Autos unter Wasser
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Hochwasserkatastrophe

Über 80 Tote in Deutschland

In Deutschland ist die Zahl der Todesopfer nach den schweren Unwettern bis Freitag laut Medienberichten auf zumindest 81 gestiegen. Zahlreiche Menschen werden immer noch vermisst, Orte sind von der Außenwelt abgeschnitten, die wirtschaftlichen Schäden enorm. Dramatisch ist die Lage auch in den Niederlanden und in Belgien.

In der Eifel in den beiden westdeutschen Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gilt in mehreren Kreisen Katastrophenalarm. Strom- und Telekommunikationsverbindungen wurden beschädigt und sind unterbrochen – auch darauf führen die Behörden die noch immer zahlreichen Vermisstenfälle zurück. Mit Stand Donnerstagabend war die Zahl der Todesopfer mit mindstens 59 angegeben worden.

Der Ort Schuld ist von Treibgut überschwemmt
APA/AFP/Bernd Lauter
Die Aufräumarbeiten machen erst das Ausmaß der Katastrophe sichtbar.

Im besonders stark betroffenen Kreis Bad Neuenahr-Ahrweiler im nördlichen Rheinland-Pfalz wurden laut Landesinnenminister Roger Lewentz (SPD) zuletzt neun weitere Leichen geborgen. Bei ihnen handelte es sich offenbar um Bewohner einer Behinderteneinrichtung. Die Menschen hätten sich nicht retten können, als der Pegel der Ahr in der Vornacht dramatisch anstieg. Bei den Unwettern im Norden von Rheinland-Pfalz fielen bis zu 148 Liter Regen pro Quadratmeter.

Orte nicht erreichbar

Das Ahrtal galt als von der Außenwelt abgeschnitten. Die Gegend sei über keine Zufahrtsstraße mehr zu erreichen, teilte die Polizei mit. Es gab zudem noch eine große Zahl vermisster Menschen. Aus Sicht der Polizei würden in Rheinland-Pfalz knapp unter 100 Menschen vermisst, sagte Lewentz am Freitag dem Deutschlandfunk. Die Zahl der als vermisst geltenden Menschen in Bad Neuenahr-Ahrweiler wurde zuvor von der Kreisverwaltung am Donnerstagabend mit rund 1.300 angegeben.

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Eine Überschwemmte Kleinstadt in Deutschland
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Im Westen Deutschlands stehen ganze Ortschaften unter Wasser. Hier die Gemeinde Insul am Fluss Ahr.
Ein Teil eines Hauses wurde vom Wasser weg gerissen
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Ein Teil eines Hauses in Hagen wurde vom Wasser weggerissen
Feuerwehrleue versuchen jemanden aus einem Haus zu retten
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Feuerwehrleute versuchen in Trier, Personen aus einem Haus zu retten
Eingestürztes Haus in Schuld in Nordrhein-Westfalen
Reuters/Wolfgang Rattay
Eingestürztes Haus in Schuld in Rheinland-Pfalz
Weggespülte Straße in Schuld
Reuters/Wolfgang Rattay
Die Straße im Ort Schuld wurde weggespült
Luftaufnahme vom teilweise zerstörten Ort Schuld in Nordrhein-Westfalen
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Luftaufnahme vom teilweise zerstörten Ort Schuld
Überfluteter Rhein in Köln
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Der Rhein bei Köln
Die Kyll ist in Erdorf in Rheinland-Pfalz über die Ufer getreten und hat Teile des Dorfes geflutet.
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Durch die Unwetter traten Flüsse über die Ufer
Ein Auto ist in Hagen in Nordrhein-Westfalen vom Schutt bedeckt
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Ein Auto wurde von Schutt bedeckt, den ein über die Ufer getretener Fluss mitführte
Deutsche Soldaten bei den Aufräumarbeiten
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Feuerwehr und Polizei erhielten Unterstützung von Mitgliedern der deutschen Bundeswehr
Bergepanzer
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Soldatinnen und Soldaten sind mit Bergepanzern und anderem Gerät im Einsatz
Der Ort Altena ist überflutet
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Der Ort Altena in Nordrhein-Westfalen ist überflutet

Die hohe Zahl hing aber offenbar damit zusammen, dass viele Menschen telefonisch nicht erreichbar waren. Stark getroffen wurde auch der Kreis Euskirchen in Nordrhein-Westfalen. Dort kamen nach Angaben der Polizei vom Donnerstagabend mindestens 20 Menschen ums Leben.

Bahnverkehr steht weitgehend still

Der Zugsverkehr in den beiden deutschen Bundesländern ist wegen der Überflutungen weiterhin sehr stark beeinträchtigt. Zahlreiche Strecken seien komplett gesperrt oder nur eingeschränkt befahrbar, teilte die Deutsche Bahn am Freitag in Düsseldorf mit."

„Die Wassermassen haben Gleise, Weichen Signaltechnik, Bahnhöfe und Stellwerke in vielen Landesteilen von NRW und Rheinland-Pfalz stark beschädigt“, hieß es. Allein in Nordrhein-Westfalen seien Gleise auf einer Länge von rund 600 Kilometern betroffen. Im ganzen Katastrophengebiet waren am Freitag rund 165.000 Menschen von der Stromversorgung abgeschnitten.

