Kriminalreporter Peter R. de Vries
APA/AFP/Remko de Waal
Niederlande

Reporter de Vries stirbt nach Anschlag

Der prominente niederländische Kriminalreporter Peter R. de Vries ist tot. Der 64-Jährige war Anfang Juli bei einem Anschlag mitten in Amsterdam schwer verletzt worden. Nun erlag er seinen Verletzungen, wie die Familie am Donnerstag mitteilte. Der Anschlag auf de Vries hatte europaweit für Entsetzen gesorgt.

Die Tat gilt auch als Anschlag auf die freie Berichterstattung. „Peter kämpfte bis zum Ende, aber er konnte den Kampf nicht gewinnen. Er starb umgeben von Menschen, die ihn liebten“, sagte seine Familie in einem Statement gegenüber dem TV-Sender RTL.

De Vries galt als führender Kriminalreporter der Niederlande und trat regelmäßig auch als Sprecher von Opfern und Zeugen bei Prozessen auf. Regelmäßig war er auch Gast bei TV-Talkshows. Er hatte sich in den vergangenen Jahren als Investigativjournalist im Milieu der organisierten Kriminalität profiliert.

Gedenktafel für Peter R. de Vries
APA/AFP/Jeroen Jumelet
Gedenken an den ermordeten Journalisten in Amsterdam und ein Zeichen für die Pressefreiheit

Tatverdächtige in U-Haft

Die Ermittlungen zu dem Mordanschlag laufen auf Hochtouren. Zwei Männer sind in Untersuchungshaft. Sie waren wenige Stunden nach dem Anschlag auf der Autobahn etwa 60 Kilometer von Amsterdam entfernt festgenommen worden. Aufgrund von Zeugenaussagen und Kamerabildern konnten sie schnell ausfindig gemacht werden.

Bei den dringend Tatverdächtigen handelt es sich um einen 35-jährigen Mann mit polnischer Staatsbürgerschaft aus dem Ort Maurik im Südosten des Landes und einen 21-Jährigen aus Rotterdam. Dieser soll aus nächster Nähe fünf Schüsse auf de Vries abgefeuert haben. Medienberichten zufolge ist der Rotterdamer mehrfach vorbestraft. Auch der Verdächtige aus Polen soll mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten sein.

Bei Hausdurchsuchungen in den Städten Rotterdam und Maurik sowie in der Gemeinde Tiel wurden laut Polizei verschiedene Datenträger und Munition sichergestellt.

Mögliche Verbindung zu organisierter Kriminalität

Niederländische Medien brachten die Tat mit einer international agierenden Drogenbande in Verbindung. Die Ermittlungen konzentrierten sich auf das Umfeld des berüchtigten Bandenführers Ridouan Taghi, berichteten Medien unter Berufung auf Polizeiquellen. De Vries war Vertrauensperson des Kronzeugen im großen Prozess gegen die Bande von Taghi wegen Drogenhandels und Auftragsmorden. 2019 waren bereits der Bruder des Kronzeugen und sein Verteidiger ermordet worden.

Die Staatsanwaltschaft nannte die kriminelle Vereinigung „eine gut geölte Tötungsmaschine“. Die Bande um den mutmaßlichen Kopf Taghi hatte es schon länger auf jene abgesehen, die über sie berichteten. 2016 wurde der ehemalige Kriminelle und Kriminalblogger Martin Kok erschossen. Er hatte über Taghi geschrieben. Zudem soll Taghi – derzeit in einem Hochsicherheitsgefängnis im Süden des Landes inhaftiert – hinter mehreren Anschlägen auf Medien stecken.

Anschlag auf offener Straße

Der Mordanschlag vom 6. Juli ereignete sich, unmittelbar nachdem der Reporter gegen 19.30 Uhr ein TV-Studio am Leidseplein im Zentrum von Amsterdam verlassen hatte – er war dort in einer Talkshow aufgetreten. Augenzeugen sagten dem Fernsehsender NOS, sie hätten fünf Schüsse gehört. Die Polizei teilte später mit, de Vries sei mit einem Kopfschuss ins Spital gebracht worden.

Eine Anrainerin berichtete der Tageszeitung „Het Parool“, sie sei auf die Straße gegangen, als sie die Schüsse hörte. Dort habe sie de Vries mit blutüberströmtem Gesicht auf dem Boden liegen sehen. Der Journalist habe nicht mehr sprechen können, sei aber noch am Leben gewesen. Bis zum Eintreffen der Rettungskräfte habe sie seine Hand gehalten.

Drohungen gegen TV-Sender

Nur wenige Tage nach dem Anschlag wurde wegen Drohungen aus Sicherheitsgründen eine Fernsehsendung abgesagt, das Studio wurde geräumt. Ein Behördensprecher erklärte, es sei eine ernstzunehmende Drohung gegen die Sendung eingegangen. Justizminister Ferd Grapperhaus sagte, es seien „sichtbare und auch unsichtbare Maßnahmen“ ergriffen worden.

Sicherung des RTL-Studios in Amsterdam durch EInsatzkräfte
APA/AFP/Evert Elzinga
Nach Drohungen wurde das RTL-Studio in den Niederlanden evakuiert

Der mit de Vries befreundete Rechtsanwalt Peter C. Schouten schrieb in einer Reaktion auf Twitter: „Vielleicht wird es Zeit, Einheiten der Armee oder der Königlichen Gendarmerie einzusetzen, um Medienunternehmen vor Psychoterror zu schützen.“ Der Anwalt steht in einem großangelegten Prozess gegen eine Drogenbande dem Kronzeugen bei, den de Vries bisher als Vertrauensperson beriet.

Entsetzen nach Anschlag

Der Mordanschlag auf den prominenten Kriminalreporter sorgte in Europa für Entsetzen. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte und der deutsche Außenminister Heiko Maas sprachen von einem „Anschlag auf den freien Journalismus“ und „auf die Demokratie“. Das niederländische Königspaar reagierte „tief schockiert“.

EU-Ratspräsident Charles Michel verurteilte den Anschlag scharf. Michel sprach im Europaparlament in Straßburg von einem „Angriff auf unsere Grundwerte“ und drückte seine Solidarität mit den Angehörigen und den Niederlanden aus. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte im Plenum, ihre Gedanken und Solidarität seien bei dem Journalisten.

Empört zeigte sich auch die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF). „Es ist erschreckend, wie die Gewalt gegen Medienschaffende zunehmend steigt und die Unterdrückungsmethoden immer brutaler werden“, wurde RSF-Österreich-Präsidentin Rubina Möhring in einer Aussendung zitiert.