Eindrücke der Austellung
Oleksii Zakharov
Vasily Klyukin

Das Universum als Ansichtssache

Der russische Künstler Vasily Klyukin ist im Rahmen der Venedig Biennale 2019 aufgefallen, als er mit „In Dante Veritas“, Dante Alighieris „Inferno“, den ersten Teil der „Göttlichen Komödie“, mit zahlreichen Skulpturen umsetzte. Nun sind in der Schau „Civilization. The island of the day before“ im Bank Austria Kunstforum erstmals raumfüllende Wandskulpturen Klyukins in Österreich zu sehen, die beim Betrachten als Projektionsfläche für eine Welt in der Krise fungieren.

Architektur, Futurismus und Abstraktion, das sind die Parameter, mit denen sich die aufwendigen, mal amöbenhaften, oft kraterförmigen bis zu sechs Meter großen Wandskulpturen Klyukins beschreiben lassen. Der 1976 im Moskau geborene Künstler hat einen langen Weg bis zu seiner künstlerischen Karriere hinter sich, der seine Arbeitsweise und Technik speist.

In den kapitalistischen Umbrüchen im Russland der 1990er Jahren machte Klyukin als Banker Karriere, bevor er sich der futuristischen Architektur zuwandte, neben Science-Fiction-Literatur eine wesentliche Säule in seinem Kosmos an Formen und Bezügen. Die Arbeit an seinen Skulpturen speisen seine Erfahrungen mit architektonischem Entwerfen – sie entstehen in monatelanger Arbeit mit Computermodellen, die auf Basis naturwissenschaftlicher Formeln generiert werden. Die Umsetzung mit Polykarbonat auf Stahl- und Holzkonstruktionen, das mit Acrylfarben bemalt wird, folgt erst als letzter Schritt.

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Eindrücke der Austellung
Olga Ozik
„Crmn“, Mixed Media, 2019–2021 (Detail)
Eindrücke der Austellung
Oleksii Zakharov
„Gravity“ und „Dark Matter“, Mixed Media, 2019–2020
Eindrücke der Austellung
Olga Ozik
„DSO20“, Mixed Media, 2019–2021
Eindrücke der Austellung
Oleksii Zakharov
„50 Y.O./2.0“, Mixed Media, 2019–2021
Eindrücke der Austellung
Oleksii Zakharov
„B-Trip“, Mixed Media, 2019–2021
Eindrücke der Austellung
Olga Ozik
„X-Sasha“, Messing, 2019

Erzählung des Universums in Polykarbonat

Klyukin bezieht sich in „Civilization. The island of the day before“ explizit auf Immanuel Kant, Albert Einstein, Auguste Rodin und Leonardo da Vinci. Sein überquellender und eklektischer Referenzraum reicht auch schon mal bis hin zu Ernst Alfred Cassirers Kulturphilosophie – und steht in auffälligem Kontrast zu seinen Arbeiten, die er gegenüber ORF.at als sein „Angebot an die Ausstellungsbesucher, sich ihr eigenes Universum zu erschaffen“, versteht.

Ausstellungshinweis

„Civilization. The island of the day before“ ist im Bank Austria Kunstforum Wien, Freyung 8, noch bis zum 30. August, täglich von 10.00 bis 18.00 Uhr zu sehen.

Die reduzierte kreisrunde Form der sich seriell durch die Ausstellung vervielfältigenden Skulpturen bildet tatsächlich nur in kleinen Hinweisen ein direktes Sinnangebot, etwa in Varianten, die mit lavaroter Färbung auf Zerstörung verweisen, in einem Weiß, das Vereisungen zitiert, oder einem tiefschwarzen Triptychon, das an Zerstörung und Endzeitliches denken lässt.

Die Stoßrichtung ist deutlich: Die monumentalen Skulpturen, die aus der Nähe die Leichtigkeit des Materials und die Filigranität ihrer Strukturen offenbaren, erzählen eine Geschichte vom Entstehen und Vergehen eines Planeten, der der unsere sein könnte. Der eigentliche Akteur dieser Geschichte des Anthropozäns – der Mensch – bleibt aus der Darstellung ausgesperrt und wird zum Betrachter gemacht, der nun über seine Auswirkungen auf die Natur rätseln darf.

Geschichtsphilosophische Spekulation

Ein zentrales Werk, die Installation „The Engines of Life“ nutzt vier der Skulpturen als Leinwand für eine Videoarbeit Klyukins. Dem Stadium der Harmonie folge darin jenes der Evolution, der Revolution schließlich des Chaos – eine Spekulation über die Dynamik geschichtlicher Prozesse, die mit der Hintergrundfolie der Geschichte Russlands und Klyukins Vorliebe für philosophische Referenzen stimmig und eindrücklich auf die Besucherinnen und Besucher wirkt.

Kritik an Blick in die Vergangenheit

Klyukin, sozialisiert mit Science-Fiction-Autoren wie Isaac Asimov, und selbst Autor des Science-Fiction-Romans „Collective Mind“ ist fasziniert von Zukunftsvorstellungen. In gewisser Weise ist die Konzeption von „Civilization. The island of the day before“ eine Kritik an rückwärtsgewandtem Denken, gerade auch angesichts der Krisen der Gegenwart, erklärte die Kuratorin Anne Avramut im Gespräch mit ORF.at. Der Titel sei eine Anspielung auf Umberto Ecos Roman „Die Insel des vorigen Tages“ (1994), in dem die Hauptfigur Roberto de La Grive im 17. Jahrhundert vor einer einsamen Insel kentert.

Eindrücke der Austellung
Oleksii Zakharov
Das Triptychon „B-Trip“ lässt apokalyptische Interpretationen zu

Diese Insel befindet sich am 180. Längengrat, also der Datumsgrenze. La Grive beobachtet ständig die Insel, auf der schon ein vergangener Tag herrscht. Klyukins Kunst zeige, „dass wir unentwegt auf eine ‚Insel des vorigen Tages‘ blicken, anstatt in die Zukunft und für diese Verantwortung zu übernehmen.“

Gerade diese Verantwortung mahnen Objekte wie das über sechs Meter lange und zwei Meter hohe „Black Hole“ ein, indem sie andeutungsweise und abstrakt auf mögliche Konsequenzen fataler Rückwärtsgewandtheit hinstoßen, ohne sich auf eine Botschaft mit erhobenem Zeigefinger festzulegen. „Civilization. The island of the day before“ ist mit ihren rund vierzig Objekten eine Schau, die zur Überprüfung der eigenen Vorstellungen und Projektionen einlädt.