Hand hält Mobiltelefon
ORF.at/Zita Klimek
Weltweite Spionage

Pegasus-Affäre erreicht EU-Land Ungarn

Hunderte Presseleute, Aktivistinnen und Aktivisten sowie Oppositionsmitglieder sind Medienberichten zufolge weltweit Opfer staatlicher Spähangriffe geworden. Dazu sollen Geheimdienste und Polizeibehörden Pegasus, ein Überwachungsprogramm einer israelischen Firma, missbräuchlich verwendet haben. Zum Einsatz kam die Software demnach auch im EU-Land Ungarn. Die rechtskonservative Regierung von Viktor Orban dementierte das.

Mindestens zehn Anwälte, fünf Journalisten und ein regierungskritischer Milliardär samt seinem Umfeld sollen von dem Spähangriff betroffen sein, berichtete eine internationale Recherchegruppe, an der unter anderen die deutschen Zeitungen „Zeit“ und „Süddeutsche“ sowie der britische „Guardian“ und die „Washington Post“ beteiligt waren.

Ob staatliche Stellen hinter den Attacken stehen, ist den Berichten zufolge unklar. Die Regierung des rechtskonservativen Premierminister Viktor Orban dementierte die Vorwürfe gegenüber der „Zeit“ zunächst nicht, teilte aber mit, sich an Recht und Gesetz gehalten zu haben. Weiters betonte die Regierung, keine Kenntnis über die angebliche Datensammlung zu haben. Ungarn sei ein „Rechtsstaat, sodass in jedem Einzelfall gemäß den geltenden Rechtsregeln vorgegangen wird“, hieß es.

Montagabend dementierte Außenminister Peter Szijjarto dann den Einsatz durch die Regierung. Der ungarische Geheimdienst nutze die betreffende Software namens Pegasus „überhaupt nicht“. Szijjarto bezog sich dabei allerdings nur auf einen von insgesamt fünf ungarischen Geheimdiensten.

Leistungsfähigste Spionagesoftware der Welt

Die internationale Recherchegruppe unter Führung der in Paris ansässigen Organisation Forbidden Stories konnte eigenen Angaben zufolge ein Datenleak mit mehr als 50.000 Telefonnummern auswerten, die mutmaßlich seit 2016 zum Ziel möglicher Überwachungen durch Kunden des israelischen Unternehmens NSO Group wurden.

Archivaufnahme des Firmensitzes der NSO Group „Pegasus“, in Herzliya, in der Nähe von Tel Aviv
APA/AFP/Jack Guez
NSO betonte, über keinen „Zugang zu den Daten der Zielpersonen seiner Kunden“ zu verfügen

Das von der Firma entwickelte Programm namens Pegasus gilt dem Bericht zufolge unter Fachleuten als das derzeit leistungsfähigste Spähprogramm für Handys und wurde als Cyberwaffe eingestuft. Spionageangriffe auf „unbescholtene und gesetzestreue Personen“ mit Hilfe von Pegasus verstoßen laut „Zeit“ gegen die Ethikrichtlinien von NSO.

Die israelische Firma erklärte gegenüber dem Recherchekollektiv, über keinen „Zugang zu den Daten der Zielpersonen seiner Kunden“ zu verfügen. Die Erfassung der Nummern könne „viele legitime und vollständig saubere Anwendungsmöglichkeiten haben, die nichts mit Überwachung oder NSO“ zu tun hätten.

Investigativjournalisten überwacht

Mit Hilfe von Pegasus erhalten Behörden Zugriff auf Telefonate und verschlüsselte Nachrichten der jeweiligen Zielperson. In Ungarn soll es laut dem Onlineportal Telex.hu mehr als 300 Ziele einer Überwachung mittels Pegasus gegeben haben, wobei die konkrete Zahl der tatsächlich erfolgreichen Angriffe gegen Gegner der Orban-Regierung nicht bekannt sei.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban
Reuters/Bernadett Szabo
Die ungarische Opposition verlangt Aufklärung von Regierungschef Orban

Bisher identifiziert sind dem Portal zufolge unter anderen vier Journalisten und ein Fotograf, unter ihnen Szabolcs Panyi und Andras Szabo vom Portal Direkt36 sowie David Dercsenyi, ehemaliger Mitarbeiter des Onlineportals Hvg.hu, die als Investigativjournalisten über Korruption und Amtsmissbrauch berichten. Der Angriff auf Panyi erfolte laut „Zeit“ zwischen Frühjahr und Spätherbst 2019, in zeitlicher Nähe zu einer kritischen Recherche des Reporters zur geplanten Ansiedlung einer russischen Bank in Budapest, berichtete die „Zeit“.

