Bild zeigt das Lidl Logo auf einer Filiale.
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Sorge um Vermächtnis

Führungskrise und große Pläne bei Lidl

Der Inhaber des größten Einzelhandelsunternehmens in Europa ist medienscheu – Fotos und Interviews von Dieter Schwarz gibt es kaum. Umso stärker mehren sich die Spekulationen, was in der Schwarz-Gruppe, zu der Lidl gehört, los ist. Der 81-Jährige nahm in einer Führungskrise noch einmal die Zügel in die Hand und setzt große Pläne um. Dabei verändert er auch seine gesamte Heimatregion.

Neckarsulm in Baden-Württemberg hört sich vielleicht nicht nach Wirtschaftsmetropole an. Doch hier ist die Zentrale des größten europäischen Handelskonzerns, der Schwarz-Gruppe, beheimatet – oder sie war es. Schwarz zog es in die Nachbargemeinde Bad Wimpfen, wo eine neue und größere Zentrale errichtet werden konnte – ein fünfteiliger Neubau, der den beschaulichen Kurort in großem Stil verändert. Das internationale Geschäft bleibt weiter in Neckarsulm ansässig.

Lidl und die Schwarz-Gruppe prägten in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur die Region, sondern auch den weltweiten Lebensmittelhandel. 1973 gründete Dieter Schwarz auf den Fundamenten der Südfrüchtehandlung seines Vaters den ersten Diskonter mit Namen Lidl, heute sind auf der ganzen Welt rund 500.000 Menschen in der Gruppe beschäftigt. Schwarz selbst hat laut „Bloomberg Billionaires Index“ mit einem geschätzten Vermögen von 25 Milliarden US-Dollar den 64. Platz auf der Rangliste der reichsten Menschen der Welt inne.

Konflikt über Nachfolge

Trotz dieser enormen Daten ist wenig über den 81-Jährigen bekannt. Die gesamte Führung des Weltkonzerns ist außerordentlich verschwiegen. Umso mehr horcht die Wirtschaftswelt auf, wenn Streit in der Chefetage publik wird. In den vergangenen Wochen war der Konflikt über die künftige Aufstellung des Konzerns derart hochgekocht, dass Schwarz, der sich in den Nullerjahren zurückgezogen hatte, erneut das Ruder in der Konzernleitung übernommen hat. Nun werden die Weichen für die Zukunft gestellt – personell, inhaltlich und strukturell.

Menschen warten in einer Schlange vor einer Lidl Filiale in London.
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Lidl-Filialen gibt es in über 30 Ländern. Bild: Walshamstow nahe London

Der Streit hatte sich an der nächsten Führungsgeneration entbrannt. Schwarz’ engster Vertrauter, der 73-jährige Klaus Gehrig, hatte laut Medienberichten eine neue Richtung einschlagen wollen. Gehrig, im Unternehmen wegen seiner Durchsetzungsfähigkeit „Killerwal“ genannt, war seit den 1970er Jahren Schwarz’ rechte Hand.

Gemeinsam bauten sie Lidl vom Lebensmittelhändler um die Ecke zum Weltkonzern mit mehr als 12.500 Filialen in 33 Ländern auf. Doch plötzlich ging die jahrzehntelange Partnerschaft im Juli zu Ende. „Klaus Gehrig ist nicht mehr Chef der Schwarz-Gruppe“, hieß es in einer Mitteilung. Laut „Süddeutscher Zeitung“ („SZ“) hatte Gehrig die 30-jährige Topmanagerin Melanie Köhler stark gefördert und mit Aussagen Spekulationen veranlasst, sie könne seine Nachfolgerin werden.

„Es geht um das Vermächtnis“

Dabei galt schon ein anderer als aussichtsreichster Kandidat für die Führung in zwei Jahren – Gehrigs eigentliches Zieldatum für die Pension. Zuvor war längst schon Gehrigs Stellvertreter, der 49-jährige Lidl-Chef Gerd Chrzanowski, aufgebaut worden. Auch Schwarz setzte auf Chrzanowski und beobachtete Köhlers Aufstieg zunehmend misstrauisch, so die „SZ“.

Schließlich sei es zu einem Konflikt zwischen den beiden Anwärtern gekommen. Gründer Schwarz habe ein Machtwort gesprochen, um Köhler aus dem Rennen zu holen. Was folgte, waren der Rücktritt der Managerin und der Abschied Gehrigs, dem nach über 40 Jahren das Vertrauen entzogen worden war. Mit ihm gingen noch weitere Führungskräfte, der personelle Umbau ist in vollem Gange.

Die Pflöcke für Lidls Zukunft sind eingeschlagen, der Richtungskampf entschieden. Bis der neue Konzernchef Chrzanowski tatsächlich das Ruder übernimmt, bleibt Schwarz als alleiniger Herr über Lidl im Amt. Es gehe um die Zukunft des Imperiums, so die „SZ“: „Das heißt, welcher Führungsstil dann herrschen wird und allgemein, ob Lidl und Kaufland Discounter alter Prägung sein werden oder digitalisierte Glaspaläste. Es geht um das Vermächtnis, das beide Herren hinterlassen werden.“

Lidl steigt in IT-Dienstleistungen ein

Auch die Konzernstrategie wird neu ausgerichtet, es geht in Richtung Digitalisierung. Die Schwarz-Gruppe, zu der neben Lidl auch Kaufland gehört, ist längst nicht mehr allein Lebensmitteldiskonter. Auch im Müll- und Recyclinggeschäft mischt die Gruppe erfolgreich mit. Die Zukunft sieht man aber in Bad Friedrichshall. Die dritte Gemeinde im Einflussgebiet von Lidl wird Heimat für einen Firmencampus mit IT-Standort und eigener Cloud. 5.000 Jobs werden dort geplant. Die Gruppe will groß ins Geschäft mit Datenspeichern und technologischen Dienstleistungen einsteigen.

Rege Bautätigkeit ist auch in Bad Wimpfen zu sehen. Erst im März öffnete hier die neue Deutschlandzentrale von Lidl, fünf Flachbauten samt viergeschoßiger Tiefgarage mit 1.500 Parkplätzen. Laut „SZ“ sollen in der 7.000 Einwohner zählenden Stadt im Rahmen des betrieblichen Mobilitätskonzepts bald autonom fahrende Busse die Beschäftigten der Zentrale kutschieren.

Expansion hat auch Gegner

Die Ausbreitung des Schwarz-Imperiums in der Region geht vielen Anrainerinnen und Anrainern längst zu weit. Umweltschützerinnen und -schützer liefen Sturm gegen den neuen Firmensitz. Bei der Gemeinderatswahl vor zwei Jahren errangen Vertreter einer Bürgerinitiative aus dem Stand heraus Mandate im nur 18-köpfigen Gemeinderat, so die „Stuttgarter Zeitung“. Sie befürchteten nicht nur ein großes Anwachsen von Verkehrsproblemen, sondern weitere große Umbauten in der mittelalterlichen Stadt angesichts des „unbegrenzten Expansionsdranges“ des Konzerns.

Die Stadt hingegen steht hinter den Plänen, Bad Wimpfen erfreut sich an einem ordentlich Zuwachs bei den Gewerbesteuereinnahmen, Bad Friedrichshall wird zum Silicon Valley von Baden-Württemberg. Der 81-jährige Schwarz hat in der Region einen tiefen Fußabdruck hinterlassen. Auch wenn es für manche ein „Lidl too big“ ist, wie die „SZ“ titelte.