Flughafen in Kabul
Reuters/US Air Force
Evakuierungen

Taliban wollen Verlängerung nicht zustimmen

Die Debatte darüber, die Frist für Evakuierungsmaßnahmen in Kabul zu verlängern, geht weiter. Die Taliban wollen einer Fristverlängerung über August hinaus aber nicht zustimmen, hieß es am Montag. Die internationale Gemeinschaft arbeitet inzwischen weiter mit Hochdruck daran, Menschen auszufliegen. In Ungarn landeten am Montag 173 aus Kabul gerettete Menschen, darunter auch Österreicher.

US-Präsident Joe Biden zeigte sich zuletzt offen für eine mögliche Verlängerung der Rettungsmission. Eigentlich war der Abschluss bis zum 31. August geplant, doch die Frist bis dahin dürfte kaum ausreichen, um genügend Menschen aus Afghanistan auszufliegen.

Nach der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban fürchten zahlreiche Menschen Racheaktionen der Dschihadisten und wollen das Land verlassen. „Wir hoffen, dass wir nicht verlängern müssen“, sagte Biden am Sonntag im Weißen Haus. Sollten andere G-7-Staaten aber um eine längere Präsenz der US-Truppen auf dem Kabuler Flughafen bitten, werde er antworten, „dass wir sehen werden, was wir tun können“. Die Staats- und Regierungsspitzen sieben wichtiger Industriestaaten kommen am Dienstag zu einem Onlinesondergipfel zu Afghanistan zusammen.

Für Taliban „rote Linie“

Auch die NATO wollte am Montag kein konkretes Datum für ein Ende der Evakuierungsflüge nennen. Laut dem deutschen Außenminister Heiko Maas wird derzeit mit den USA und der Türkei darüber verhandelt, ob der Flughafen in Kabul auch zivil weiter betrieben werden kann. Man verhandle mit den Nachbarstaaten Afghanistans, damit diese Flüchtlinge aufnehmen, die das Land auf dem Landweg verlassen. Dafür habe man 100 Millionen Euro bereitgestellt. Zudem sollten deutsche Botschaften in den Nachbarstaaten Menschen schnell und unkompliziert Visa für eine Einreise nach Deutschland ausstellen.

Maas sagte, man stehe auch mit den Taliban in Kontakt. Diese ließen am Montag allerdings wissen, dass sie einer Verlängerung der Frist nicht zustimmen würden, wie ein Sprecher am Montag dem britischen Nachrichtensender Sky News sagte. „Würden die USA oder Großbritannien zusätzliche Zeit erbeten, um die Evakuierungen fortzusetzen, wäre die Antwort Nein“, sagte Suhail Shaheen, ein Mitglied der Taliban-Delegation in Doha, der Hauptstadt Katars. Die für den 31. August festgesetzte Frist sei eine „rote Linie“, so Shaheen weiter.

Sie zu verschieben käme einer Verlängerung der militärischen Besatzung seines Landes gleich. Dazu gebe es keinen Grund. Er fügte hinzu: „Es wird Misstrauen schaffen zwischen uns. Wenn sie vorhaben, die Besatzung zu verlängern, wird das eine Reaktion hervorrufen.“

Trudeau für Sanktionen gegen die Taliban

Kanadas Premierminister Justin Trudeau sprach sich unterdessen vor dem G-7-Gipfel am Dienstag für Sanktionen gegen die Taliban aus. „Wir sind dabei, weitere Sanktionen in Betracht zu ziehen“, sagte er. Die Taliban würden in Kanada bereits als terroristische Vereinigung eingestuft, „aber wir werden mit unseren G-7-Partnern über die nächsten Schritte sprechen.“ Kanada hatte am Donnerstag mit Evakuierungsflügen aus Kabul begonnen.

Die Situation in der Nähe des Flughafens sei jedoch nach wie vor „sehr unbeständig und chaotisch“, warnten kanadische Regierungsbeamte. Das Land hatte kürzlich zugesagt, 20.000 afghanische Flüchtlinge im Rahmen eines Einwanderungsprogramms aufzunehmen. Die Frage, ob er eine Verlängerung des US-Rettungseinsatzes aus Kabul über den 31. August hinaus befürworte, wollte Trudeau indessen nicht beantworten.

Schüsse auf dem Flughafen

Die Lage auf dem Flughafen in Kabul ist weiter angespannt, nach Angaben der deutschen Bundeswehr gab es ein Feuergefecht zwischen afghanischen Sicherheitskräften und unbekannten Angreifern. Dabei sei eine afghanische Sicherheitskraft getötet worden. Im weiteren Verlauf des Gefechts seien auch US- und deutsche Streitkräfte beteiligt gewesen.

Grafik zum Flughafen Kabul
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: dpa/NY Times

Die Gefahr eines Terroranschlags auf den Kabuler Flughafen scheint groß. Wie zuvor bereits die US-Regierung warnte auch Biden vor der Gefahr von Attacken der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) auf dem Flughafen. „Wir wissen, dass Terroristen versuchen könnten, die Situation auszunutzen und unschuldige Afghanen oder amerikanische Truppen anzugreifen“, sagte er. Die Taliban und der IS sind verfeindet und haben einander in der Vergangenheit bekämpft.

