Trans-iranische Eisenbahn
UNESCO/Hossein Javadi
UNESCO

Welterbe kein „touristisches Gütesiegel“

In den vergangenen Wochen sind über 30 Kultur- und Naturstätten neu in die Liste des Welterbes aufgenommen worden. „Kulturelle Meisterwerke und einzigartige Naturlandschaften“ sollen dadurch geschützt werden. Gleichzeitig kann der Titel auch Touristen und Touristinnen aus aller Welt locken. Seitens der UNESCO betont man jedoch, dass es sich beim Welterbe eben nicht um ein „touristisches Gütesiegel“ handelt.

Die Kolonien der Barmherzigkeit, die Großen Bäder Europas, die japanischen Inseln Amami-Oshima, Tokunoshima, Iriomote, Okinawa und der Donaulimes – sie alle stehen, gemeinsam mit noch einigen anderen Stätten, seit Kurzem auf der Liste des Weltkultur- und -naturerbes der UNO-Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (UNESCO). Der Grund: ihr „außergewöhnlicher universeller Wert“.

Nun liegt es in dem Verantwortungsbereich des jeweiligen Staats, den Schutz dieser Stätten zu garantieren und „für zukünftige Generationen zu erhalten“, wie es seitens der UNESCO heißt. Das gestaltet sich allerdings nicht immer ganz einfach, schließlich kann in manchen Fällen die Auszeichnung auch zu einer Zunahme des Tourismus und somit zu einem gegenteiligen Effekt führen.

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Heidentor bei Carnuntum
ORF.at/Carina Kainz
Am Freitag wurde die Ernennung des Donaulimes zum Welterbe bekanntgegeben. Österreich ist mit 22 Stätten in diesem Welterbe vertreten. Bei diesen Teilkomponenten in Wien, Ober- und Niederösterreich handelt es sich um unterschiedlichste bedeutende archäologische Fundstätten, die bis heute den Verlauf der antiken Grenzbefestigung des Römischen Reichs mit Kastellen, Wachtürmen und den dazugehörigen zivilen Siedlungen und Verkehrswegen bezeugen.
Paseo del Prado und Retiropark in Madrid
Reuters/Juan Medina
In Madrid trägt nun die Landschaft der Künste und Wissenschaften, der Paseo del Prado und Buen Retiro, das Weltkulturerbe-Prädikat, gilt sie laut Komitee doch als „ein herausragendes Beispiel für neue städtebauliche Modelle im aufgeklärten Absolutismus des 18. Jahrhunderts“
Innenansicht der Scrovegni-Kapelle in Padova
UNESCO/Comune di Padova Settore Cultura, Turismo, Musei e Biblioteche
Die Scrovegni-Kapelle in Padua, Italien, aus dem 14. Jahrhundert wurde ihres von Giotto di Bondone gestalteten Freskengemäldes wegen aufgenommen
Glockenturm in der Kirche von Atlántida, Uruguay
UNESCO/CPCN, Getty Foundation
In Uruguay ist die 1960 ganz aus Ziegelsteinen errichtete Kirche von Atlantida mit ihrem durchbrochenen Glockenturm Welterbe
Mathildenhöhe in Darmstadt
Getty Images/iStockphoto/travelview
Auch das in Deutschland beheimatete Weltkulturerbe wird umfangreicher: Die 1899 als Künstlerkolonie gegründete Mathildenhöhe in Darmstadt (im Bild) sowie die Kurstädte Baden-Baden, Bad Ems und Bad Kissingen wurden in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen
Säulengang in Bologna
AP/LaPresse/Guido Calamosca
Das Netz von Laubengängen im Zentrum der norditalienischen Stadt Bologna sind seit jeher ein Wahrzeichen der Stadt – nun auch Weltkulturerbe
Ramappa-Tempel in Indien
UNESCO/ASI
Einen „Listenplatz“ sicherte sich auch der Rudreshwara-Tempel – ein bedeutendes Shiva-Heiligtum, in Indien aus dem 12. bis 14. Jahrhundert
Kolonien der Barmherzigkeit in Frederiksoord, Belgien
UNESCO/Province of Drenthe on behalf of all nomination partners
In Belgien und den Niederlanden wurden die Kolonien der Barmherzigkeit neu aufgenommen, die im 19. Jahrhundert einen substanziellen und weitreichenden Beitrag zur Bekämpfung von Armut leisteten
Cordouan-Leuchtturm in Le Verdon-sur-Mer
APA/AFP/Philippe Lopez
In Frankreich wurde der 1584 auf einem Felsplateau vor der Gironde-Mündung errichtete Leuchtturm von Cordouan in die Welterbeliste aufgenommen. Der mit Säulen und Wasserspeiern verzierte Turm ist laut UNESCO ein künstlerisches, handwerkliches und technologisches Meisterwerk – und bis heute in Betrieb.
Luftaufnahme des Chankillo Archaeoastronomical Complex in Peru
UNESCO/IDARQ
Der Chanquillo (250–200 v. Chr.) ist ein präkolumbischer Komplex in der peruanischen Wüste und wird als Sonnenobservatorium sowie kalendarisches Instrument gedeutet, für die UNESCO ein „Zeugnis für den Höhepunkt einer langen historischen Entwicklung astronomischer Praktiken“
Steingravuren in Hima Najran, Saudi Arabien
UNESCO/SCTH
In Saudi-Arabien wurde mit dem Hima-Komplex die sechste Stätte des Landes in die Liste aufgenommen. Auf dem Gelände im Südwesten der Halbinsel finden sich an mehr als 34 Orten Felszeichnungen. Das 557 Quadratkilometer große Gebiet liegt an einer historischen Karawanenroute.

