Bild zeigt den Wartebereich in einer Impfstraße in Graz.
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Impftempo sinkt

Kommunikationsexperten rügen Politik

Die Impfkampagne gegen das Coronavirus hat in Österreich in den vergangenen Wochen an Fahrt verloren. Expertinnen und Experten vermissen eine klare Kommunikationsstrategie der türkis-grünen Koalition zur Steigerung des Impftempos. Die Regierung müsse dorthin gehen, „wo es wehtut“, sagte der Politologe Peter Filzmaier am Montag gegenüber Ö1.

Etwas mehr als 58 Prozent der in Österreich lebenden Menschen sind vollständig geimpft, 61 Prozent haben zumindest eine Teilimpfung erhalten. Das Impftempo ist seit Anfang Juli immer stärker gesunken. In den vergangenen zwei Wochen geht es bei den Erstimpfungen zwar wieder bergauf, allerdings auf sehr geringem Niveau. Zugleich steigt die Zahl der täglichen Neuinfektionen, auch auf den Normal- und Intensivstationen werden wieder mehr CoV-Kranke behandelt, die große Mehrheit davon ist ungeimpft.

Für den Herbst und den bevorstehenden Schulbeginn lässt das nichts Gutes erwarten. Die Virologin Dorothee von Laer warnte jüngst, in Österreich könnte ein neuerlicher Lockdown notwendig werden. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) haben die Einführung der „1-G-Regel“ für den Herbst angekündigt, sollten die Zahlen weiter steigen.

Sprechen mit „unterschiedlichen Stimmen“

Für Geimpfte sei die Pandemie vorbei, hatte Kurz vor dem Sommer gesagt. Seither sei „keine Strategie“ der Regierung erkennbar, sagte die Kommunikationsexpertin Nina Hoppe im Ö1-Morgenjournal. Die „große Schwierigkeit“ sei, „dass mit unterschiedlichen Stimmen gesprochen wird, sogar von denselben Personen“, sagte Hoppe.

Als Beispiel nannte sie die Aussagen von Mückstein zur Frage, ob der Zutritt zu gewissen Aktivitäten nur noch Geimpften vorbehalten sein soll: „Zuerst hat er das kategorisch abgelehnt mit 1-G, dann hat er gemeint: vielleicht ab Oktober. Und jetzt ist es sozusagen noch näher gerückt.“

Ebenfalls im Raum steht, dass CoV-Tests künftig nicht mehr gratis angeboten werden. Oder ihre Gültigkeitsdauer könnte verkürzt werden, wie das bereits in Wien der Fall ist. „Man kann es ‚sanften Druck‘ nennen, man kann es aber auch eine sehr unklare Kommunikation nennen“, sagte dazu Politologe Jakob-Moritz Eberl von der Uni Wien gegenüber Ö1. Eberl ist Teil des Austrian Corona Panel Project (ACPP), das Studien zur öffentlichen Meinung in der Pandemie durchführt.

Eine nicht unbeträchtliche Zahl an bisher Ungeimpften könnte sich potenziell umstimmen lassen. Es gehe um 15 bis 20 Prozent der impfbaren Bevölkerung, schrieb Eberl Montagnachmittag auf Twitter. „Diese Gruppe ist ungeimpft und noch erreichbar.“ Das seien etwa 50 bis 60 Prozent der ungeimpften, aber impfbaren Bevölkerung, so Eberl.

Rotes Kreuz gab „Österreich impft“-Kampagne ab

Die Bundesländer versuchen derzeit mit niederschwelligen Angeboten, mehr Menschen zum Impfen zu motivieren. Was die Taten anbelangt, gehe Wien hier den „schlüssigsten Weg“, so Eberl. Allerdings lasse auch in der Bundeshauptstadt die Information „ein bisschen zu wünschen übrig“. Denn die, die man noch überzeugen könnte, brauchten Informationen, etwa über Nebenwirkungen der Impfung und die Gefahr von „Long Covid“.

Für Aufklärung sorgen sollte auch die bundesweite Initiative „Österreich impft“. Das Rote Kreuz gab die Betreuung der Kampagne im Juli an das Bundeskanzleramt ab. Viel ist seither nicht passiert. „Das ist der ungünstigste Zeitpunkt, den man sich hätte aussuchen können, denn Mitte Juli hätte diese Kampagne in Wahrheit an Fahrt aufnehmen müssen“, sagte Kommunikationsexpertin Hoppe, und weiter: „Und weil wir ja wissen: Wenn man sich Mitte, Ende Juli den Erststich noch geholt hätte, wären wir mit Ende August, Mitte September mit dem Zweitstich durch und hätten jetzt auch diese Problematik mit dem Schulanfang nicht.“

Die Regierung hat Rahmenverträge für Regierungswerbung und Infokampagnen in Millionenhöhe ausgeschrieben, 30 Millionen Euro gibt es allein für Kreativleistungen von Agenturen. Gegenüber Ö1 erklärte das Bundeskanzleramt, man arbeite an neuen Kampagnen, sie sollten im Herbst kommen, aber kleinteiliger auf Social Media und in regionalen Medien.