Bund und Länder versprechen rasche Hilfe

Nach der Hochwasserkatastrophe wollen Bund und Länder rasch helfen, um die immensen Zerstörungen zu beseitigen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versprach den Betroffenen Hilfen, das nordrhein-westfälische Landeskabinett berät an diesem Freitag in einer Sondersitzung darüber. Rheinland-Pfalz hat bereits als kurzfristige Unterstützung 50 Millionen Euro bereitgestellt, um etwa Schäden an Straßen, Brücken und anderen Bauwerken zu beheben.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) kündigte schnelle Hilfe an. Das müsse sofort und unbürokratisch geschehen, sagte sie am Freitag. „Bund und Länder müssen schnell eine Lösung finden, wie den Betroffenen dort in den Regionen geholfen werden kann.“

Die Bundeswehr soll der Hilfe nach der Unwetterkatastrophe Vorrang vor anderen Aufgaben geben. „Jetzt kommt es darauf an, geeignetes Material aus der ganzen Republik bereitzustellen“, sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Alle anderen Aufträge, die nicht unmittelbar mit den Auslandseinsätzen verbunden sind, sollten hintangestellt werden.

Viel schlimmer als „Jahrhunderthochwasser“ 2002

Die Unwetterkatastrophe ist die schlimmste der Nachkriegszeit in Deutschland. Obwohl die Rettungs- und Bergungsmaßnahmen noch laufen, liegt die Zahl der Toten bereits mehr als doppelt so hoch wie beim „Jahrhunderthochwasser“ des Jahres 2002, bei dem in Deutschland 21 Menschen starben.

Das ganze Ausmaß der Schäden war weiterhin nicht überschaubar. In Nordrhein-Westfalen lief am Donnerstagabend um kurz vor Mitternacht die Rurtalsperre über, wie der Wasserverband Eifel-Rur (WVER) mitteilte. Deshalb war mit weiteren Überschwemmungen am Unterlauf der Rur zu rechnen.

In Erftstadt südlich von Köln stürzten mehrere Häuser ein. Nach Angaben der Kölner Bezirksregierung wurden die Gebäude im Ortsteil Blessem stark unterspült und seien daher eingebrochen, es werden mehrere Todesopfer befürchtet. Aus den Häusern gebe es außerdem immer wieder Notrufe, da Personen trotz Warnung zurück ins Schadensgebiet gekehrt seien oder es nicht verlassen hätten.

Schaltung ins Katastrophengebiet

ORF-Korrespondentin Verena Gleitsmann meldete sich in der ZIB2 aus dem von den katastrophalen Unwettern betroffenen Swisttal in Nordrhein-Westfalen.

Kritische Lage auch in Belgien und Niederlanden

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) begann mit der Anfertigung von Satellitenbildern der Überschwemmungsgebiete. Die Aufnahmen sollen den Behörden bei der Katastrophenbekämpfung helfen. „Auf Anfrage der Länder Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen hat das BBK den Copernicus-Dienst für Katastrophen- und Krisenmanagement ausgelöst“, sagte Vizepräsident Thomas Herzog dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Copernicus ist das europäische Erdbeobachtungsprogramm.

Zerstörte Autos und Straßen in Verviers, Belgien
APA/AFP/Francois Walschaerts
Auch in Belgien richteten Überflutungen schwere Schäden an

Von der Katastrophe heimgesucht wurden auch Teile Belgiens, Luxemburgs und der Niederlande. In Belgien kamen nach Angaben der Behörden mindestens zwölf Menschen ums Leben. In der niederländischen Provinz Limburg riefen die Behörden Tausende Menschen auf, ihre Wohnungen und Häuser zu verlassen. Sie waren durch den steigenden Pegel des Flusses Maas bedroht.

UNO sieht Zusammenhang mit Klimakrise

Die Vereinten Nationen sehen die Hochwasserkatastrophe in Deutschland als Folge des fortschreitenden Klimawandels. Es sei ein größerer Trend in Bezug auf den Klimawandel, dass er zu größeren Wetterextremen führe, sagte eine UNO-Sprecherin am Donnerstag in New York. Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise seien nötig, um Vorfälle wie jenen in Deutschland künftig zu begrenzen. Die UNO bedauerte die zahlreichen Toten und sprach ihren Angehörigen ihr Beileid aus. Frankreich sicherte Deutschland und Belgien Solidarität und Unterstützung zu, wie Ministerpräsident Jean Castex auf Twitter erklärte.

Wetterextreme und Klimakrise

Die deutschen Klimaforscher Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber schreiben in ihrem Werk „Der Klimawandel“, dass Wetterextreme wie Stürme, Überschwemmungen und Dürren jene Auswirkungen des Klimawandels seien, die viele Menschen „am direktesten zu spüren bekommen“. Eine Zunahme sei allerdings nicht so leicht nachweisbar, „da die Klimaerwärmung bislang noch moderat und Extremereignisse per Definition selten sind – über kleine Fallzahlen lassen sich kaum gesicherte statistische Aussagen machen“.

Buchhinweis

Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber: Der Klimawandel. Verlag: C. H. Beck Wissen, 144 Seiten, 10,30 Euro.

Ein paar Zeilen weiter darunter heißt es allerdings: „Zwar lassen sich einzelne Extremereignisse nicht direkt auf eine bestimmte Ursache zurückführen. Doch man kann zeigen, dass sich die Wahrscheinlichkeit (oder Häufigkeit) bestimmter Ereignisse durch die globale Erwärmung erhöht.“ Vergleichbar sei das mit der Tatsache, dass Raucher und Raucherinnen häufiger Lungenkrebs bekämen, es sich im Einzelfall aber nicht beweisen ließe, ob der Patient nicht auch, ohne zu rauchen, Krebs bekommen hätte.