Zeichnung in Microsoft Paint auf einem Bildschirm
ORF.at/Tamara Sill
Paint

Kleine Kunst mit großem Farbkübel

Viele Computerbesitzerinnen und -besitzer werden wohl zumindest kurz über eine Karriere in der Kunst nachgedacht haben: Mit Paint gibt es seit 1985 auf praktisch jedem PC ein einfaches Malprogramm, das so manches kleine Kunstwerk auf den Bildschirm gebracht hat. Auch wenn das Programm seit drei Jahrzehnten praktisch unverändert ist und der Farbkübel selten macht, was man will – nicht jedes Paint-Bild ist automatisch Krixikraxi.

Ein ausgefülltes Rechteck, drei Linien in verschiedenen Farben und zum Schluss mit der Spraydose keine Fläche weiß lassen – nach der zehnminütigen Kaffeepause besteht kein Zweifel: Auf diesem Computer ist gerade große Kunst entstanden. Genauso schnell, wie das Bild entstanden ist, verschwinden die Pixel auch wieder, noch bevor die – womöglich vernichtende – Kritik kommt.

Neben dem Kartenspiel Solitär ist das Maltool wohl eine der größten Ablenkungen auf Windows-PCs – und das seit mehr als 35 Jahren. Für Windows 11, die neue Version des Betriebssystems, wird Paint etwas aufgefrischt, wurde im Vorfeld der Veröffentlichung angekündigt. Große Neuerungen sind aber nicht zu erwarten.

Von Microsoft eigentlich schon abgeschrieben

Dass es überhaupt ein Update gibt, ist eher überraschend: 2017 hieß es von Microsoft, dass Paint nun als „veraltet“ gelte und nicht mehr aktualisiert werde. Der anschließende Aufschrei im Netz dürfte den Softwaregiganten zumindest offiziell zum Umdenken bewegt haben – von „veraltet“ ist seit 2019 nicht mehr die Rede.

Zumindest auf den ersten Blick ist Paint – früher Paintbrush – vom Funktionsumfang über die letzten drei Jahrzehnte ohnehin praktisch unverändert geblieben: Statt Schwarz-Weiß und später vier Farben kann man jetzt zwar auf 16,7 Millionen zurückgreifen, und mit Windows 7 sind die Werkzeuge von der Seite nach oben gewandert. Aber detaillierte Fotobearbeitung ist heute ebenso wenig möglich wie damals.

Suche nach Verwendungszweck für die Maus

In den 80er Jahren entwickelte sich ein plötzlicher Konkurrenzkampf bei Bildbearbeitungsprogrammen, ausgelöst durch eine weitere technische Errungenschaft der Zeit: In diesen Jahren gewann die Computermaus an Popularität. Beim Macintosh, dem als revolutionär gefeierten Computer von Apple, war sie Teil des Lieferumfangs. Neben der praktischen Funktion, jetzt Texte per Maus kopieren und einfügen zu können, konnte man damit auch zeichnen – Apple verkaufte dazu die Software MacPaint, die auch dem heutigen Microsoft Paint noch recht ähnlich ist.

Auf dem PC gehörte die Maus noch nicht zur Standardausrüstung – die Firma Mouse Systems versuchte das Steuergerät zu etablieren und bot auch eine Malsoftware namens PCPaint an, nicht nur vom Namen an Apples Konkurrenzprodukt angelegt. Mit der steigenden Popularität fand sich auch dafür rasch Konkurrenz – unter anderem in Form von PC Paintbrush von ZSoft.

Zu dieser Zeit entwickelte Microsoft die erste Windows-Version – und auch Microsoft wollte wohl ein Malprogramm im Repertoire haben, um der steigenden Popularität der Maus Rechnung zu tragen. Statt einer Eigenentwicklung lizenzierte das Unternehmen kurzerhand PC Paintbrush, das fortan Teil von Windows wurde.

Comics und Gemälde

Nach heutigen Standards ist der Funktionsumfang jedenfalls stark eingeschränkt – gerade das macht Paint aber für einige Künstlerinnen und Künstler offenbar besonders attraktiv. Neben Kritzeleien und Strichmännchen gibt es nämlich tatsächlich Anwendungszwecke für Paint. In den 2000er-Jahren entstanden etwa zahlreiche Webcomics mit der Software – viele von ihnen verwendeten später andere Programme wie Adobe Photoshop, behielten den kruden Stil, den Paint seinen Usern praktisch aufzwang, aber bei.

Und manchmal entstehen Bilder, denen man auf den ersten Blick gar nicht ansieht, dass sie mit einem Programm entstanden sind, das nach 36 Jahren Entwicklung neun Pinseltypen und einen virtuellen Bleistift im Repertoire hat. Rund um die vermeintliche Paint-Abschaffung machte sich der Amerikaner Patrick Hines einen Namen, der seine Bilder ausschließlich mit dem Programm malt. Bei seinen Nachtschichten als Wächter in einem Krankenhaus hatte er viel Zeit vor dem Computer – und wie er der BBC 2017 sagte, habe er dabei nur die Wahl zwischen Solitär und Paint gehabt.

Beschränkungen als Unterscheidungsmerkmal

Auch auf YouTube und der Diskussionsplattform Reddit finden sich zahlreiche Paint-Fans, die ihr Können zum Besten geben. Teilweise ist auch die Entstehung der Pixelgemälde akribisch dokumentiert – und lässt keine Zweifel daran, dass diese Bilder tatsächlich in Paint gezeichnet wurden.

Und auch wenn sich wohl kein Bild in Galerien wiederfinden lässt – viele haben die Beschränkungen des angegrauten Software-Dinosauriers zum Stilmerkmal gemacht und zeigen oft recht eindrucksvoll, dass es also weniger um das Werkzeug oder die Software, sondern mehr um das Können an sich geht. Die Paint-Künstlerinnen und -Künstler eint wohl ein wesentliches Detail: In einer einzelnen Kaffeepause sind ihre Bilder allesamt nicht entstanden.