Szene aus dem Film „The Green Knight“
A24 Films/Eric Zachanowich
„The Green Knight“

Ein Antiheld beim Mittelalterfest

Die Legende von König Artus’ Neffen Gawain kommt neu ins Kino. In „The Green Knight“ spielt der britische „Slumdog Millionär“-Star Dev Patel den Antihelden in einem Filmspektakel, das vom Ökomärchen bis zur Rassismusparabel unterschiedlichste Deutungen zulässt.

Er ist ein Herumtreiber und Tagedieb, einer, der die Privilegien seiner noblen Herkunft ausnützt und sich in Bordellen vergnügt, der als Liebste eine Frau von niederem Stand hat und zugleich bei seiner Mama wohnt: Gawain ist niemand Geringerer als der Neffe von König Artus. Doch noch hat er sich seines Platzes in der Tafelrunde nicht würdig erwiesen.

Als Antiheld in dem spektakulär inszenierten Fantasyfilm „The Green Knight“ ist die Figur lose der Sagengestalt des Gawain aus der walisischen Mythologie nachempfunden, dessen Abenteuer im 14. Jahrhundert in der Ritterromanze „Sir Gawain and the Green Knight“ aufgeschrieben wurden. Die Sage handelt davon, wie eines Winterabends im Schloss von König Artus ein Unbekannter Einlass begehrt, ein grün gefärbter Ritter auf einem ebenso grünen Ross, der ein „Weihnachtsspiel“ vorschlägt.

Szene aus dem Film „The Green Knight“
A24 Films/Eric Zachanowich
Will nur spielen: Der Grüne Ritter taucht am Hof von König Artus auf

Eitelkeit und Fehleinschätzungen

Wer auch immer ihn mit seiner Streitaxt schlagen kann, dem gehört als Preis die wertvolle Axt. Überlebe er, der Grüne Ritter, wird er diesen Schlag am Weihnachtstag im darauffolgenden Jahr genauso erwidern. Gawain, der Jüngste in der Runde, wagt es. Er haut dem grünen Fremden mit einem mächtigen Hieb den Kopf ab. Dieser jedoch klaubt seinen Kopf vom Boden auf, lacht und empfiehlt sich bis zum nächsten Weihnachtsfest.

Warum hat Gawain dem Grünen nicht nur einen harmlosen Schlag verpasst? Warum hat er nicht Gnade walten lassen, warum bringt er sich in diese gefährliche Lage? Die Fragen drängen sich schon beim Urmaterial auf. In David Lowerys Neuinterpretation, die sich teils weit vom Ausgangsstoff entfernt, ist fast jede von Gawains Entscheidungen vor allem von seiner Unfähigkeit geprägt, von Eitelkeit – als Neffe des Königs muss er sich ja irgendwie würdig erweisen – und von einer ganzen Reihe eindrucksvoller Fehleinschätzungen.

So werden Mythen gemacht

Im uralten Heldengedicht wird Gawain nach Einlösen seiner „Spielschuld“ am Ende mit einem großen Fest daheim empfangen. Lowery lässt seinen Antihelden dagegen nicht so leicht davonkommen. Das beginnt schon bei der Reise, die er widerstrebend auf sich nimmt, nachdem ihn der König an sein Versprechen erinnern muss. So ganz ist er selbst nicht überzeugt, als er seiner Geliebten Essel erklärt: „Ich muss das tun, so werden Männer groß!“ und sie antwortet: „Wozu denn Größe, ist denn Güte nicht genug?“

In der Zwischenzeit ist sein Kampf gegen den Grünen Ritter bereits Legende geworden, die in jedem Beisl und jedem Kasperltheater tausendfach erzählt und ausgeschmückt wird, dabei fühlt Gawain sich so gar nicht heldenhaft. Schließlich reitet er los, ausgerüstet mit einem Gürtel aus der Hexenwerkstatt seiner Mutter, der ihn unbesiegbar machen soll. Die Abenteuer und Hindernisse, die er zu bewältigen hat, sind aufregend, konterkariert von langen Strecken des Stapfens über verlassene Schlachtfelder, durch Einöden, verregnete Wälder und nächtliches Dickicht.

Ritter im Rausch

Trotz streckenweise Ereignis- und Dialogarmut gibt es in „The Green Knight“ so viel zu erleben, dass das Denken kaum nachkommt und erst später einsetzt: In einem Schlüsselmoment in einer Höhle isst Gawain hungrig und frierend einen kleinen Pilz und hat daraufhin wilde Visionen. Die Visionen klingen den Rest des Films kaum noch ab. Was dem Rausch geschuldet ist und was die Legendenrealität sein soll, ist dabei von Beginn an nicht eindeutig zu unterscheiden.

