Parlament in Sarajevo
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Bosnien und Herzegowina

Serben rebellieren gegen „Genozid-Gesetz“

Vertreter der bosnischen Serben haben einen Boykott aller wichtigen Institutionen des Landes angekündigt. Damit droht Bosnien und Herzegowina der politische Stillstand. Hintergrund ist eine Verfügung des internationalen Bosnien-Beauftragten, Valentin Inzko, welche die Leugnung von Völkermord unter Strafe stellt.

Der Staat Bosnien und Herzegowina setzt sich zusammen aus der Teilrepublik Republika Srpska und einer muslimisch-kroatischen Föderation. Alle drei Teile sind in der Präsidentschaft des Staates vertreten, der Vorsitz rotiert. Die serbischen politischen Vertreter würden nicht mehr an der Arbeit der gemeinsamen Institutionen teilnehmen, sagte Branislav Borenovic, einer der Oppositionsführer der serbischen Teilrepublik.

Sowohl die Präsidentschaft als auch das Parlament und die Regierung würden boykottiert, so Borenovic. Damit wird die politische Arbeit im Land de facto blockiert, weil die Institutionen auf die Zustimmung aller Vertreter angewiesen sind. Ein erstes Opfer der Entscheidung dürfte das Budget für das laufende Jahr werden, mit dem sich das Parlament derzeit befasst. Ohne Vertreter der serbischen Volksgruppe geht der Budgetentwurf nicht durch.

Leugnungsverbot als Auslöser

Auslöser des politischen Konflikts war eine Entscheidung des UNO-Gesandten für Bosnien und Herzegowina, des österreichischen Diplomaten Inzko, der vergangene Woche kurz vor seinem Ausscheiden die Macht seines Amtes genutzt und dem bosnischen Strafgesetzbuch mehrere Änderungen hinzugefügt hatte – darunter das Verbot der Leugnung von Völkermord. Im Parlament waren jahrelang Versuche gescheitert, eine solche Regelung per Gesetz zu verankern – vor allem am Widerstand ethnisch serbischer Politiker.

Srebrenica-Gedenkstätte in Potocari
APA/AFP/Dimitar Dilkoff
Eine Besucherin der Srebrenica-Gedenkstätte in Potocari

Die Regelung tritt am 31. Juli in Kraft. Sie sieht bis zu drei Jahre Haft für die einfache Leugnung des Völkermords vor. Ist der Täter eine Amtsperson, kommen drei Jahre Haft hinzu und weitere drei Jahre, wenn die Tat von Drohungen und Beleidigungen begleitet wird. Auch wer Preise und öffentliche Ehrungen an verurteilte Kriegsverbrecher verleiht, muss für drei Jahre ins Gefängnis.

Die Änderung des Gesetzbuches zielt offensichtlich auf den serbischen Umgang mit dem Massaker von Srebrenica ab. Dort hatten bosnisch-serbische Einheiten im Sommer 1995 rund 8.000 muslimische Männer und Burschen ermordet. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien sowie der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ordneten das Massaker als Völkermord ein.

„Mangel an Anerkennung für die Opfer“

„Der Mangel an Anerkennung, Rechenschaftspflicht und Wiedergutmachung für die Opfer von Gräueltaten und systematischem Missbrauch hat verheerende Auswirkungen auf die Gesellschaft“, erläuterte Inzko seine Entscheidung. Das verhindere den „Aufbau einer friedlichen Zukunft für Bosnien und Herzegowina“.

Das serbische Mitglied der bosnischen Dreierpräsidentschaft, Milorad Dodik, verurteilte den Schritt Inzkos und drohte mit der „Auflösung“ des Landes. „Nach diesem Schritt kann Bosnien nicht funktionieren“, sagte Dodik bei einer Pressekonferenz. „Ich denke, es gibt keine andere Option für die Republika Srpska, als einen Auflösungsprozess zu beginnen.“ Es gebe eine „rote Linie“, sagte er. „Es gab keinen Genozid – und das ist die Meinung von uns allen.“

Die Vertreter der muslimisch-kroatischen Föderation hingegen begrüßten Inzkos Entscheidung als „historisch“. Bakir Izetbegovic, Chef der größten bosnischen Partei SDA, gratulierte Inzko. Er habe seine Amtszeit in Bosnien „mit Würde beendet“. „Wir werden vor Beleidigungen und Demütigungen geschützt“, lobte Munira Subasic, Vorsitzende des Vereins Mütter von Srebrenica, den Schritt.

Schallenberg begrüßt und bedauert Schritt

Außenminister Alexander Schallenberg bedauerte am Freitag bei einem Besuch in Kroatien den Einsatz der als „Bonn Powers“ bekannten Sonderbefugnisse des Bosnien-Beaufragten. „So sehr ich emotionell und gedanklich den Schritt verstehe, so sehr bedauere ich, dass so ein Schritt im 21. Jahrhundert überhaupt notwendig ist“, sagte Schallenberg. Ziel müsse es sein, dass es die „Bonn Powers“ in Zukunft nicht mehr gebe.

„Es liegt aber letzten Endes an Bosnien-Herzegowina selber eine Situation zu schaffen, wo es nicht mehr einen internationalen Vertreter bräuchte, der solche Befugnisse hat“, so Schallenberg. Der kroatische Außenminister Gordan Grlic Radman bezeichnete die Anerkennung des Völkermords als „Frage zivilisatorischer Werte“. Er verwies darauf, dass Inzko seine Sonderbefugnisse jahrelang nicht benutzt habe.

Russland und China scheitern vor UNO

Am 1. August übernimmt – ohne zeitliche Begrenzung – der ehemalige deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt das Amt des Hohen Repräsentanten in Bosnien-Herzegowina, das Russland und China für Ende Juli 2022 abschaffen wollten. Eine entsprechende Resolution wurde im UNO-Sicherheitsrat am vergangenen Donnerstag mit großer Mehrheit abgelehnt. Russland und China hatten argumentiert, das einflussreiche Amt werde nicht mehr benötigt.

Westliche Diplomaten in New York hatten zugleich aber betont, dass der Sicherheitsrat gar nicht die Autorität besitze, um über die Fortführung der Stelle zu entscheiden. Die Position war aus dem Friedensabkommen von Dayton (USA) hervorgegangen, das den Bosnien-Krieg beendete. Der Hohe Repräsentant soll den Wiederaufbau begleiten und unterstützen. Dazu kann er ins politische Geschehen eingreifen, Gesetze erlassen und aufheben sowie Politiker aus dem Amt entfernen.

Dabei handelt es sich nicht um einen Repräsentanten der UNO, der Sicherheitsrat unterstützt den Vertreter jedoch normalerweise in einer Resolution. Die bosnischen Serben hatten bereits vor dem aktuellen Eklat erklärt, nicht mit dem neuen internationalen Bosnien-Beauftragten zusammenarbeiten zu wollen.