Ausstellungsansicht der Vienna Contemporary
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Baustellenflair

Kunst im Schutt

„Wo geht’s hier bitte zur Kunstmesse?“ Die Wiener Kunstszene erlebt einen starken Herbstauftakt. Leer stehende Immobilien wie die Alte Post, die Semmelweisklinik sowie eine alte Stahlseilfabrik werden mit Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler bespielt. Die Kunstmesse Viennacontemporary probt einen Neustart. „Lieber Patina als Bling-Bling“ scheint das Motto in den aktuellen Krisenzeiten zu sein, in denen sich der Kunstbetrieb neu zu orientieren versucht.

Die Bauarbeiter, die am Eröffnungstag der Viennacontemporary bei der Alten Post unterwegs waren, zuckten bei dieser Frage mit den Schultern. Dabei findet der diesjährige Verkaufsevent auf der Baustelle des in Sanierung befindlichen Gebäudekomplexes statt. Warum Gemälde und Skulpturen ausgerechnet inmitten von Staub und Schutt präsentiert werden, dürfte den an Ort und Stelle Tätigen kaum einleuchten.

Bei der Pressekonferenz bemühten sich die Messeveranstalter um einen metaphorischen Anstrich: Auch die Viennacontemporary befände sich derzeit „under construction“. „Wir haben Dutzende Locations gesichtet, aber die Alte Post erschien uns letztendlich als der beste Ort“, erklärte Markus Huber von der Viennacontemporary auf Nachfrage von ORF.at. Die Stadt Wien hätte ein Zelt in Aspang als Austragungsort angeboten, aber das kam für die Messe nicht infrage.

Spark Art Fair als neuer Konkurrent

Der Verkaufsevent findet heuer bereits zum zehnten Mal unter den Fittichen von Dmitry Aksenov statt. Der Moskauer Unternehmer und Mäzen, der die Mehrheit an der Viennacontemporary hält, betonte bei der Pressekonferenz abermals, dass er die Messe nicht für Profit betreibt. Bis letzten Herbst stellte die Viennacontemporary, deren Schwerpunkt geografisch auf Osteuropa liegt, ihre Kojen regelmäßig in der Marx Halle auf.

Menschen besuchen die Vienna Contemporary
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Alles Baustelle: Von 2. bis 5. September läuft die Viennacontemporary in der Alten Post im 1. Bezirk

2020 nahmen dort noch 60 internationale Galerien teil. Aber im Frühjahr machte sich die Konkurrenz breit: Ausgerechnet Aksenovs langjähriger Geschäftsführer Renger van den Heuvel rief die Spark Art Fair ins Leben. Van den Heuvel lockte die Galeristen mit wesentlich günstigeren Standmieten – ein überzeugendes Angebot in schweren Zeiten. So verlor die Viennacontemporary auf einen Schlag die heimischen Galerien an die Spark Art Fair.

Kein „Kunstsupermarkt“

In der Alten Post sind nun insgesamt 28 Teilnehmer vertreten, darunter Galerien aus Dublin, Riga und Jekaterinburg. Interessante Kunst haben sie mitgebracht, aber die Messearchitektur wirkt über Gebühr gedrängt und provisorisch. Bis auf die Salzburger Galerie Elektrohalle Rhomberg machen österreichische Galeristen nur in der Zone 1 mit, einem Extrabereich für künstlerische Positionen unter 40 Jahren. Die sieben von Kuratorin Franziska Wildförster dafür ausgewählten Einzelpräsentationen sollten ursprünglich in Baucontainern gezeigt werden – eine Idee, die zum Glück nicht realisiert wurde.

Ausstellungsansicht der Vienna Contemporary
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Schwerpunkt Osteuropa: Die lettische Galerie Maksla XO mit ihrer Präsentation zwischen Pappkarton und rohen Ziegelwänden.

Der Bereich für die Newcomer ist jetzt nämlich der einzige der Viennacontemporary, in dem die Werke gut zur Geltung kommen. Aber wo ist die Annäherung an den Non-Profit-Bereich, der im Vorfeld verlautbart wurde? Auch dieses Ziel der Viennacontemporary ist noch eine Baustelle. In Zukunft möchte sie mit nicht kommerziellen Ausstellungsorten und -institutionen kooperieren.

