Bewaffnete Spezialeinheit der Taliban in Uniform
APA/AFP/Aamir Qureshi
Von Black Hawks zu Humvees

Das neue Waffenarsenal der Taliban

Die Taliban haben sich bei ihrem Marsch durch Afghanistan militärisch aufgerüstet. Zahlreiche Waffen wie etwa US-Sturmgewehre bis hin zu schwerem Gerät der afghanischen Armee fielen in die Hände der radikalislamischen Extremisten. Die ehemals als militärisch zusammengewürfelt angesehene Miliz der Taliban wurde so zu einer veritablen Armee – teils auch mit Uniform und rasiert. Laut dem US-Generalinspekteur für den Wiederaufbau in Afghanistan (SIGAR) besitzen die Taliban nun auch Black Hawks, Humvees und Kampfflugzeuge.

Der besondere Stolz der Taliban liegt laut BBC auf den Black Hawks. Die mittelschweren US-Hubschrauber gelten als ikonisches Militärgerät und als weltweit bekannt. Insgesamt hatte die afghanische Armee laut dem SIGAR-Bericht, den die BBC zitierte, 167 Fluggeräte, darunter eben neben 33 Black Hawks auch 32 Hubschrauber der sowjetischen Bauart Mi-17 inklusive Bewaffnung und noch 43 kleinere und leichtere Hubschrauber des Typs MD-530.

Dazu kommen laut SIGAR noch 22 leichte Kampf- und Überwachungsflugzeuge der Typen A-29 Super Tucano, 33 Cessna 208 und noch drei Hercules-Transportmaschinen. Wie viel Fluggeräte der afghanischen Armee tatsächlich in die Hände der Taliban gelangt sind, ist allerdings laut BBC unklar. Auf Satellitenaufnahmen, auf die sich die BBC bezog, sind nur 16 Fluggeräte zu sehen – neun Black Hawks, zwei Mi-17-Helikopter sowie fünf Kampfflugzeuge. Die BBC mutmaßte daher, dass entweder Fluggeräte von Angehörigen der afghanischen Streitkräfte ins Ausland geflogen und/oder auf andere Militärbasen verlegt wurden.

UH-60 Black-Hawk-Helikopter
APA/AFP/Thomas Watkins
Ein Black Hawk der afghanischen Luftwaffe auf der Militärbasis Kandahar 2017

Unklarheit über Größe der Luftstreitkräfte

Zurückgelassenes Fluggerät wurde von den Taliban auch in anderen neun Militärbasen erbeutet – doch auch hier ist ein Überblick wegen fehlender Satellitenaufnahmen unklar. Taliban-Kämpfer posierten vor Fluggeräten in sozialen Netzwerken, ein Gesamtbild ist aber aufgrund dieser Aufnahmen und auch von Berichten von lokalen afghanischen Medien kaum möglich. Auch wie viele Piloten sich mit ihrem Fluggerät in Nachbarstaaten abgesetzt haben, ist noch nicht im vollen Umfang klar.

Afghanisches Kampfflugzeug A-29 Super Tucano
AP/Rahmat Gul
Das leichte Kampf- und Überwachungsflugzeug der Type A-29 – hier noch im Besitz der afghanischen Armee

Eine Analyse von Satellitenaufnahmen des Flughafens Termez von Mitte August in Usbekistan zeigt laut BBC mehr als zwei Dutzend Helikopter, darunter Mi-17, Mi-25 und Black Hawks sowie mehrere A-29- und C-208-Flugzeuge, so die BBC mit Verweis auf einen namentlich nicht genannten Flugzeugexperten. Ob alle diese militärischen Fluggeräte aus Afghanistan sind, ist unklar.

Black Hawk „fuhr“ über Flugfeld in Kabul

Die Taliban sind allerdings wahrscheinlich nun die einzige Extremistengruppe mit einer eigenen Luftwaffe. Für Aufregung sorgte daher, als ein Black Hawk Mitte August über das Flugfeld in Kabul „gefahren“ wurde. Aufnahmen davon, dass der Hubschrauber auch geflogen wurde, gab es nicht.

Mit dem Abzug der USA liefen allerdings auch die Wartungsverträge aus. Vor allem die afghanische Luftwaffe war von diesen Servicediensten von US-Unternehmen und jenen aus anderen Ländern so gut wie abhängig – von Reparaturen über Ausbildung und Training bis zu anderen Tätigkeiten, um die Luftstreitkräfte auch in der Luft zu halten, so die „New York Times“ im Juli.

Es fehlt an kompetentem Personal

Unklar ist nun, wie viele Piloten, Techniker und andere Service- und Fachkräfte die Taliban haben, um die Fluggeräte auch zu bedienen bzw. einzusetzen. Auch könnten die Maschinen und Hubschrauber teils vor der Aufgabe der Militärbasen zerlegt worden sein – die Wiederzusammensetzung ist eine Aufgabe für Spezialisten.