Szene aus dem Film „The Green Knight“
A24 Films/Eric Zachanowich
Zu jung, zu schön, aus zu gutem Hause: Gawain (Dev Patel), leider etwas inkompetent

Eine der vielen Ebenen, die Lowerys Film verhandelt, ist das Entstehen von Mythen und Geschichten. Wenn irdene Riesinnen auftauchen oder ein sprechender Fuchs erscheint, wenn die geköpfte heilige Winifred aus der walisischen Heiligenlegende Gawain um Hilfe bei der Suche nach ihrem Schädel bittet, ist das alles unfassbar grandios anzusehen. Man fühlt sich bisweilen sehr an die magischen Bilderwelten von „The Cell“ (2000) und von „The Fall“ (2006) des indischen Regisseurs Tarsem Singh erinnert, als dessen Verehrer sich Lowery einmal in einer Rezension bekannt hat.

Schweben oberhalb der Wirklichkeit

Es ist nicht das erste Mal, dass sich der US-Regisseur erlaubt, von der Realität Abstand zu nehmen: In seinem Film „A Ghost Story“ (2017) – ein verstorbener Mensch wartet da als Geist vergeblich auf sein geliebtes Gegenüber – war es das Konzept linearer Zeit, das sein Protagonist hinter sich ließ. Dabei kann Lowery auch ganz anders: Der Vorgängerfilm von „A Green Knight“ war die Krimikomödie „Ein Gauner & Gentleman“ (2018), in der Robert Redford als charmanter Seniorbankräuber nicht nur viel Geld, sondern auch das Herz der Beraubten in Beschlag nimmt.

Ökomärchen oder Rassismusgleichnis?

„A Green Knight“ nun ist Lowerys bisher übermütigster Film. Und sosehr sich Lowery darin von konkreten Bedeutungen löst, so viele Deutungen lässt der Film zugleich zu: In der „Los Angeles Times“ fühlte sich etwa der Kritiker Mark Olsen an die Ästhetik und die finstere Moral von Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ erinnert; Angeline Rodriguez interpretierte im Onlinepopkulturmagazin Polygon „The Green Knight“ als Parabel auf den Kolonialismus und die Aufstiegssehnsüchte, die eine nicht weiße Mutter für ihren Sohn in einer weißen Welt hegt.

Szene aus dem Film „The Green Knight“
A24 Films/Eric Zachanowich
Grün wie die Liebe: Eine Lady im Wald (Alice Vikander) erläutert Gawain die Bedeutung der Farbe

Wer will, kann die Geschichte von Gawain und dem Grünen Ritter aber auch als Ökomärchen lesen: Es wirkt kaum zufällig, dass der Grüne Ritter aussieht wie ein zweibeiniger Baum und dass sein Zuhause mitten im Wald liegt. Eine Lady, der Gawain kurz vor seinem Ziel begegnet und die seiner Geliebten wie aus dem Gesicht geschnitten ist (beide werden gespielt von Alica Vikander), hält sogar eine kleine Rede über die Bedeutung der Farbe Grün: „Grün wird nicht zu besiegen sein“, sagt sie, „wenn du stirbst, wird dein Grabstein mit grünem Moos überwachsen.“

Die Geschichte spielt in einer Zeit, in der die Natur noch die größere Macht ist als der Mensch, und doch droht dieses Verhältnis bereits zu kippen. Gawain durchquert Schlachtfelder ohne Bäume, reitet an Holzfällern vorbei. Vielleicht ist Lowerys „The Green Knight“ also auch ein Gleichnis für den Widerstreit zwischen Mensch und Natur.

Keiner widersteht Dev Patel

Gewiss ist nur, dass „The Green Knight“ eine Coming-of-Age-Geschichte ist. Die charakterliche Reifung vom hartherzigen jungen Mann zum ritterlichen Helden will jedoch nur halb funktionieren: Gawain bleibt bis zum letzten Moment inkompetenter Tunichtgut, und dass er die Sympathie seines Publikums nicht verliert, liegt auch daran, dass sein Darsteller Patel ohne jede Zurückhaltung als Schönheit ausgestellt wird.

Gawain ist hochmütig und geizig, die Hälfte des Films verbringt er irgendwo verloren, gefesselt, halbtot, besoffen, bis auf die Wäsche ausgeraubt oder sonst wie indisponiert. Er schafft es kaum, ein vernünftiges Feuer zu entfachen, verliert sein Pferd, sein Schwert, seine große Liebe. Dass das Publikum dennoch weiter mit ihm mitfiebert, hat wohl auch damit zu tun, das er so blendend aussieht – und am Schluss mit Artus’ Krone strahlt wie ein Himmelskönig.

Im Film jedenfalls kann kein Gegenüber seinem Liebreiz widerstehen, fast jeder streichelt sein Antlitz, mitten im Wald küsst ihn ein anderer Ritter. So viel Zärtlichkeit wird ihm zuteil, dass sich online unter den Stichworten „Green Knight Face“ schon eine eigene Gattung von Memes finden lässt. Und so verführt Lowerys Film eben auch mit seiner Oberfläche: als eine Orgie reizvoller Bilder, deren Geheimnisse am Ende ungelöst bleiben.