Ein Polizeibeamter in einem Stadion in Jokohama (Tokio)
Reuters/Phil Noble
Kurz vor Eröffnung

Olympia im Sog der Skandale

Die bevorstehende Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele wird von einer Serie an Skandalen überschattet. Der Kreativdirektor der Feier, Kentaro Kobayashi, wurde am Donnerstag wegen eines Witzes über den Holocaust entlassen – er ist damit nicht die einzige führende Figur aus dem Organisatorenteam, der jahrzehntealte Verfehlungen zum Verhängnis geworden sind. Für die Organisatoren kommt das nicht zuletzt aufgrund der Coronavirus-Situation zur Unzeit.

Anlass für Kobayashis Entlassung war ein plötzlich im Internet aufgetauchter Videoclip von einem Sketch von 1998, in dem er als junger Komiker einen Witz über den Holocaust riss. Japans Organisationschefin Seiko Hashimoto entschuldigte sich für den jüngsten Skandal. Sie trage die volle Verantwortung, dass man bei der Vergabe der Posten nicht gründlich hinterfragt habe. Der in Japan populäre Entertainer Kobayashi entschuldigte sich. Seine Wortwahl damals als junger Komiker sei falsch gewesen. Es tue ihm sehr leid.

In dem Sketch von 1998, einer Parodie auf ein TV-Erziehungsprogramm, witzelt er über ein Rollenspiel mit Papierfiguren, das er „lass uns Juden ermorden spielen“ nennt. Nach dem Auftauchen des Clips im Internet warf Rabbi Abraham Cooper vom Simon Wiesenthal Center Kobayashi „bösartige und antisemitische Witze“ vor. „Jede Verbindung dieser Person mit den Olympischen Spielen in Tokio würde das Andenken von sechs Millionen Juden beleidigen und die Paralympics grausam verspotten“. Auch in sozialen Medien hagelte es Kritik an Kobayashi.

Kentaro Kobayashi
AP/Tokyo 2020
Der Kreativdirektor der Eröffnungsfeier, Kentaro Kobayashi, wurde nur einen Tag vor der Zeremonie entlassen

Programm soll noch einmal überprüft werden

Der bekannte japanische Wissenschaftler Ken Mogi nahm Kobayashi dagegen in Schutz. Er verdiene es nicht, für eine kurze Bemerkung, die vor mehr als zwei Jahrzehnten gemacht hatte, so verunglimpft zu werden. Kobayashi habe in seinen Shows stets das Gute und Liebevolle im Menschen betont und nie Diskriminierung betrieben, sagte Mogi in einer Stellungnahme auf YouTube.

Das gesamte Programm der Eröffnung solle nun noch einmal genau überprüft werden, sagte OK-Geschäftsführer Toshiro Muto am Donnerstag – kaum mehr als 24 Stunden vor Beginn der Zeremonie. Man werde jetzt schnell beraten, wie die Eröffnungsfeier abgehalten werden solle und „so bald wie möglich“ zu einem Ergebnis kommen, ergänzte Organisationschefin Hashimoto.

Fat Shaming und Sexismus: Weitere Rücktritte

Kobayashi ist der dritte mit der Eröffnungsfeier befasste prominente Künstler, der abtreten musste. Im März war der damalige Kreativdirektor Hiroshi Sasaki wegen erniedrigender Äußerungen über eine bekannte japanische Entertainerin von seinem Amt zurückgetreten.

Er hatte zugegeben, gegenüber Mitarbeitern die Idee vorgebracht zu haben, dass die Komikerin Naomi Watanabe bei der Eröffnungszeremonie der Spiele als Schwein verkleidet auftreten könnte. In einem rosafarbenen Kostüm erschiene sie dann als ein „Olympig“, witzelte der Japaner – pig bedeutet auf Englisch Schwein. Vor ihm war bereits der damalige Olympia-Organisationschef Yoshiro Mori ebenfalls wegen sexistischer Kommentare zurückgetreten.

Mobbing-Interview aufgetaucht: Komponist trat ab

Nur Tage zuvor musste auch der Komponist der Eröffnungsfeier, Keigo Oyamada – auch im Westen unter dem Namen Cornelius bekannt –, zurücktreten. Ihm wurden im Internet aufgetauchte alte Interviews zum Verhängnis, in denen er erzählte, wie er in der Schulzeit behinderte Kinder gemobbt hatte. Hashimoto bedauerte am Donnerstag, dass man zu lange gebraucht habe, um sich von Oyamada zu trennen.

Unterdessen haben mehrere führende japanische Wirtschaftsvertreter, darunter der Chef des Automobilriesen und Top-Olympia-Sponsors Toyota, bereits mitgeteilt, an der Eröffnungsfeier für die Olympischen Spiele nicht teilzunehmen. Der japanische Fernsehsender NHK berichtete am Donnerstag, auch der frühere Ministerpräsident Shinzo Abe wolle ihr fernbleiben. Abe hatte maßgeblich dafür gesorgt, dass Tokio 2013 trotz der verschärften Probleme in der Atomruine Fukushima die Spiele zugesprochen bekam, indem er dem IOC versicherte, dass dort „alles unter Kontrolle“ sei.

