Menschen stehen auf dem Flughafengelände in Kabul Schlange vor einem Militärflugzeug
Reuters/U.S. Marine Corps/Samuel Ruiz
USA

Evakuierungen auch von Taliban abhängig

Die USA halten weiter am Plan fest, ihre Truppen bis zum 31. August aus Afghanistan abzuziehen. US-Präsident Joe Biden ließ sich am Dienstag nicht zu einer Verlängerung der US-Truppenpräsenz bewegen. Zugleich erklärte das Weiße Haus, dass die Evakuierungen auch von der Kooperation der Taliban abhängig seien. Diese pochten einmal mehr auf einen US-Abzug bis Ende August.

Das Drängen der europäischen Verbündeten, den US-Miltäreinsatz in Kabul über den August hinaus zu verlängern, stößt bei Biden weiterhin auf taube Ohren. Das Weiße Haus erklärte am Dienstag, der Präsident habe bei dem virtuellen Krisentreffen der G-7-Staats- und Regierungschef klargemacht, dass die USA weiterhin an den gesetzten Fristen festhielten: Bis 31. August sollen alle US-Truppen aus Afghanistan abgezogen sein. „Je früher wir es abschließen, desto besser“, sagte Biden bei einer mehrfach verschobenen Pressekonferenz Dienstagabend.

Mehr als 70.000 Menschen seien in den vergangenen Tagen aus Afghanistan ausgeflogen worden, so der US-Präsident. Das sei auch möglich gewesen, weil die Taliban sich nicht gegen die Evakuierungen gestellt hätten. Die internationale Gemeinschaft werde die Islamisten nach ihren Taten beurteilen, wenngleich sich „niemand von uns auf das Wort der Taliban verlassen“ werde, sagte Biden. Bereits zuvor hatte das Weißen Haus in einer schriftlichen Stellungnahme mitgeteilt, dass die Evakuierungen auch von der „anhaltenden Koordinierung mit den Taliban“ abhingen.

Joe Biden
AP/Susan Walsh
Biden bekräftigte am Dienstag einmal mehr,an den Abzugpslänen bis 31. August festzuhalten

„Notfallplan möglich“

Jeder weiterer Tag in Kabul erhöhe das Risiko für die US-Truppen, so Biden. Dabei verwies er ausdrücklich auf die Gefahr eines Angriffs durch einen örtlichen Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat, der auch mit den Taliban verfeindet ist.

Allerdings hielt sich Biden auch am Dienstag die Option für eine Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes zumindest noch offen. „Der Präsident hat das Pentagon und das Außenministerium beauftragt, Notfallpläne zu erstellen, um den Zeitplan anzupassen, sollte das notwendig werden“, so die Sprecherin des Weißes Hauses.

Taliban pochen auf 31. August

Die militant-islamistischen Taliban, die fast alle Landesteile Afghanistans sowie die Hauptstadt Kabul – bis auf den Flughafen – kontrollieren, pochten am Dienstag jedenfalls erneut darauf, dass sich die Amerikaner an den Abzug mit Ende August halten. Die Islamisten machten zuletzt mehrfach klar, dass sie eine weitere Präsenz westlicher Streitkräfte nicht dulden würden.

Schwierige Evakuierung aus Afghanistan

Knapp 6.000 US-Soldaten sichern den Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul, um von dort Menschen zu evakuieren. Die Soldaten sollen aber schon kommende Woche abgezogen werden. Tausende Menschen, darunter auch Österreicher, wollen das Land noch unbedingt verlassen.

Bereits am Montag hatte ein Taliban-Vertreter die für den 31. August gesetzte Frist als „rote Linie“ bezeichnet. Am Dienstag sagte Taliban-Sprecher Sabiullah Mujahid: „Wir wollen, dass alle Ausländer bis zum 31. August evakuiert werden.“ Er wandte sich zugleich dagegen, dass nun viele gebildete Afghanen das Land verließen. Man brauche diese, um Afghanistan wieder aufzubauen. Unklarheit herrschte am Dienstag darüber, ob die Taliban nun überhaupt gar keine Afghaninnen und Afghanen mehr zum Flughafen durchließen.

G-7-Staaten fordern freies Geleit für Ausreisewillige

Entsprechend optimistisch erscheint die Forderung der G-7-Staaten an die Taliban, Ausreisewilligen auch nach dem Stichtag Ende August freies Geleit zuzusichern. Der britische Premierminister und derzeitige G-7-Vorsitzende Boris Johnson erklärte nach dem virtuellen Gipfel der Gruppe zu Afghanistan, man plane ein Abkommen mit den Islamisten, in der diese Forderung die wichtigste Bedingung für eine Einigung sein solle.

Auch EU-Ratspräsident Charles Michel mahnte, es müsse einen „fairen und gerechten Zugang“ zum Flughafen für alle Menschen geben, die ein Anrecht darauf hätten, in Sicherheit gebracht zu werden. Michel forderte Biden auch erneut auf, sich in der Frage des Abzugs flexibel zu zeigen. Es sei nötig, den Flughafen so lange wie nötig zu sichern, um die Evakuierungen abzuschließen. Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte nach Angaben der Bündniszentrale bei den G-7-Beratungen für einen Weiterbetrieb des Flughafens in Kabul geworben.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, dass man auch nach Ende des von den USA abgesicherten Militäreinsatzes versuchen wolle, Menschen aus Afghanistan auszufliegen. Deswegen gebe es jetzt „sehr intensive“ Gespräche über den Weiterbetrieb des Flughafens.

Zeit drängt

Für die westlichen Staaten drängt die Zeit. Wenn die USA ihren Zeitplan durchziehen, dann dürften die internationalen Evakuierungsflüge wohl sogar noch einige Tage vor dem 31. August enden. Müssen die Amerikaner doch selbst noch Soldatinnen und Soldaten sowie Ausrüstung außer Landes schaffen. Pentagon-Sprecher John Kirby sagte am Dienstag, das dauere „mindestens mehrere Tage“.

„Es ist jetzt unvermeidlich, dass einige Amerikaner und einige unserer Verbündeten zurückgelassen werden“, sagte etwa der frühere US-Oberst Peter Mansoor am Dienstag dem Sender CNN. „Es ist unmöglich, dass wir sie alle bis Ende des Monats herausholen.“ Der Ex-Offizier rechnete noch „drei oder vier Tage“ mit Evakuierungsflügen. Die restlichen Tage würden die Streitkräfte für den Abtransport von Ausrüstung und für ihren eigenen Rückzug vom Flughafen benötigen.

UNO: Standrechtliche Hinrichtungen unter Taliban

Die Vereinten Nationen zeigten sich unterdessen beunruhigt über Berichte von Menschenrechtsverletzungen nach der Machtübernahme der Taliban. Darunter seien standrechtliche Hinrichtungen von Zivilisten und Angehörigen regierungstreuer Sicherheitskräfte, sagte die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, am Dienstag in Genf.