Unter den Angriffszielen sollen sich laut Telex.hu auch Zoltan Varga, Eigentümer der Mediengruppe Central, sowie mit ihm im Zusammenhang stehende Geschäftsleute befinden, etwa der Ex-Wirtschaftsminister der ersten Regierung Orban, Attila Chikan. Auch Adam Simicska, der Sohn des einstigen Orban-Freundes und Oligarchen Lajos Simicska, soll vor der Parlamentswahl 2018 ins Visier gelangt sein, als das Simicska-Medienimperium die Regierung Orban offen angriff. Da Lajos Simicska kein Mobiltelefon benutze, konnte dieser nicht anvisiert werden, so Telex.hu.

Rufe nach Aufklärung

In Ungarn sei die Spähsoftware aufgetaucht, nachdem es 2016 und 2017 hochrangige Treffen zwischen der israelischen und ungarischen Regierung gegeben hatte. Die ungarische Opposition initiierte die Einberufung des Parlamentsausschusses für Nationale Sicherheit und verlangte Aufklärung.

Der Vorstand des Ungarischen Journalistenverbandes (MUOSZ) forderte die ungarischen Behörden auf, ihre Rolle bei der Nutzung der Spähsoftware zu klären. Dabei solle offengelegt werden, in welchem Auftrag, mit wessen Genehmigung und mit welchem Ziel die Abhöraktionen erfolgten.

Ungarns Außenminister weist Vorwürfe zurück

Ungarns Außenminister Peter Szijjarto wies die Vorwürfe zurück. Der Direktor des Geheimdienstes IH habe auf Anfrage bestritten, dass der Dienst die Software einsetze, sagte Szijjarto am Montag. Der seinem Ministerium unterstellte Dienst sei bereit, dem Sicherheitsausschuss des ungarischen Parlaments darüber Auskunft zu geben. IH ist einer der fünf ungarischen Geheimdienste. Ob möglicherweise eine andere Behörde Menschen über Pegasus überwacht haben könnte, wollte Szijjarto nicht sagen.

Auch Staatsoberhäupter auf Liste

Die französische Regierung zeigte sich „extrem schockiert“ auf die Enthüllungen über die weltweite Ausspähung von Journalistinnen und Journalisten mit Hilfe von Pegasus. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wäre das „komplett inakzeptabel“. „Medienfreiheit ist einer der wichtigsten Werte der Europäischen Union“, sagte sie. Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) nannte die Spionageaffäre „zutiefst besorgniserregend“.

Nach Angaben des Recherchekollektivs befanden sich die Nummern von weltweit 180 Presseleuten auf der ans Licht gekommenen Liste. Darunter sind laut „Guardian“ auch Beschäftigte der Nachrichtenagenturen AFP, Reuters und AP, der Zeitungen „New York Times“, „Le Monde“, „El Pais“ und der Sender Al Jazeera, Radio Free Europe und CNN.

Zu den Betroffenen zählt laut den Recherchen auch Hatice Cengiz, die Verlobte des ermordeten saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi. Ihr Handy sei vier Tage nach dem Mord an Khashoggi mit der Schadsoftware Pegasus angegriffen worden. Wie die „Washington Post“ berichtete, standen auf der Liste weiters die Nummern von Staatsoberhäuptern und Ministerpräsidenten, Mitgliedern arabischer Königsfamilien, diplomatischem Personal und Geschäftsleuten. Aus Österreich sind derzeit keine Fälle bekannt.

Vorwürfe gegen NSO bereits in der Vergangenheit

NSO wurde bereits in der Vergangenheit vorgeworfen, mit Pegasus autoritären Regierungen die Ausspähung von Presseleuten und Dissidentinnen und Dissidenten ermöglicht zu haben. Facebook hatte NSO 2019 in den USA verklagt. Der Vorwurf in der Klage lautet, NSO habe versucht, sich über eine später geschlossene Sicherheitslücke bei WhatsApp Zugriff auf Hunderte Smartphones zu verschaffen.

Unter den Zielpersonen seien Journalisten, Anwälte, Dissidenten, Menschenrechtler, Diplomaten und Regierungsbeamte gewesen. NSO wehrte sich vor Gericht. Die Firma betont, dass Verträge mit Kunden wegen des Verdachts von Menschenrechtsverletzungen gekündigt worden seien.

„Das Vorgehen gegen JournalistInnen und AktivistInnen von NGOs ist Menschen- und Demokratieverachtung im höchsten Maße“, sagte die Präsidentin von Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich, Rubina Möhring. Nach den bitteren Erfahrungen des 20. Jahrhunderts sollten Gesellschaften und Regierungen gefeit sein gegen autoritäre und heimtückische Angriffe.