„Ich habe 2001 gesagt, eigentlich sollte man den Bericht nicht mehr benötigen. Weil wir wissen, was das Problem ist. Und weil wir wissen, was dagegen zu tun ist. Nur, das war vor 20 Jahren“, so die Klimawissenschaftlerin Renate Christ im Gespräch mit ORF.at. Sie arbeitete rund zehn Jahre als Generalsekretärin im IPCC-Sekretariat, der „Kommandozentrale“ des Weltklimarats, und gewann dementsprechend tiefe Einblicke hinter die Kulissen.
Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, auf Deutsch Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) wurde 1988 von der UNO-Umweltorganisation (UNEP) sowie der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) gegründet und zählt fast 200 Staaten zu seinen Mitgliedern. Seine Aufgabe ist es, die Politik neutral über die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel und über mögliche Gegenmaßnahmen zu informieren.

IPCC-Report „einzigartig in der Wissenschaftsgeschichte“
So schreibt auch Ottmar Edenhofer, selbst einst Vorsitzender des IPCC, in seinem Buch „Klimapolitik“: „Der Weltklimarat ist die führende internationale Institution, die umfassend, objektiv und transparent Informationen zusammentragen soll, damit Entscheidungsträger Klimafolgen sowie Vermeidungs- und Anpassungsoptionen bewerten können.“
Buchhinweis
Ottmar Edenhofer und Michael Jakob: Klimapolitik. Verlag: C. H. Beck Wissen, 138 Seiten, 10,90 Euro.
Rund alle sechs Jahre werden daher Sachstandsberichte veröffentlicht – der IPCC-Report. Dazwischen gibt es Sonderberichte zu bestimmten Themen, etwa dem 1,5-Grad-Ziel. Der IPCC ist ein Projekt, das „einzigartig in der Wissenschaftsgeschichte“ ist, wie es auf der Olineplattform Klimafakten heißt. Schließlich fänden sich „Tausende Forscherinnen und Forscher alle paar Jahre zusammen, um gemeinsam einen Bericht über den Erkenntnisstand in ihrem Fachgebiet zu schreiben. Sie arbeiten ehrenamtlich. Sie diskutieren Tage, Wochen, Monate über einzelne Formulierungen.“
Tausende Experten: Von Physikern bis Philosophen
Die Teams, die zu einem bestimmten Thema arbeiten, seien nicht nur sehr divers, sondern auch interdisziplinär, erklärt Christ. So sei es normal, dass neben Physikern etwa auch Philosophen zu Wort kommen: „Die haben einfach einen anderen Blickwinkel und eröffnen sehr viele neue Perspektiven", so die Klimaexpertin.
Die Teams betreiben selbst jedoch keine Forschung, sondern werten Tausende bereits existierende Studien aus und fassen die zentralen Erkenntnisse daraus zusammen. Allein für den ersten Teil, der nun vorgestellt wird, sind laut IPCC rund 14.000 Studien untersucht worden.

„Hätte mir während Pandemie eine Art IPCC gewünscht“
An dem sechsten Report arbeitete IPCC zufolge ein Kernteam aus rund 700 Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Das Auswahlkriterium, so heißt es von mehreren Seiten, sei einzig und allein die wissenschaftliche Expertise.

Dazu kommen mehrere tausend externe Expertinnen und Experten, die in einem mehrstufigen Begutachtungsverfahren ihre Kritik dazu abgeben. „Diese Kommentare werden Schritt für Schritt und Zeile für Zeile durchgeackert“, so Christ.
Christ zieht auch einen Vergleich zur Pandemie. Hier sei man zu Beginn jeden Tag mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen konfrontiert worden, etwa ob Kinder nun ansteckend seien oder nicht. „Da hätte ich mir gewünscht, dass es auch in diesem Bereich so eine Art IPCC gibt.“
Drei Teile, drei Perspektiven
Insgesamt besteht der Bericht aus drei Teilen: Der erste Teil behandelt die naturwissenschaftlichen Grundlagen und Entwicklungen des Klimawandels. Im zweiten Teil werden die Auswirkungen und die Möglichkeiten der Anpassung an die Erderwärmung analysiert – sowohl aus natur- als auch aus sozialwissenschaftlicher Perspektive.
Im dritten Teil werden abschließend Optionen und Technologien aufgezeigt, um Emissionen zu reduzieren – hier wird auch die Sicht von Wirtschaft und Politik berücksichtigt. Der erste Teil des Berichts wird am Montag, der zweite im Februar und der dritte im März veröffentlicht. Im September 2022 soll der Synthesebericht vorliegen.
Wegweisend für globale Klimapolitik
Der Fokus des Berichts habe sich über die Jahre jedoch verschoben, sagt Douglas Maraun von der Uni Graz und Mitautor des sechsten Berichts. Früher sei die Hauptfrage gewesen: „Was ist der Anteil des Menschen am Klimwandel?“. Diese Frage sei mittlerweile geklärt. Nun gehe es mehr in Richtung Klimarisiken, wobei der Bericht als Grundlage für Anpassungen diene. „Es geht darum zu verstehen, wie sich Extremereignisse verändern und welche Klimarisiken in Zukunft auftreten könnten“, so Maraun gegenüber science.ORF.at – mehr dazu in science.ORF.at.

