Mit einem Altmeister und einer ordentlichen Portion Selbstbewusstsein sind die Internationalen Filmfestspiele Venedig am Mittwoch in ihre 78. Ausgabe gestartet. Eine strahlende Penelope Cruz, neben ihr ein entspannt wirkender Pedro Almodovar: Gleich zur Eröffnung hat das Festival genau jene Bilder geliefert, nach denen die Branche lechzt.
Die beiden Oscar-Preisträger stellten am Mittwochabend in einer Gala, in der auch der italienische Schauspieler und Regisseur Roberto Benigni („Das Leben ist schön“) mit einem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk geehrt wurde, ihr Drama „Madres paralelas“ vor und eröffneten damit die Festspiele. Cruz spielt darin eine von zwei Frauen, die ungeplant schwanger werden. Kurz vor der Geburt ihrer Töchter lernen sie sich in einer Klinik kennen, fortan bleiben ihre Leben eng miteinander verbunden.
Almodovar wühlt im eigenen Werk
Und wenn bei Almodovar Penelope Cruz ein Kind erwartet, darf man auch an seinen Klassiker „Carne Tremula“ („Live Flesh"/"Mit Haut und Haar“) aus dem Jahr 1997 denken, in dem Cruz die Prostituierte Isabel Plaza spielt, die auf einer menschenleeren Straße in einem Bus ein Kind zur Welt bringt.
Mit „Madres paralelas“, zu Deutsch „Zugleich Mütter“, greift Almodovar vieles auf, das man aus seinen früheren Werken kennt. Er zeigt starke Frauen, die Verantwortung übernehmen, sich gegenseitig unterstützen und ohne wirkliche Hilfe der Männer behaupten. Hinzu kommt eine Nebenhandlung, die die Gräuel des Spanischen Bürgerkrieges eindringlich anprangert und daran appelliert, die Vergangenheit nicht zu vergessen. Dabei sind seine Bilder gewohnt bunt und geschmackvoll ausgestattet. In fast jeder Szene lässt sich ein satter roter Farbtupfer entdecken.
Filmfestival von Venedig beginnt
Unter dem Juryvorsitz des koreanischen Regisseurs Bong Joon Ho konkurrieren heuer bei den Filmfestspielen von Venedig 21 Langfilme im Wettbewerb um den Goldenen Löwen. Hollywood-Stars wie Ben Affleck, Jamie Lee Curtis, Kristen Stewart und Matt Damon haben ihr Kommen zugesagt.
Glanz und Sicherheit
Venedig setzt insgesamt auf Glanz trotz strenger CoV-Auflagen und beweist im Gegensatz zu Cannes, wie man ein internationales Filmfest umsichtig und verantwortungsbewusst gestalten kann – ohne auf glanzvolle Bilder verzichten zu müssen.
Auch der diesjährige Jurypräsident, der südkoreanische Regisseur Bong Joon Ho („Parasite“), lobte Venedigs Umgang mit der neuen Situation. Der Oscar-Gewinner gab sich vor der Eröffnung außerdem optimistisch: Die Pandemie werde vorbeigehen und das Kino weiterbestehen, war er sich sicher. Als Jury sei es nun wichtig, in den nächsten Festivaltagen die Arbeit aller Filmschaffenden zu respektieren. „Wir sind bereit zu erforschen, wir sind bereit zu kämpfen!“
Neben dem europäischen Kino und dem mit Spannung erwarteten neuen Werk des italienischen Meisters Paolo Sorrentino („La Grande Belleza“), der mit „E stata la Mano di Dio“ ins Neapel seiner Jugend zurückkehrt, steht Venedig, man kann sagen beinahe schon traditionell, im Zeichen des US-Kinos. Während in Cannes auffallend wenige US-Filme zu sehen waren, hat Hollywood offensichtlich auf das Festival in der Lagunenstadt gewartet. Gleich mehrere Studiogroßproduktionen stehen am Lido auf dem Programm.
Das Comeback von „Dune“
So feiert Ridley Scotts Actionsspektakel „The Last Duel“ mit Matt Damon, Adam Driver und Ben Affleck seine Premiere, genauso wie Jamie Lee Curtis in der Fortsetzung des Gruselschockers „Halloween Kills“. Auch die mit Spannung erwartete Neuauflage des Science-Fiction-Epos „Dune“ wird in Venedig gezeigt, für das Denis Villeneuve mit Timothee Chalamet, Rebecca Ferguson, Oscar Isaac, Josh Brolin, Stellan Skarsgard, Charlotte Rampling und Javier Bardem ungewöhnlich viele Stars vor die Kamera holen konnte.
Hollywoods Interesse am Filmfest Venedig liegt an der Koppelung mit der Oscar-Auszeichnung. Gleich mehrere Oscar-Gewinner vergangener Jahre, etwa „Nomadland“, „Joker“ und „Shape of Water“, waren zuerst in Venedig zu sehen. 20 weitere Beiträge werden nach „Madres paralelas“ in den folgenden Tagen ebenfalls um den Goldenen Löwen für den besten Film konkurrieren. Einer von ihnen ist „Spencer“, ein zu großen Teilen in Deutschland gedrehtes Drama um Princess Diana mit Kristen Stewart in der Hauptrolle.
Paul Schrader, der die Drehbücher zu „Taxi Driver“ und „Wie ein wilder Stier“ schrieb, zeigt „The Card Counter“ mit Oscar Isaac und Willem Dafoe. Mit „Competencia oficial“ taucht auch Penelope Cruz mehrmals im Wettbewerb auf. Mit ihrem auch schon erprobten Gegenüber Antonio Banderas ist sie hier in einer Satire über das Filmgeschäft zu sehen.
Regisseurinnen, die den Wettbewerb aufmischen könnten
Einige Frauen könnten heuer den Wettbewerb aufmischen, so die Erwartung bei der Kritik. Fünf der 21 Wettbewerbsbeiträge stammen von einer Regisseurin. Schauspielerin Maggie Gyllenhaal zum Beispiel legt mit „The Lost Daughter“ nach einem Roman von Elena Ferrante ihr Regiedebüt vor und verpflichtete dafür Olivia Colman und Dakota Johnson. Ein weibliches Regieschwergewicht, an dem sich freilich auch die Geister zu scheiden wissen, ist Jane Campion. Die Neuseeländerin, die mit „Das Piano“ vor fast 30 Jahren einen weltweiten Erfolg feierte, meldet sich nach einer längeren Kinopause zurück. In ihrem „The Power of the Dog“ verkörpern Benedict Cumberbatch und Jesse Plemons neben Kirsten Dunst ein Brüderpaar, dessen Leben plötzlich auf den Kopf gestellt wird.
Festivalchef Barbera: „Pandemie als Kreativschub“
Er habe den Eindruck, „als ob die Pandemie dazu gedient hätte, die Kreativität anzuregen und die Messlatte für Qualität höher zu legen“, erklärte Festivalleiter Alberto Barbera im Vorfeld. Viele Filme habe er aus Platzgründen gar nicht ins Programm nehmen können.
Barbera, der das Festival in Venedig seit 2012 leitet, ist es jedenfalls gelungen, die Mostra Internazionale D’Arte Cinematografica deutlich zu verjüngen. Und Teil seines Erfolgsrezepts ist eben die Ausrichtung von Venedig als Sprungbrett in Richtung Oscars. Spätestens im kommenden Frühjahr wird sich zeigen, ob Barbera wieder einmal das Händchen für die richtigen Filme hatte.