Saskia Rosendahl und Tom Schilling in einer Filmszene aus „Fabian oder der Gang vor die Hunde“
Lupa Film/Hanno Lentz
„Fabian“

Wenn Dominik Graf „Mad Men“ macht

Das Deutschland der späten 1920er und frühen 30er Jahre gilt gern als Vergleichsfolie zu unserer Zeit – und ist dank Serien wie „Babylon Berlin“ auch Sehnsuchtsraum einer Erzählung zügelloser Umbrüche. Jetzt liegt ein neuer Spielfilm von drei Stunden zu dieser Epoche vor, der die einen rätseln lässt und die anderen in Ekstase versetzt. Dominik Graf hat Erich Kästners „Fabian“ verfilmt, den Germanisten, der am Vorabend der Machtergreifung Adolf Hitlers als Werbetexter und Propagandist ein früher Don Draper sein könnte, wäre er nicht Moralist, der sich nur ungelenk auf die Zeichen der Zeit einstellen kann. Und doch kurz die große Liebe entdecken darf.

An Graf ist im deutschen Gegenwartskino niemand vorbeigekommen – und nichts müsste sich dieser Mann noch beweisen, der jeden „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ zu Abhandlungen über die Möglichkeiten des Erzählens mit Bewegtbildern macht. Wer ihn nicht kennt, muss gewarnt sein, denn Graf, der so viele Filmemacher ausgerechnet für das Entwickeln ganz enger Filmhandschriften inspiriert hat (man denke an Christian Petzold), ist in seinem eigenen Fach der Meister der unbegrenzten Möglichkeiten. Und wenn er Geschichte vor unserem Auge entstehen lässt, tut er das aus den Möglichkeiten der Gegenwart heraus, aber nicht, um ein Abbild einer Epoche zu schaffen oder auch, siehe „Babylon Berlin“, ein Hochglanzbild einer fiktionalen Geschichtsauffassung.

Poesie entsteht im Zwischenraum

Graf macht Handwerk, in der das Handwerkliche oder Kantige sichtbar bleibt. Aus den einzelnen Szenen heraus entsteht großes Kino, aneinander gereiht sind sie teilweise noch härter als in Tarantinos „Pulp Fiction“. Graf geht es allein um die Stimmung einer Zeit, nicht um Zeitgeschichte mit und als Dekor. Und so ist auch Tom Schilling als Dr. Jakob Fabian, der Germanist, der als Werbetexter so etwas wie einen Vorläufer eines Don Draper aus „Mad Men“ markiert, ohne ein Kreativteam zu haben, sondern im beruflichen Gegenüber nur Menschen, die ihn befremden, ein Antiheld. Nicht von ungefähr wird er aus der Gegenwart heraus zurück in die Geschichte geführt. Von Anfang an begegnen ihm, der in der Vorlage von Kästner als Moralist gedacht ist, nur Widersprüche.

Tom Schilling in einer Filmszene aus „Fabian oder der Gang vor die Hunde“
Lupa Film/Hanno Lentz
Tom Schilling als Fabian als „Held unserer Zeit“

Fabian, der immer nur mit dem Nachnamen angeredet wird, versucht die Welt zu ordnen, ein Unterfangen, das nicht gut gehen kann, denn die Zeit überfordert ihn mit Grenzüberschreitungen. Die Ehefrau, die zur Hure wird, gespielt von Meret Becker, zieht ihn von Anfang an in eine Welt, die so etwas wie einen neutralen Beobachter nicht zulässt. Fabian ist in gewisser Weise ein Bruder des Franz Biberkopf aus Döblins „Berlin Alexanderplatz“ – und Graf damit auch der Fortschreiber einer Form von Film, die bei Rainer Werner Fassbinder und dessen Spiel mit der Orientierungslosigkeit im Berlin der 1920er Jahre ansetzt.