Experte: Zunahme des Tourismus abhängig von Ort

Kurt Luger, Inhaber des Lehrstuhls „Kulturelles Erbe und Tourismus“ an der Universität Salzburg verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass eine mögliche Zunahme touristischer Aktivitäten immer aber auch davon abhängt, wie bekannt der Welterbebereich bereits ist.

Beispielsweise sei bei einer Stadt wie Wien und Graz der touristische Nutzen der Aufnahme geringer als bei den walisischen Bergwerksanlagen, die plötzlich zur touristischen Attraktion wurden, so Luger im Gespräch mit ORF.at. Für bereits populäre Tourismusdestinationen ist die Eintragung folglich eher eine „Aufforderung, sich bewahrend zu engagieren“.

Grafik zum UNESCO-Welterbe in Österreich
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Welterbe: Weder „Gütesiegel“ noch „Marketingkonzept“

Seitens der Österreichischen UNESCO-Kommission (ÖUK) verwehrt man sich gegen den Vorwurf, mit der Welterbeliste zum Massentourismus beizutragen. „Die UNESCO für touristische Übernutzung von Stätten verantwortlich zu machen, verkennt den Zweck und die Grundidee des Welterbes“, so der Welterbe-Referent Florian Meixner im Gespräch mit ORF.at.

Die Welterbekonvention sei ausschließlich als „völkerrechtliches Instrument zum Schutz der außergewöhnlichen Natur- und Kulturstätten der Welt“ ins Leben gerufen worden. „Der Begriff Tourismus kommt im Konventionstext dabei kein einziges Mal vor“, erklärt Meixner. Im Gegenteil: Das Welterbe sei weder „touristisches Gütesiegel“ noch „Marketingkonzept“.

Florian Meixner (UNESCO) über Baden als Weltkulturerbestadt

Florian Meixner, stellvertretender Generalsekretär für Weltkulturerbe und Kulturschutz bei UNESCO Österreich, spricht über die Ernennung Badens zur Weltkulturerbestadt.

Welterbe und Tourismus: Nebeneffekt mit Folgen

Außer Frage stehe jedoch, dass Tourismus ein „nicht zu unterschätzender Nebenaspekt beziehungsweise eine Folgeerscheinung des Welterbes“ sei – mit sowohl positiven als auch negativen Auswirkungen. Bei den positiven nennt Meixner etwa die wirtschaftlichen Einnahmen der touristischen Nutzung, die dem Erhalt der Stätte dienen könnten. Auf der negativen Seite seien zweifellos die „Übernutzung und fehlendes touristisches Management“ zu verorten, die den Wert des Welterbes „unmittelbar gefährden“ könnten.

Seit 2011 gibt es daher bereits ein eigenes UNESCO-Programm, das die Bereiche Welterbe und nachhaltiger Tourismus (WH+ST) miteinander verbinden möchte. So heißt es etwa auf der Website: „Die nachhaltige Planung und Steuerung des Tourismus ist heute eine der drängendsten Herausforderungen für die Zukunft der Welterbekonvention.“

So wird beispielsweise eine enge Zusammenarbeit mit dem Tourismussektor sowie der lokalen Bevölkerung empfohlen. Luger zufolge werden diese Konzepte von der Lokalpolitik allerdings oftmals nicht beziehungsweise nicht ausreichend angenommen.

Luftansicht von Baden bei Wien
APA/Stadtgemeinde Baden/Christian Freydl
Baden bei Wien darf sich als Teil der transnationalen, seriellen Welterbestätte „Great Spa Towns of Europe“ nun ebenso mit dem Welterbeprädikat schmücken

Experte sieht Staat und Politik gefordert

Wie Meixner verweist auch Luger auf die Schutzfunktion, die mit der Aufnahme einhergeht. Diese müsste eben auch einen Schutz vor „Overtourism“ beinhalten – und es liege im Verantwortungsbereich des Staates beziehungsweise der lokalen Politik, diesen zu garantieren.

