Belarussische Sprinterin Krystsina Tsimanouskaya
Reuters/Issei Kato
Entführungsversuch?

Sprinterin kämpft gegen Rückkehr nach Belarus

Die Olympischen Spiele sind plötzlich politisch geworden: Der Fall der belarussischen Sprinterin Kristina Timanowskaja beschäftigt die japanische und europäische Regierungen und das Internationale Olympische Komitee (IOC). Nach dem möglichen Entführungsversuch bzw. Versuch einer zwangsweisen Rückreise nach Belarus befindet sich Timanowskaja derzeit in einem Hotel am Flughafen von Tokio. Am Montag bat sie einem Agenturbericht zufolge Polen um Asyl.

Das IOC bestätigte an Montag, die Läuferin habe die Nacht in einem Hotel am Tokioter Flughafen Haneda in einer „sicheren Umgebung“ verbracht. Sie befinde sich in den Händen der Behörden, sagte IOC-Sprecher Mark Adams, ohne jedoch nähere Angaben dazu zu machen. Man habe vom olympischen Komitee ihres Landes einen schriftlichen Bericht eingefordert. Man müsse zunächst die genaueren Hintergründe und Einzelheiten zu dem Vorfall abwarten. Damit sitzt Timanowskaja bis auf Weiteres in ihrem Hotelzimmer fest.

Zuvor hatte die Sportlerin selbst gesagt, sie befinde sich vorerst in Sicherheit. Das kurze Statement hatte die Belarussische Sport-Solidaritätsstiftung (BSSF) via Telegram öffentlich gemacht. Die BSSF sprach von einer versuchten „gewaltsamen“ Ausreise.

Die weißrussische Leichtathletin Krystsina Tsimanouskaya mit Polizisten auf dem Flughafen in Tokio
Reuters/Issei Kato
Auf Tokios Haneda-Flughafen wandte sich die Läuferin an die japanische Polizei

Bericht über Asylansuchen in Polen

Der Präsident des Österreichischen Olympischen Comites (ÖOC), Karl Stoss, erklärte am Montag, Timanowskaja sei an das UNO-Flüchtlingshochkommissariat vermittelt worden. Ihm zufolge werde Timanowskaja „geholfen, und sie wird bestmöglich beraten“. Zuvor hatte die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, Timanowskaja strebe Asyl in Deutschland oder Österreich an.

Tschechien und Polen boten der Sportlerin en Angaben zufolge ein Visum an – einem AFP-Bericht zufolge betrat die Leichtathletin am Montag die polnische Botschaft in Tokio. Ihr Ehemann bestätigte der Nachrichtenagentur, dass sie nach Polen ausreisen wolle. Auch er flüchtete nach eigenen Angaben aus dem autoritär regierten Belarus und hält sich demnach in Kiew in der Ukraine auf.

Österreicher schreibt Timanowskajas Trainingspläne

Das ÖOC bestätigte unterdessen, dass „ÖLV-Nationaltrainer Philipp Unfried mit ihr im Vorfeld der Spiele zusammengearbeitet hat. Er steht aber aktuell nicht in Kontakt mit Timanowskaja, ist in die diplomatischen Verhandlungen naturgemäß nicht eingebunden. Das gilt auch fürs ÖOC. Wir sind in keiner Weise involviert.“ Unfried schreibt die Trainingspläne für Timanowskaja.

Kritik an Funktionären geübt

Timanowskaja, die am Montag über 200 m antreten sollte, hatte Kritik an einem Sportfunktionär ihres Landes geübt, weil sie dieser ohne ihr Wissen für die 4-x-400-m-Staffel eingeteilt hatte. Einige Läuferinnen waren laut Timanowskaja wegen verpasster Dopingtests ausgefallen. „Es stellt sich heraus, dass unsere großartigen Chefs wie immer alles für uns entschieden haben“, schrieb sie daraufhin auf Instagram.