Russland sieht zudem die Gefahr eines neuen Bürgerkriegs, wie Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag der Agentur Interfax zufolge sagte. Eingreifen werde man nicht. „Natürlich hat niemand vor, sich in diese Ereignisse einzumischen“, so Peskow auf die Frage nach einer möglichen russischen Intervention in den Konflikt. Die aktuelle Situation berge aber „eine zusätzliche Gefahr und Bedrohungen“.

Österreicher ausgeflogen

Die Bemühungen etlicher Staaten, die Rettung voranzutreiben, laufen auf Hochtouren. Montagfrüh erreichte eine Maschine mit Österreichern an Bord Budapest, wie Ungarns Außenminister Peter Szijjarto bekanntgab. Ungarn habe die 173 Personen aus Usbekistan nach Europa gebracht, auch auf Bitte der USA und Österreichs hin, so Szijjarto laut Reuters. Wie die ungarische Botschaft in Wien sowie das Außenministerium gegenüber ORF.at bestätigten, handelt es sich um zwei österreichische Staatsbürger und um sechs afghanische Angehörige dieser.

Mit der ungarischen Luftwaffe seien sie am Sonntag zunächst aus Kabul ins usbekische Buchara gebracht worden, anschließend per Chartermaschine nach Budapest. In Usbekistan arbeite ein Krisenteam mit Beamten des Außen-, Verteidigungs- und Innenministeriums daran, „noch einige Dutzend“ Menschen nach Österreich zu bringen, so Ministeriumssprecherin Gabriele Juen.

Anschlagsgefahr auf Flughafen Kabul

Tausende Menschen versuchen seit der Machtübernahme durch die Taliban, das Land zu verlassen. Die US-Regierung warnt, dass der Flughafen von Kabul das Ziel eines Anschlags der Terrororganisation IS werden könnte.

Am Sonntag seien zudem einige Österreicher mit Hilfe Deutschlands aus Afghanistan gebracht worden, so das Außenministerium weiter. Man stehe in ständigem Kontakt mit den Partnern dort und sei ihnen für die Unterstützung dankbar. Juen hatte am Sonntag in der ZIB2 gesagt, das Problem für die Auszufliegenden liege nicht an mangelnden Plätzen in Maschinen aus Afghanistan. Die Schwierigkeit liege darin, überhaupt erst zum Flughafen zu gelangen. Die Menschen müssten diesen Weg auf eigene Faust unternehmen.

USA richten in Deutschland Notunterkünfte ein

Auch etliche weitere NATO-Mitgliedsstaaten fliegen kontinuierlich Menschen aus. Französische Spezialkräfte brachten am Montag auch mit US-Unterstützung 260 Mitarbeiter der EU-Kommission in Kabul auf das Flughafengelände. Rund 4.000 aus Afghanistan ausgeflogene Menschen könnten vorübergehend auf US-Stützpunkten in den deutschen Bundesländern Bayern und Rheinland-Pfalz untergebracht werden.

Wie ein Sprecher der US Army Europe der dpa bestätigte, werden an den Standorten Grafenwöhr und Kaiserslautern entsprechende Vorbereitungen getroffen. Demnach sollen in Sicherheit gebrachte Menschen dort so lange bleiben, bis sie zu ihren endgültigen Zielorten gebracht werden können.

Versorgung gefährdet

Die UNO hatte am Sonntag vor einer humanitären Katastrophe in Afghanistan gewarnt. Nicht nur die militärische Lage im Land sei verheerend, sondern auch die Dürre. Sie gefährde die Versorgung der Menschen. Das UNO-Kinderhilfswerk will seine Arbeit in Afghanistan ausweiten. Dazu gehörten u. a. die Verteilung von Lebensmitteln und Trinkwasser sowie die medizinische Versorgung Hunderttausender vertriebener Familien im Land, wie UNICEF-Exekutivdirektorin Henrietta Fore am Montag mitteilte.

US-Präsident Biden unter Druck

Die Mehrheit der Amerikaner ist mit dem Truppenabzug aus Afghanistan unzufrieden. Die Beliebtheitswerte von US-Präsident Joe Biden sinken. Die USA haben die Sicherheitszone um den Flughafen Kabul nun vergrößert.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bat am Montag um Unterstützung bei der Lieferung medizinischer Hilfsgüter nach Afghanistan. Wegen der Zustände auf dem Kabuler Flughafen könnten 500 Tonnen solcher Fracht nicht wie geplant diese Woche ins Land gebracht werden, so eine WHO-Sprecherin in einer E-Mail an die Nachrichtenagentur Reuters. Zu den Gütern gehörten unter anderem Medikamente gegen Lungenentzündung bei Kindern und OP-Ausrüstung. Die WHO schlug vor, dass leere Evakuierungsflugzeuge auf dem Weg nach Afghanistan einen Zwischenstopp beim WHO-Großlager in den Vereinigten Arabischen Emiraten einlegen und die Güter an Bord nehmen sollten.