in Washington auf.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident, CDU-Chef und -Kanzlerkandidat Armin Laschet versprach den Opfern und den betroffenen Kommunen rasche Hilfe. Ein genaues Lagebild der Flutkatastrophe in den Landesteilen gebe es noch nicht, sagte Laschet am Donnerstag in der besonders von den Unwettern betroffenen Stadt Hagen. Die Höhe der notwendigen Hilfen könne er noch nicht genau beziffern. Als Konsequenz forderte Laschet eine schnellere Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen. Die Häufung von Starkregen- und Hitzeepisoden sei „verbunden mit dem Klimawandel“, so Laschet.

Hochwasser auch in Niederlanden

Wegen starken Hochwassers wurden auch in der niederländischen Provinz Limburg Dutzende Menschen in Sicherheit gebracht. Sie wurden in Sporthallen und Hotels untergebracht. Auch Campingplätze wurden geräumt, wie Behörden am Donnerstag mitteilten. In Valkenburg nahe Maastricht strömt das Wasser durch die Straßen. Keller, Wohnungen und Geschäftsräume sind vollgelaufen. Hunderte von Haushalten haben keinen Strom. Vielerorts ist auch die Armee im Einsatz, um Häuser zu schützen. Straßen und Teile von Autobahnen wurden gesperrt, auch der Zugsverkehr ist nach Behördenangaben eingeschränkt.

Zwei Tote in Belgien

In Belgien kamen Medienberichten zufolge zwei Menschen im Zusammenhang mit Starkregen in der Provinz Lüttich ums Leben. Das berichtete der öffentlich-rechtliche Sender RTBF Donnerstagfrüh unter Berufung auf die Gouverneurin der Provinz, Catherine Delcourt. Die Umstände seien noch unklar. Laut Berichten kam einer der Menschen in Aywaille ums Leben, rund 40 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt.

Zudem starb laut „Grenzecho“ im belgischen Eupen in der Nähe von Aachen ein 22-Jähriger. „Wie von offizieller Seite bestätigt wurde, ist der junge Mann im Eupener Ortsteil Nispert mit einem Schwimmreifen in den reißenden Stadtbach gesprungen und wurde seitdem vermisst“, heißt es in dem Bericht. Rettungskräfte hätten seine Leiche gefunden.