„Nicht sexy genug“ für Politik

Politikwissenschaftler Eberl ortete gegenüber Ö1 mangelndes Interesse der Politik: „Es geht um wenige Meter, aber die entscheidend sind, dass das einfach nicht sexy genug ist im Verkauf.“ Für Hoppe spiegelt sich in der fehlenden Kampagne wider, dass Bundeskanzler und Gesundheitsminister nicht an einem Strang ziehen.

„Die Schlüsselfrage ist: Kann oder will die Bundesregierung nicht an vorderster Stelle der Impfkommunikation stehen?“, sagte der Politologe Peter Filzmaier im Ö1-Interview. Die Regierung müsste dorthin gehen, „wo es wehtut“, beispielsweise zu den Wählerinnen und Wählern der FPÖ und nicht in Hochburgen der ÖVP oder der Grünen.

Damit sei man bei der Unpopularität der Impfkommunikation. Die Regierung „müsste ihre eigene Geschichte vom schönen Sommer jetzt plötzlich abändern“. Kurz habe nicht nur gesagt, dass die Pandemie für Geimpfte vorbei ist, „sondern er hat im März sogar einmal gesagt, wir haben sie im Sommer überhaupt besiegt. Und jetzt eine Impfkampagne zu starten mit der Aussage, unsere eigenen Ankündigungen waren so nicht richtig, das will man vielleicht nicht“, sagte Filzmaier.

„Mikadospiel“ in der Regierung

Filzmaier erinnerte an den „Wettlauf“ zwischen Kurz und Mückstein bezüglich der Öffnungsschritte im Sommer. „Da hat sich der Kanzler zunächst durch Vorpreschen ausgezeichnet, der Gesundheitsminister kurz widersprochen, ihn dann aber versucht noch sprachlich zu überholen, und jetzt ist es eher ein Mikadospiel. Niemand will die unpopulären Dinge bis hin zur Impfpflicht als Erster in den Mund nehmen“, so der Politologe. Was man ebenfalls noch nicht wirklich versucht habe, sei ein Anreizsystem wie in den USA, wo es ein Lotteriesystem gibt. Natürlich müssten auch bereits Geimpfte darin einbezogen werden.

Oberösterreich-Wahl und die „Scheu vor Impfansagen“

Am 26. September wählt Oberösterreich einen neuen Landtag. Auf die Frage, ob das ein Grund für die Zurückhaltung der Regierung sein könnte, sagte Filzmaier: „Es wäre zumindest naheliegend, eine gewisse Scheu vor Impfansagen auf ÖVP-Seite anzunehmen.“ Einerseits gehe es um Wechselwählerinnen und -wähler zwischen ÖVP und FPÖ, andererseits um mögliche Stimmen aus dem Nichtwählerlager.

Bei den Wahlen nach Bekanntwerden des „Ibiza“- und Spesenskandals blieben viele FPÖ-Wählerinnen und -Wähler den Urnen fern. Die Freiheitlichen brauchten ein „Mobilisierungsthema“, so Filzmaier, „und wenn jetzt Impfen im Mittelpunkt steht, die Bundes- und Landesregierung jeweils ÖVP-geführt hier unpopuläre Ansagen machen muss, dann hätte die FPÖ ein Kampfthema für die eigene Mobilisierung“.

Kurz erteilt Lockdown Absage, Kritik der SPÖ

Bundeskanzler Kurz erteilte einem möglichen Lockdown im Herbst am Samstag am ÖVP-Parteitag eine Absage. Mit dem „Auf- und Zusperren muss Schluss sein“, die Impfung sei die Antwort, nicht mehr der Lockdown. Ähnlich äußerte sich Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP). Salzburgs Gesundheitslandesrat Christian Stöckl (ÖVP) kündigte im Ö1-Mittagsjournal für sein Bundesland niederschwellige Impfangebote an Schulen und Universitäten im Herbst sowie schärfere „3-G“-Kontrollen an.

Die SPÖ warf dem Kanzler indes Untätigkeit vor. „Das Bundeskanzleramt hat Mitte Juli dem Roten Kreuz die Infokampagne ‚Österreich impft‘ entrissen. Seitdem passiert hier gar nichts mehr, wahrscheinlich, weil Kurz die Pandemie schon einmal zu oft für beendet erklärt hat und mittlerweile selbst an seine Propaganda glaubt“, kritisierte SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher.

Empört ob dieser Kritik gab sich die stellvertretende Generalsekretärin und Gesundheitssprecherin der ÖVP, Gaby Schwarz. Sie warf der Opposition „Doppelmoral“ vor. Über Monate hätten SPÖ, FPÖ und NEOS die Impfkampagne „als ‚Inseratenkorruption‘ verunglimft“. „Dass der Opposition die Bundesregierung nun aber plötzlich gar nicht genug Inserate schalten kann, ist nur mehr scheinheilig.“ Die Kampagne sei über den Sommer weitergelaufen und werde „demnächst wieder größer Fahrt aufnehmen“, so Schwarz in einer Aussendung.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen rief die Bevölkerung unterdessen zur Impfung auf: „Ich bitte Sie, nehmen Sie das Impfangebot wahr“, appelliert er in einem Video, das am Sonntag auf Facebook und YouTube veröffentlicht wurde. „Das ist ein kleiner Stich, dann hat sich’s schon.“ Mit der Impfung schütze man nicht nur sich selbst, sondern alle, mit denen man in Kontakt sei.