„Anweisung von oben“

Belarussische Staatsmedien hätten daraufhin eine Kampagne gegen die Leichtathletin begonnen und sie als „Schande für die Nation“ bezeichnet, berichtete der Journalist Tadeusz Giczan auf Twitter. Wie Giczan hervorhob, habe Timanowskaja nicht das Regime des autoritär regierenden Staatschefs Alexander Lukaschenko kritisiert, sondern sich in einem Video lediglich darüber beklagt, dass der belarussische Verband sie für einen Bewerb registriert hat, für den sie nicht trainiert habe.

Leiter des Olympischen Komitees von Belarus ist Viktor Lukaschenko, der älteste Sohn des Staatschefs. Gegenüber Reuters erklärte Timanowskaja, ihr Cheftrainer habe ihr gesagt, die „Anweisung von oben“ zu haben, sie zu „entfernen“.

Belarussische Athletin „in Sicherheit“

Nach Kritik an belarussischen Sportfunktionären hätte Sprinterin Kristina Timanowskaja offenbar gegen ihren Willen von den Olympischen Spielen in Tokio nach Belarus gebracht werden sollen. Mittlerweile ist die 24-Jährige nach eigenen Angaben „in Sicherheit“. Unbestätigten Berichten zufolge wollte sie in Österreich um Asyl ansuchen. Das Internationale Olympische Komitee bestätigte mittlerweile, die Sportlerin sei „sicher und geschützt.“.

Appell an IOC auf Flughafen

Am Sonntag seien Betreuer in ihr Zimmer gekommen und hätten ihr aufgetragen zu packen. Die Leichtathletin wurde zum Flughafen Haneda in Tokio gebracht. Auf dem Airport wandte sie sich an die japanische Polizei und bat um Hilfe. In einem Video rief die 24-Jährige das Internationale Olympische Komitee zum Einschreiten auf: "Ich stehe unter Druck, das belarussische Team versucht, mich gegen meinen Willen aus dem Land zu bringen. Dem Onlinemedium By.tribuna.com sagte sie: „Ich habe Angst, dass man mich in Belarus ins Gefängnis stecken könnte.“

Das Olympische Komitee von Belarus erklärte nach der Kritik, die 24-Jährige scheide auf ärztliches Anraten wegen ihres „emotionalen und psychologischen Zustands“ aus dem Wettbewerb aus. Die Athletin wies das als Lüge zurück und erklärte laut BSSF, dass sie noch nicht einmal untersucht worden sei. Sie hätte „nicht so harsch reagiert, wenn man mich vorher informiert, mir die ganze Situation erklärt und mich gefragt hätte, ob ich in der Lage sei, die 400 m zu laufen“, so die Athletin in einem späteren Instagram-Post. „Aber sie haben beschlossen, alles hinter meinem Rücken zu machen.“

Oppositionschefin fordert Untersuchung

Die im Exil lebende belarussische Oppositionschefin Swetlana Tichanowskaja bedankte sich auf Twitter für die rasche Reaktion des IOC. Die Sprinterin habe „das Recht auf internationalen Schutz“ und darauf, weiter an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Zudem forderte sie eine Untersuchung wegen der Verletzung der Rechte der Athletin.

Der belarussische Machtapparat von Lukaschenko geht hart gegen Kritikerinnen und Kritiker und Andersdenkende vor. Zuletzt hatte es Razzien gegen unabhängige Medien und Nichtregierungsorganisationen gegeben, bei denen mehrere Menschen festgenommen wurden. Die EU erkennt den immer wieder als „letzten Diktator Europas“ kritisierten Lukaschenko seit der weithin als gefälscht geltenden Präsidentenwahl vor rund einem Jahr nicht mehr als Staatsoberhaupt an. Bei Protesten in den Monaten nach der Wahl gab es mehrere Tote, Hunderte Verletzte und Tausende Festnahmen.