Leere Regale in einem Supermarkt in London
APA/AFP/Justin Tallis
Leere Regale, voller Müll

„Pingdemic“ macht Briten zu schaffen

In Großbritannien befinden sich derzeit Hunderttausende Menschen in Quarantäne. Es ist die Kehrseite einer weitestgehenden Lockerung und gleichzeitig Ergebnis der laufenden Strategie zur Pandemiebekämpfung. Viele können wegen der verordneten Isolation ihre Jobs nicht mehr ausüben, die dadurch entstandenen Engpässe taufte die britische Presse „Pingdemic“. Sichtbar werden sie in Supermärkten.

Denn aufgrund der Quarantäneregeln fallen nun in großer Zahl Arbeitskräfte aus, was wiederum dazu führt, dass die Regale der Supermärkte nicht in gewohnter Form befüllt werden können, wie britische Medien am Donnerstag berichten. In manchen Orten fiel der BBC zufolge außerdem die Leerung der Mülltonnen aus. Auch die Polizei warnte vor längeren Wartezeiten, da viele Kräfte ausfallen würden.

Fast 620.000 Beschäftigte befinden sich laut Daten der Gesundheitsbehörde (NHS) in England und Wales derzeit in zehntägiger Isolation, weil sie als Infizierte oder aufgrund eines Kontakts mit Infizierten durch das Contact-Tracing des NHS per App „gepingt“ (im Sinne von „verständigt“) bzw. konventionell angerufen wurden. Die Zahl der Fälle in Großbritannien steigt seit etwa einem Monat kontinuierlich an – zur Wochenmitte wurden 44.000 Fälle registriert.

Wirtschaftsminister „sehr besorgt“

Zahlreiche britische Zeitungen druckten auf ihren Titelseiten Bilder von leeren Regalen in Supermärkten ab. Daneben kämpften auch Großhändler und Spediteure um eine stabile Versorgung mit Lebensmitteln und Treibstoff, hieß es. Aus Londoner Geschäften wurde berichtet, dass zwar Lebensmittel weitgehend verfügbar waren, es aber einige Engpässe bei Wasser in Flaschen, Softdrinks und einigen Salat- und Fleischprodukten gab.

Leere Regale in einem Supermarkt in London
APA/AFP/Justin Tallis
Die Logistik ist ins Stocken geraten – das wird in britischen Supermärkten augenscheinlich

Auf die Engpässe angesprochen, gab der britische Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng gegenüber dem Sender Sky News an, „sehr besorgt über die Situation“ zu sein. Man beobachte die Lage. Die Darstellung, wonach Supermarktregale „leer“ seien, wollte der Minister aber nicht gelten lassen. Auch beim zweitgrößten britischen Supermarktkonzern Sainsbury’s ist man um Beruhigung bemüht: Generell würden Kunden alle Produkte finden können, wenn auch vielleicht nicht das volle Sortiment, teilte ein Sprecher sinngemäß mit.

Branchen fordern Ausnahmen

Rasch wurde ob der Engpässe eine Debatte losgetreten, ob vollständig Geimpfte der Quarantäne entgehen können und sich stattdessen täglich testen dürfen. Das ist derzeit noch nicht möglich, erst ab Mitte August soll diese Regelung gelten. Bisher gelten Ausnahmen nur für Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Pilotprojekts oder etwa für Beschäftigte des Gesundheitsdiensts. Viele Branchen, darunter das British Retail Consortium sowie die Fleischindustrie, fordern weitere Ausnahmen für ihre Beschäftigten. Wirtschaftsminister Kwarteng sagte, man arbeite an einer Ausweitung der „Liste“.

Entsprechend gibt es Stimmen, die die Lage drastisch einschätzen: Die britischen Lebensmittelversorger stünden „kurz vor dem Zusammenbruch“, da ein bereits kritischer Arbeitskräftemangel noch weiter verschlimmert worden sei, so Vertreter der Fleischindustrie am Mittwoch. Die Supermarktgruppe Iceland gab indessen an, aufgrund von Personalmangel Geschäfte geschlossen zu haben. Doch rief man die Kundschaft dazu auf, keine Panikkäufe zu tätigen, wie die BBC berichtet.

Drastischer Personalabbau

Die nun augenscheinlich gewordenen Auswirkungen des Ausfalls von Arbeitskräften hängen auch mit dem drastischen Personalabbau in den nun betroffenen Bereichen zusammen. Schon vor den Ausfällen hatten die Beschäftigten in den Bereichen Lebensmittelversorgung, Transportwesen oder dem Gastgewerbe aufgrund enger Besetzungen mit Widrigkeiten zu kämpfen. Um weitere Probleme zu vermeiden, haben viele die Warn-App einfach von ihren Telefonen gelöscht.

Auch die Schulen haben die Auswirkungen der Quarantäneregeln jüngst zu spüren bekommen: Zahlen weisen aus, dass vergangene Woche in England mehr als eine Million Kinder der Schule ferngeblieben sind.

„Tag der Freiheit“ und steigende Zahlen

Großbritannien leidet unter einer vergleichsweise sehr hohen CoV-Todesrate, und nach der Aufhebung der Beschränkungen in England am 19. Juli – von Premierminister Boris Johnson als „Tag der Freiheit“ bezeichnet – wird ein rascher Anstieg der Infektionszahlen prognostiziert. Die hochansteckende Delta-Variante lässt die Zahlen trotz hoher Impfquote weiter ansteigen. 87 Prozent der Erwachsenen haben eine Impfdosis erhalten, etwa 68 Prozent gelten als vollimmunisiert.