Manchmal gibt es sogar „weniger als das Butterbrot“

Wenn der Biberkopf „mehr“ will als das bekannte „Butterbrot“, so würde Fabian, der ja literaturgeschichtlich wenige Jahre nach ihm zur Welt kommt, meinen, er sei über diesen basalen Existenzkampf hinweg. Doch als er Cornelia kennenlernt, kommt das Butterbrot als Notration, die Cornelia immer ins Fenster stellt, um sie am Ende nicht mit Fabian zu teilen, sondern selber zu essen, in der Erinnerung daran, dass der Mensch nicht nur von Kunst und Liebe alleine lebe, sondern tatsächlich Hunger habe, wieder ins Spiel. Fabian notiert derweil Grundsätzliches zur Liebe in ein Heft – und Cornelia wird sich mit einem Vortrag genau dieser von Fabian geschenkten Seite beim reichen Filmproduzenten bewerben und mit dem melancholischen Abgesang auf die Liebe ihr wirtschaftliches Überleben sichern.

FilmTIPP: Fabian oder der Gang vor die Hunde

Erst im Jahr 2013 ist Erich Kästners 1931 entstandener Roman „Fabian“ in seiner Originalfassung erschienen. Jetzt hat der deutsche Regisseur Dominik Graf das Buch verfilmt. Mit Textzitaten und einem kühnen Mix aus Bildmaterial und Stilmitteln ist Graf eine überzeugende Literaturverfilmung gelungen. Liebesdrama, Geschichtsstunde und eine Hommage an das Medium Film.

Ein Vorspiel auf die „#MeToo“-Debatte will Graf in dieser Szene nicht sehen – die Filmbranche sei für ihn immer schon der Ausdruck einer gnadenlos kapitalistischen Maschine, wie er zuletzt in einem lesenswerten Interview mit dem „Falter“ erzählte: „Das ist der kapitalistische Saustall, der die Filmindustrie nun einmal war.“

Saskia Rosendahl in einer Filmszene aus „Fabian oder der Gang vor die Hunde“
Filmladen
Saskia Rosendahl als Cornelia Battenberg: Die reine Liebe dauert kurz, die Sehnsucht nach ihr atmet dieser Film zur Mitte in jeder kleinen Sequenz

Ein Ensemble aus Stellvertreterfiguren

Und wenn nun Fabian bei Kästner und bei Graf zu so etwas wie einem Realisten werden soll auf diesem Bildungsweg der Zeit (der natürlich immer auch einer der Innerlichkeit ist), so mag das einerseits „Neue Sachlichkeit“ heißen und erneut auf eine zeitgeschichtliche Stimmung verweisen. Graf schafft aber eine größere Erzählung über das Getriebe von Wirtschaft und Gesellschaft, wo die Einzelnen Stellvertreterfiguren sind (auch das verbindet diese Arbeit in gewisser Weise mit späteren Serien wie „Mad Men“, auch wenn die mit ihren Stellvertretern in großer Liebe im ästhetischen Dekor einer Zeit baden).

Hinweis

„Fabian oder der Gang vor die Hunde“ ist am 6. August in den heimischen Kinos angelaufen.

Niemandem kann man sich nähern, das ist die große Leistung dieses Kinos, das Empathie und Gefühl in den Zwischenräumen der Gestaltung entstehen lässt. Der Film, auf den man sich einlassen muss und der einen in den ersten 20 bis 30 Minuten durch Grafs Tour de Force seines Gestaltungswillen schleift, kippt in große poetische Momente und in einer der vielleicht schönsten Erzählungen über die Annäherung zweier Menschen, bei der das Moment der Distanz ebenso entscheidend ist wie die Nähe. Und in den Fugen: großartige Lichtinszenierungen, die so beiläufig daherkommen wie die von Graf eingesetzte Musik. „Das Licht ist die Luft der Zeit“, so Graf, der meint, man müsse vor allem das Licht filmen.

Vielleicht ist Grafs Film ein Meisterwerk in der Zeit, weil es zwar Mittel wie Super 8 und Collagierungen wie aus einer vergangenen Welt einsetzt. Alleine aber die Entscheidung für das Format 4:3 gegen 16:9 zeigt, dass Graf die Gesetze der Bildsprache der Gegenwart, auch ihrer Flüchtigkeit, kennt wie wenig andere. Jede und jeder kann in diesen Film einsteigen. Die Lust dazu muss man haben. Es gibt Gründe, raus zu gehen, ins Kino hinein – und den Serienfernseher hinter sich zu lassen.