Als Beispiel nennt der Experte die Altstadt von Salzburg. Hier sei es zwar gelungen, den Bustourismus einzudämmen, allerdings stelle der individuelle touristische Verkehr nach wie vor ein großes Problem dar. Anstelle des Ausbaus von Garagen benötige es hier innovativere Verkehrskonzepte.

Doch welche Rolle spielt der Welterbestatus bei dieser Art von Stadttourismus? Luger konnte in einer Studie belegen, dass sich rund ein Drittel der städtischen Wertschöpfung der „Tourismusmilliarde“ Welterbethemen zuordnen ließe. Das müsse jedoch nicht unbedingt heißen, dass Touristen und Touristinnen nur deshalb die Stadt besuchten. Eine Ausnahme würden freilich dezidierte „Kulturtouristen und -touristinnen“ bilden.

Ansicht von Venedig
Reuters/Manuel Silvestri
Venedig erließ ein Durchfahrtsverbot für große Kreuzfahrtschiffe durch Teile der Lagune und entging damit knapp einer Einstufung als bedrohtes Welterbe

Venedig als Beispiel für Chancen und Risiken

Ähnlich äußert sich Meixner: „Die meisten Stätten wären auch ohne Welterbestatus touristische Hotspots.“ Neben Salzburg sei auch Venedig so ein Beispiel. Menschen aus aller Welt reisen dorthin, „weil es sich um eine einzigartige, außergewöhnlich historische Stadt handelt. Diese Einzigartigkeit ist auch gleichzeitig der Grund, warum Venedig und seine Lagune unter dem Schutz des UNESCO-Welterbes stehen.“

Und weiter: „Die UNESCO will im Rahmen der Konvention genau das für kommende Generationen bewahren, was diese Stätten außergewöhnlich und universell wertvoll – und damit sehenswert – macht. Deswegen ist die UNESCO bzw. das Welterbe aber nicht automatisch für die touristische Übernutzung verantwortlich.“

Gerade Venedig zeige aber auch das Potenzial der Schutzfunktion auf. Die Lagunenstadt sei, nicht zuletzt aufgrund des „Overtourism“, kurz vor einer Eintragung auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes gestanden. „Dass nach jahrelangem Hin und Her nun knapp vor der heurigen Sitzung die Verbannung großer Kreuzfahrtschiffe angekündigt wurde, lässt die Vermutung zu, dass die Diskussionen um das Welterbe hier den nötigen Impuls für diese politische Entscheidung gegeben haben“, so Meixner.

Wie kommen Stätten überhaupt auf die Liste?

Doch wie kommen Stätten überhaupt auf die Welterbeliste? Die Nominierung der Stätte obliegt dem jeweiligen Staat, in dem sich diese befindet. Das Nominierungsdossier müsse neben einer genauen Beschreibung des außergewöhnlichen universellen Wertes der Kultur- bzw. Naturstätte, wissenschaftliche Studien, eine Darstellung der nationalen, gesetzlichen Schutzinstrumente, die den Schutz der potenziellen Stätte garantieren, detailliertes Kartenmaterial sowie einen umfangreichen Managementplan enthalten, wie es von der UNESCO gefordert wird.

1.100 Stätten

Auf der Welterbeliste stehen mehr als 1.100 Kultur- und Naturstätten in 167 Ländern. 51 davon gelten als bedroht. Österreich ist auf der Liste mit zwölf Welterbestätten vertreten.

Danach werde das Dossier von Expertinnen und Experten evaluiert. Hierbei wird überprüft, ob alle Kriterien des Welterbeübereinkommens erfüllt werden. So muss es etwa ein „Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft“, ein „außergewöhnliches Zeugnis einer kulturellen Tradition oder einer bestehenden oder untergegangenen Kultur“ oder „überragende Naturerscheinungen“ darstellen. Die endgültige Entscheidung trifft letztlich dann das Welterbekomitee, das sich aus 21 gewählten Vertragsstaaten zusammensetzt.

Mit einer Eintragung verpflichten sich die Staaten dazu, den Schutz der Kultur- bzw. Naturstätte zu garantieren. Sieht die UNESCO den Erhalt jedoch gefährdet, eben etwa durch Masssentourismus, kommt die Stätte auf die Rote Liste. „Dies ist nicht als Sanktion zu verstehen, sondern soll durch die verstärkte internationale Aufmerksamkeit und Solidarität zur Bewahrung und zum Schutz des Welterbes beitragen“, heißt es seitens der ÖUK. Werden allerdings keine Gegenmaßnahmen getroffen, wird die Stätte von der Welterbeliste gestrichen.