„Um die Gewalt einzudämmen und die Bewegungen der Taliban einzuschränken“, gelte für 31 der 34 Provinzen eine Ausgangssperre zwischen 22.00 und 04.00 Uhr, teilte das Innenministerium am Samstag mit. Nur die Provinzen Kabul, Pandschschir und Nangarhar sind von der Maßnahme nicht betroffen.
Parallel zum Beginn des Abzugs der US- und anderer NATO-Truppen hatten die radikalislamischen Taliban Anfang Mai eine große Offensive in Afghanistan gestartet. Inzwischen hat die Miliz mehrere Grenzübergänge sowie Dutzende Bezirke erobert und mehrere Provinzhauptstädte eingekreist. Sie kontrolliert rund die Hälfte der etwa 400 Bezirke Afghanistans.
Erfolgsmeldung der Taliban „Lüge“
Die Taliban hatten am Donnerstag erklärt, inzwischen 90 Prozent der Grenzen Afghanistans zu kontrollieren. Das Verteidigungsministerium in Kabul bezeichnete das als „totale Lüge“. „Das sei haltlose Propaganda“ und eine „absolute Lüge“, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Kabul am Freitag. Regierungstruppen hätten nach wie vor die Kontrolle über die Grenzen. Eine unabhängige Überprüfung der Angaben ist nicht möglich.
Beobachter befürchten, dass die Islamisten nach dem vollständigen Abzug der internationalen Truppen wieder die Macht am Hindukusch übernehmen könnten. Die Friedensverhandlungen zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung in Doha sind seit Monaten festgefahren.
100 Mio. Dollar US-Hilfsgelder
Um die afghanischen Geflüchteten zu unterstützen, kündigte Biden einen millionenschweren Hilfsfonds an. Wie das Weiße Haus am Freitag (Ortszeit) mitteilte, sollen die Notfallhilfen auch für Antragsteller von Sondervisaanträgen genutzt werden.
Tausende Afghanen, die zuvor als Übersetzer oder in anderen Jobs für die US-Regierung gearbeitet haben, befürchten seit dem Abzug der US-amerikanischen Truppen Vergeltungsmaßnahmen der Taliban. Sie dürfen nun mit speziellen Einwanderungsvisa in die USA einreisen.
Erhöhung der Sondervisa für Afghanen
Die erste Gruppe von Afghanen samt ihrer Familien dürfte noch vor Ende des Monats nach Fort Lee, einem US-Militärstützpunkt in Virginia, geflogen werden, um dort auf die endgültige Bearbeitung ihrer Visaanträge zu warten.
Am Donnerstag verabschiedete das US-Repräsentantenhaus ein Gesetz, das die Anzahl der zu vergebenden Sondervisa um 8.000 erhöht, womit alle potenziell infrage kommenden Anträge abgedeckt wären. Insgesamt sind laut der US-Regierung derzeit etwa 18.000 solcher Visaansuchen in Bearbeitung.
Tausende nach Tadschikistan geflohen
Auch Afghanistans Nachbarland Tadschikistan erklärte sich zur Aufnahme von Zehntausenden afghanischen Flüchtlingen bereit. Es sei „derzeit möglich, rund 100.000 Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen“, sagte Emomali Ibrochimsoda vom tadschikischen Notfallkomitee. Untergebracht werden sollen die Flüchtlinge auf Truppenübungsplätzen.
In den vergangenen Wochen hatte das Land bereits mehr als tausend afghanische Soldaten vorübergehend aufgenommen, die vor Angriffen der Taliban flohen. Vor dem Hintergrund des Vormarsches der Taliban hielt die tadschikische Armee am Donnerstag ein Großmanöver ab. Anfang August sind in dem zentralasiatischen Land zudem gemeinsame Militärübungen Tadschikistans und Russlands geplant.
Steigende Zahl an Geflüchteten befürchtet
Nach Angaben des UNHCR fliehen Menschen, weil die Sicherheitslage immer schwieriger wird, weil sie nicht mehr arbeiten können und soziale Unterstützung teils eingestellt worden ist. Zudem berichteten Flüchtende von Erpressung durch bewaffnete Gruppen.
Wenn es keinen Friedensschluss in Afghanistan gebe, werde die Zahl der Flüchtenden auch über die Landesgrenzen hinweg steigen, warnte das UNHCR. Österreich und viele andere europäische Länder schieben Asylwerber mit negativem Bescheid nach Afghanistan ab. Abschiebungen in das Krisenland sind allerdings umstritten.
Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) betonte am Freitag, dass es derzeit grundsätzlich keinen Grund für einen Afghanen gebe, in Österreich einen Asylantrag zu stellen. Das sehe auch die Genfer Flüchtlingskonvention nicht vor, sagte der Innenminister. „Die Flüchtlingskonvention ist unser stärkster Verbündeter. Die besagt nämlich, dass sich nicht jeder aussuchen kann, wo er seinen Asylantrag stellt, im Gegenteil. Ziel ist es, Menschen in Bedrohung Schutz zu gewähren. Und das ist eben in den Nachbarstaaten.“