Migranten in einem eingezäunten Bereich eines Camps in der litauischen Grenzstadt Kapciamiestis
APA/AFP/Petras Malukas
Illegale Grenzübertritte

Litauen über Belarus entrüstet

Der Konflikt zwischen Litauen und Belarus über illegale Grenzüberschreitungen hat am Mittwoch eine neue Eskalationsstufe erreicht. Vilnius beschuldigte belarussische Behörden, Geflüchtete ins Land getrieben und dabei selbst illegal die Grenze übertreten zu haben, und ist entrüstet. Auch Warschau wirft Minsk „Erpressung“ mit Geflüchteten an der polnischen Grenze vor.

Litauen übermittelte wegen der illegalen Grenzüberschreitung durch belarussische Sicherheitskräfte eine Note an die Führung in Minsk. Darin sei ein „entschiedener Protest gegen wiederholte Verletzungen der litauischen Staatsgrenze“ zum Ausdruck gebracht worden, teilte das Außenministerium des baltischen EU- und NATO-Landes am Mittwoch in Vilnius mit. Nach Angaben des litauischen Grenzschutzes hatte am Dienstag ein Dutzend belarussischer Sicherheitskräfte illegal die Grenze zum benachbarten Litauen überschritten.

Demzufolge sollen die mit Schilden und Helmen ausgestatteten Beamten eine Gruppe von 35 Geflüchtete über die Grenze gedrängt und dabei litauisches Territorium betreten haben. Sie sollen sich erst nach wiederholter Aufforderung nach Belarus zurückgezogen haben. Der Grenzschutz veröffentlichte ein Video, das den Vorfall an der litauisch-belarussischen Grenze belegen soll.

Vilnius: „Weitere Provokation“

Regierungschefin Ingrida Simonyte sagte, Litauen nehme den Vorfall sehr ernst. Die Videoaufnahmen zeigten, dass belarussische Sicherheitskräfte an der Organisation der illegalen Migration beteiligt seien. Außenminister Gabrielius Landsbergis sprach von einer „weiteren Provokation und Spannungseskalation in einer bereits ziemlich angespannten Situation“. Nach seinen Worten seien auch Litauens NATO- und EU-Partner über den Vorfall informiert worden.

Belarussische Grenzmarkierung neben Natodraht
Reuters/Janis Laizans
Belarussische Grenzmarkierung

Litauen könne eine solche Provokation nicht tolerieren, sagte Innenministerin Agne Bilotaite. Der Präsident des Europaparlaments, David Sassoli, verurteilte bei einem Besuch in Vilnius den Vorfall und sicherte Litauen Hilfe zu: „Es ist eine Frage der Menschlichkeit, aber auch eine Frage des Schutzes der Grenze der Europäischen Union.“

Heuer schon Tausende Geflüchtete

Litauen hat seit Wochen mit einem verstärkten Andrang von Geflüchteten vor allem aus dem Nahen Osten über die Grenze zu Belarus zu kämpfen. Nach offiziellen Angaben wurden in diesem Jahr bereits gut 4.100 Menschen an der fast 680 Kilometer langen Grenze aufgegriffen. Im gesamten Vorjahr waren es gerade einmal 81 gewesen.

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte Ende Mai angekündigt, dass Minsk Geflüchtete nicht mehr an der Weiterreise in die EU hindern werde – als Reaktion auf die gegen sein Land verhängten EU-Sanktionen. Lukaschenko beklagte, die EU habe Geld für sein Land gestrichen. Die EU fordere zwar den Schutz der Grenze. „Aber wer wird dafür bezahlen?“, fragte er.

Die Staatsmedien im benachbarten Belarus schlachten den Ausnahmezustand in Litauen seit Wochen aus. Lukaschenko zeigt auf Litauen und klagt, die Geflüchteten würden unmenschlich wie im „Konzentrationslager“ behandelt. Nicht Belarus, sondern der Westen müsse Verantwortung übernehmen für seine Politik in Afghanistan, im Irak und anderswo. Dort sei alles zerstört worden. „Verständlich, dass auch die Migration über Belarus zugenommen hat“, sagte der Machthaber.

Litauen baut Zaun an Grenze

Litauens Regierung dagegen spricht von „hybrider Kriegsführung“ gegen das eigene Land und die gesamte Europäische Union. Die EU, deren Innenminister am Mittwoch über die Lage beraten wollten, wirft Lukaschenko vor, er benutze „Flüchtlinge als Waffe“ gegen die EU. Anfang August hatte der litauische Grenzschutz begonnen, Geflüchtete abzuweisen, die über Belarus illegal ins Land kommen wollen.

Vergangene Woche hatte das Parlament in Vilnius für den Bau eines Grenzzauns zum Nachbarland gestimmt. Damit solle die Notlage bewältigt werden. Die Arbeiten an der Barriere aus Stacheldraht mit einer Gesamtlänge von 550 Kilometern hatten bereits vor gut einem Monat begonnen. Die autoritäre Führung in Minsk hat daraufhin Teile ihrer Grenze geschlossen.

Polens Armee verstärkt Grenzschutz

Zuletzt nahm auch der Druck auf Polen zu. Die Geflüchteten, die an der Grenze der beiden Länder feststeckten, würden von Lukaschenko „ausgenutzt“, sagte Regierungschef Mateusz Morawiecki. „Es kann nicht sein, dass Herr Lukaschenkos Erpressung uns dazu zwingt, irgendjemanden aufzunehmen.“

„Der Grenzschutz wird es illegalen Migranten nicht erlauben, Polen zu betreten“, sagte Polens Innenminister Maciej Wasik am Mittwoch. Die Menschen befänden sich „auf der belarussischen Seite“, so Wasik, „die Grenze ist versiegelt“. Polen setzt inzwischen die Armee an seiner Grenze zu Belarus ein. Mehr als 900 Soldaten würden den polnischen Grenzschutz verstärken, schrieb Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak am Mittwoch.

Nach Angaben des Innenministeriums versuchten allein im August 1.935 Menschen, illegal die Grenze von Belarus nach Polen zu überqueren. Der Grenzschutz habe 1.175 Geflüchtete von einem Grenzübertritt abhalten können. Weitere 760 Menschen seien festgehalten und in geschlossenen Unterkünften untergebracht worden.