Neben dem dreiteiligen Bericht gibt es auch eine Zusammenfassung für politische Entscheidungsträgerinnen und -träger. Vor diesem Hintergrund gilt der Bericht auch als wegweisend für die globale Klimapolitik. So dürften die Erkenntnisse des ersten Teils etwa bereits bei der UNO-Klimakonferenz im November in Glasgow eine Rolle spielen.
Wie politisch ist der Bericht?
Diese Zusammenfassung wird gemeinsam mit Regierungsvertretern und -vertreterinnen verabschiedet. Diese könnten zwar noch Änderungen erwirken, jedoch nur, wenn die wissenschaftlichen Fakten unverändert blieben, so Christ. „Wenn etwas evidenzbasiert ist, hat die Wissenschaft das letzte Wort.“ Durch ihre Zustimmung erkennen die Regierungen dann auch die Aussagen des Berichts an.
Der Weltklimarat betont, dass der Bericht zwar für die Politik „relevant“ sei, allerdings keine bestimmte Politik vorgebe, sondern neutral über die verschiedenen Möglichkeiten informiere. Auch Christ meint, dass die Abstimmung mit den politischen Akteuren oftmals sogar zu „besseren und klareren“ Aussagen führe.

Kritik an vorsichtigen Warnungen
Unterdessen kritisiert Klimapolitikexperte Reinhard Steurer von der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) gegenüber ORF.at, dass es durch die Abstimmung bisher sehr wohl zu einer Abschwächung der wissenschaftlichen Aussagen gekommen wäre. So bleibt etwa abzuwarten, ob der Weltklimarat wirklich vor einem „Aussterben der Menschheit“ warnen werde, wie in einem an die Öffentlichkeit geratenen Entwurf des Reports festgehalten wurde. Für Steurer geht es „in der Tat um das langfristige Überleben unserer Zivilisation, wie wir sie kennen“.
In der Vergangenheit hätten die IPCC-Berichte jedenfalls oft zu vorsichtig von der Klimakrise gewarnt. Die „alltägliche Verharmlosung der Klimakrise“ sowie „der Glaube, wir könnten alles mit neuer Technologie lösen, die sich ohne starke politische Eingriffe durchsetzen wird“, seien große Probleme. „Wer das behauptet, verleugnet die Dringlichkeit des Problems bzw. die dafür nötigen Lösungen“, so Steurer.
Neuer Bericht die bisher „eindringlichste Warnung“
Christ meint hingegen, dass es nicht an den Warnungen des IPCC-Reports scheiterte, sondern an den ausbleibenden Reaktionen darauf – vieles habe sich eben in die falsche Richtung entwickelt. „Die negativen Folgen gehen jetzt einfach viel schneller als noch vor 20 Jahren.“
Darum seien die Berichte nun auch „wesentlich dramatischer“. Am Sonntag hieß es vorab, der diesjährige Bericht sei die bisher „eindringlichste Warnung“ vor dem menschengemachten Klimawandel.
Was den Kampf gegen die Klimakrise betreffe, brauche es Christ zufolge eine strukturelle und systemische Herangehensweise – Einzelinteressen und Haarspalterei hätten dabei keinen Platz. Folglich wünsche sie sich, dass man sich die Aussagen des neuen Berichts „zu Herzen nimmt“.