Biden: Afghanen müssen selbst gegen Taliban kämpfen

Der Kampf gegen die militant-islamistischen Taliban ist nach Ansicht von US-Präsident Joe Biden nunmehr eine Sache der Afghanen. Angesichts des jüngsten Vormarschs der Islamisten nach dem weitgehenden Abzug der internationalen Truppen sagte Biden gestern im Weißen Haus, die Afghanen müssten nun „selbst um ihren Staat kämpfen“.

Ihre Streitkräfte seien den Taliban militärisch überlegen, auch in Bezug auf die Truppenstärke. „Aber sie müssen auch kämpfen wollen“, sagte Biden.

Appell an Regierung

Der US-Präsident appellierte auch an die politische Führung in Kabul, an einem Strang zu ziehen. Wörtlich sagte er: „Ich glaube, sie beginnen zu verstehen, dass sie an der Spitze politisch zusammenkommen müssen.“ Biden versprach, die USA würden die afghanischen Sicherheitskräfte weiterhin finanziell und militärisch unterstützen. Er werde jeden Tag über die Lage unterrichtet.

Mit Blick auf den von ihm angeordneten Abzug des US-Militärs fügte der Präsident hinzu: „Aber ich bedauere meine Entscheidung nicht.“

Abzug fast gänzlich abgeschlossen

Zum Zeitpunkt der Entscheidung hatten die USA noch rund 2.500 Soldaten in Afghanistan. Inzwischen ist der Abzug nach Militärangaben zu mehr als 95 Prozent abgeschlossen. Bis zum Monatsende soll er komplett beendet sein. Die deutsche Bundeswehr und die Soldaten anderer NATO-Länder haben Afghanistan bereits verlassen.

Seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen Anfang Mai haben die Taliban viele Gebiete erobert. Zuletzt nahmen sie in kurzer Folge die achte Provinzhauptstadt Pol-e Kumri ein. Nach zunächst unbestätigten Berichten soll am Abend auch die Stadt Faizabad in die Hände der Dschihadisten gefallen sein.

Geheimdienste rechnen mit baldigem Fall Kabuls

Angesichts des schnellen Vormarsches der Taliban könnte die Hauptstadt Kabul nach einem Bericht viel früher in die Hände der Aufständischen fallen als bisher von den USA angenommen. Der Zusammenbruch könnte in 30 bis 90 Tagen erfolgen, berichtete die „Washington Post“ unter Berufung auf nicht genannte Quellen in den US-Geheimdiensten.

Noch im Juni hatten US-Geheimdienstmitarbeiter die Lage so eingeschätzt, dass Kabul in einem Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten nach dem Abzug des US-Militärs unter Kontrolle der Taliban geraten könnte.

EU-Botschafter empfehlen Abschiebestopp

Die EU-Botschafter in Afghanistan empfehlen indes, Abschiebungen in das Krisenland vorerst auszusetzen.

Angesichts des sich verschärfenden Konflikts, der prekären Sicherheits- und Menschenrechtslage sowie des Mangels an sicheren Räumen im Land werde empfohlen, eine vorübergehende Aussetzung von Zwangsrückführungen aus EU-Mitgliedsstaaten nach Afghanistan zu erwägen, heißt es in einem an die Mitgliedsstaaten versendeten Bericht der EU-Missionschefs in Kabul.