IOC zeigt doch Kniefall-Bilder auf Social-Media

Für Debatten sorgte indes auch der Umgang mit politischen Gesten. Das Internationale Olympische Komitee lenkte nach Kritik offenbar ein und zeigte nun doch Bilder von knienden Athletinnen und Athleten bei den Sommerspielen in Tokio auf seinen Social-Media-Kanälen. „Das IOC zeigt die Spiele auf seinen eigenen und selbst betriebenen Plattformen, und solche Momente werden auch einbezogen“, teilte das IOC am Donnerstag mit.

Die englische Zeitung „The Guardian“ hatte zuvor berichtet, das IOC und die Tokio-Organisatoren hätten ihre Social-Media-Teams angewiesen, keine Bilder mit knienden Athleten zu posten. Am Mittwoch hatten Frauen-Fußball-Teams aus Großbritannien, den USA, Schweden und Neuseeland vor ihren Matches diese Geste gegen Rassismus gezeigt. Auf Kanälen des IOC und dem offiziellen Liveblog waren indes keine Bilder davon zu sehen.

Regeländerung macht Protest möglich

Das IOC änderte erst kürzlich seine Regeln, um Gesten des friedlichen Protests wie den Kniefall zu erlauben. Protestaktionen wie der Kniefall oder die erhobene Faust sind nun vor Beginn eines Bewerbs möglich, danach auf Siegerpodien aber weiter untersagt. Freilich können das auch österreichische Sportlerinnen und Sportler in Tokio tun, wie ÖOC-Präsident Karl Stoss auf Anfrage der APA – Austria Presse Agentur sagte.

Spieler von Argentinien und Australien knieen vor dem Fußballspiel auf dem Feld nieder
AP/SIlvia Izquierdo
Gesten des friedlichen Protests wie der Kniefall – hier vor dem Fußballspiel von Argentinien und Australien – sind seit Kurzem erlaubt

Der Kniefall sollte keineswegs die einzige symbolische Geste bleiben: Neuseelands Gegner Australien stellte sich Arm in Arm auf und hielt die Flagge der Aborigines in die Kameras. Die Fahne mit dem schwarz-roten Hintergrund und dem gelben Kreis gilt als wichtiges Symbol der Ureinwohner Australiens. Die deutsche Hockey-Kapitänin Nike Lorenz würde gerne nach dem Vorbild von Fußball-Nationalkeeper Manuel Neuer im Spiel eine Binde mit Regenbogenfarben tragen und nicht nur beim Aufwärmen – das ist aber laut Olympia-Charta nicht erlaubt.

Kaiser Naruhito: Spiele „nicht einfach“

Japans Regierungschef Yoshihide Suga sagte indes laut der Nachrichtenagentur Kyodo, die Eröffnungsfeier sollte wie geplant über die Bühne gehen. Es wird erwartet, dass Kaiser Naruhito die Spiele vor lediglich rund 950 VIPs für eröffnet erklären wird. Am Vortag der Eröffnung empfing er IOC-Chef Thomas Bach in seinem Palast. Es sei „nicht einfach“, die Spiele mit strikten CoV-Maßnahmen zu veranstalten, sagte der Monarch und drückte gegenüber Bach seinen „tiefen Respekt“ für die Arbeit aus.

Das Konzept der wegen des Coronavirus um ein Jahr verschobenen Spiele lautet „Einheit in Vielfalt“. Es soll die Wichtigkeit betont werden, die Unterschiede der Menschen wie Geschlecht, Religion und jeweiligen Fähigkeiten zu akzeptieren. „Sehr emotional“ werde die Eröffnungsfeier für ihn werden, beteuerte Bach vor dem Einmarsch der 205 Teams ins Olympiastadion. Das erste Mal seit Beginn der Pandemie sei dann „die ganze Welt an einem Ort“.

Show will „wa“ vermitteln

Japanische Medienberichten zufolge wird die Show dem Motto „vereint durch Emotionen“ folgen und „fantastische Tänze“ sowie Elemente der japanischen traditionellen Kultur wie den „Matsuri“, ausgelassene Volksfeste, enthalten. Die Show wolle das „wa“ vermitteln, das für Harmonie und Japan steht. Es wird zugleich erwartet, dass es eine den besonderen Umständen durch die Pandemie entsprechende schlichte Darbietung werden wird.

In der Bevölkerung herrscht zu Beginn der Spiele keine große Begeisterung. Zuschauer sind wegen der Pandemie von fast allen Wettkämpfen ausgeschlossen. Am Donnerstag meldete Tokio, das erneut im Notstand ist, 1.979 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden. Auch Dutzende Athletinnen und Athleten wurden im Vorfeld des Sportspektakels positiv getestet.