Afghanistan-Experten gehen nicht von einer unmittelbaren Gefahr durch eine Taliban-Luftwaffe aus. Möglich ist allerdings, dass die Taliban auf die Piloten und das afghanische Servicepersonal bzw. deren Familien Druck ausüben, ihre Arbeit wieder aufzunehmen – nun für die Taliban statt die afghanische Armee.

Am ehesten könnte es den Taliban gelingen, die seit Jahrzehnten in dem Land befindlichen sowjetischen bzw. russischen Mi-17-Helikopter zu fliegen, so Experten. Um den Rest in Betrieb zu nehmen, könnten sich die Taliban an ihnen wohlgesinnte Staaten für Instandhaltung und Schulung wenden.

Taliban-Kämpfer neben Humvees
Reuters
Auch Humvees sind in den Besitz der Taliban gelangt

Flughafen Kabul: USA lassen nur Schrott über

Bei ihrem Abzug vom Flughafen in Kabul machten die US-Truppen zahlreiche Flugzeuge und gepanzerte Fahrzeuge sowie das Raketenabwehrsystem auf dem Flughafen funktionsunfähig, damit diese nicht in die Hände der Taliban oder anderer islamistischer Gruppen fallen.

27 Humvees und 70 gepanzerte MRAP-Fahrzeuge – die bis zu eine Million Dollar pro Stück kosten können – seien unbrauchbar gemacht worden, sagte der Chef des Zentralkommandos der US-Streitkräfte, General Kenneth McKenzie, am Montag (Ortszeit). Die Fahrzeuge „werden nie wieder von irgendjemandem benutzt werden“.

Riesige Mengen an Schusswaffen

Während über die Fähigkeit der Taliban, Fluggerät professionell zu bedienen, mehr oder weniger Unklarheit herrscht, ist hingegen klar, dass die Taliban auch anspruchsvolle Schusswaffen und militärische Fahrzeuge handhaben können. Neben dem klassischen sowjetischen bzw. russischen Sturmgewehr Kalaschnikow besitzen die Taliban laut BBC nun auch mehrere tausend erbeutete M4-US-Sturmgewehre.

Mobile Strike Force Vehicle in Afghanistan
Reuters/Josh Smith
Die Taliban sollen auch im Besitz von gepanzerten und mit Geschützen bewaffneten mobilen Einsatzfahrzeugen (MSFV) sein

An Schusswaffen mangelte es allerdings in Afghanistan nicht. Zwischen 2003 und 2016 kam eine riesige Menge an Militärgerät für die afghanische Armee in das Land. Fast 360.000 Gewehre verschiedener Bauart, mehr als 64.000 Maschinengewehre, über 25.000 Granatwerfer und über 22.000 Humvees (High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicles, also hoch mobile Mehrzweckradfahrzeuge) für den militärischen Gebrauch wurden laut US-Quellen nach Afghanistan exportiert.

Nach dem Ende des Kampfeinsatzes der NATO wurde 2014 die afghanische Armee mit der Sicherheit des Landes beauftragt und von den USA mit noch mehr Militärmaterial versorgt, so wurden etwa auch alte Waffen ausgetauscht. Alleine 2016 sollen die USA 20.000 M16-Gewehre nach Afghanistan gebracht haben. Zwischen 2017 und 2021 wurden fast 3.600 M4-Karabiner und über 3.000 Humvees von den USA nach Afghanistan gebracht, so die BBC mit Verweis auf SIGAR. Die Taliban sollen auch im Besitz von über 30 gepanzerten und mit Geschützen bewaffneten mobilen Einsatzfahrzeugen (MSFV) sein.

Schwarzmarkt und Waffenhilfe für andere Islamisten

Offenbar kennt sich so gut wie jeder Taliban-Kämpfer mit dem erbeuteten modernen Militärgerät aus und weiß es zu bedienen, so die BBC weiter. Im Laufe der Jahre wurden immer wieder Checkpoints überrannt, und auch Deserteure der afghanischen Armee brachten die Taliban in Kontakt mit den Waffen und deren Gebrauch.

Dass die Taliban derart moderne Waffen haben, sorgt für Beunruhigung und ist laut Fachleuten ein „kolossaler Fehler“, da die Auswirkungen nicht auf Afghanistan begrenzt sein werden. Es wird befürchtet, dass vor allem kleine Waffen auf dem Schwarzmarkt auftauchen, aber auch an andere Islamistengruppen rund um den Globus weitergegeben werden könnten. Der Ball liegt laut Experten und Expertinnen nun bei Pakistan, China und Russland, eine derartige Entwicklung zu stoppen bzw. einzudämmen.