„Wir wollen kein jährlicher Kunstsupermarkt sein, sondern die Beziehungen zwischen Künstlern, Galerien und Sammlern stärker vertiefen“, gibt sich Messemacher Huber ambitioniert. Der Hauptsponsor Erste Bank unterstützt diesen ehrgeizigen Plan. Die neue Messeleitung wurde dementsprechend besetzt: Der neue künstlerische Direktor Boris Ondreicka, 1969 in der Slowakei geboren, hat sich zwar als Kurator international einen Namen gemacht, aber mit dem kommerziellen Sektor bisher kaum Berührungspunkte.

Messebetrieb als Rentabilitätsproblem

Wie geht es weiter mit dem Kunstmarkt, hierzulande und international? Ende September findet die Mutter aller Messen, die Art Basel, wieder physisch statt. Wird der internationale Messekalender, der seit der Jahrtausendwende immer noch dichter wurde, nach der Durststrecke wieder den Takt vorgeben? Pragmatiker wiederholen das Mantra „Eine Messe ist eine Messe ist eine Messe“ und hoffen darauf, dass die Verkaufskarusselle langsam wieder Fahrt aufnehmen.

„7 Year Itch“ von Gabriele Edlbauer und Julia Goodman sowie „Clown No 4“ von Gabi Blum
Gabriele Edlbauer & Julia Goodman/Gabi Blum
Links: Gabriele Edlbauer & Julia Goodman „7 Year Itch“ bei Raum mit Licht, rechts: Krobath zeigt Gabi Blums „Clown No 4“, beides bei curated by

Die Zeit außerhalb des Messenhamsterrads hat aber viele Galeristen nachdenklich gestimmt. So wurde in den 2010er Jahren oft über die Zukunft der mittelständischen Galerie debattiert. Die Krux ist die Rentabilität: Warum hohe Fixkosten für Mieten, Ausstellungsproduktionen und Team aufbringen, wenn die meisten Verkäufe ohnehin auf Messen zustandekommen? Durch die Coronavirus-Krise erscheint die Galerie nun aber wieder als lokal verankerter Nukleus, in dem künstlerische und soziale Beziehungen zusammenlaufen, wieder aufgewertet.

Comedy bei curated by

Wie sich lokal und global gekonnt verbinden lassen, führt seit vielen Jahren das Galerienfestival curated by vor. Ab heute zeigen wieder 24 Wiener Galerien Ausstellungen, die von eingeladenen Kuratorinnen und Kuratoren gestaltet wurden. Ursprünglich als Standortförderung geplant, erntete das von der Stadt Wien finanzierte Projekt bereits viel internationale Resonanz. Für einen inhaltlichen Fokus sorgt jedes Jahr ein Essay, der ein loses Thema vorgibt. Für die aktuelle Ausgabe rief die Autorin Estelle Hoy das Motto „Comedy“ aus, das in all seinen Facetten von Witz, Slapstick und Galgenhumor ausgeleuchtet wird.

Veranstaltungshinweise

  • Viennacontemporary, Alte Post, bis 5. September, täglich 13.00 bis 19.00 Uhr; Eintritt frei (mit Time-Slot).
  • Curated by, diverse Galerien, bis 2. Oktober, Eintritt frei.
  • Parallel Vienna, Semmelweisklinik, 7. bis 12. September, Dienstag 17.00 bis 20.00 Uhr, Mittwoch bis Freitag 13.00 bis 20.00 Uhr, Samstag und Sonntag 12.00 bis 19.00 Uhr; Ticket 13 Euro.

Wer sich für leistbare Kunst interessiert, der sollte nächste Woche in die ehemalige Semmelweisklinik pilgern. Dort schlägt die Kunstmesse Parallel Vienna heuer ihre Zelte auf. Seit seinem Debüt 2013 bezieht der nomadische Event jedes Jahr eine andere verlassene Liegenschaft. Die Alte Post wurde von der Parallel bereits 2017 als Ausstellungsort eingeweiht; allerdings stand das Gebäude damals nur leer und wurde noch nicht umgebaut. Mit ihrem Mix an Solopräsentationen, Offspace- und Galerieauftritten sorgten die Veranstalter von Anfang an für eine breite Basis. Rauschende Vernissagenabende unterstrichen den Ruf der Parallel Vienna als „place to be“.

Kunst aus dem „Häuschen“

Allerdings regte sich auch an der patinaverliebten Alternativmesse im Lauf der Jahre Kritik: zu groß und kommerziell, zu männerlastig, zu viel Adabeis und zu wenig echte Auseinandersetzung mit der Kunst. Die „Generation Woke“, die selbstverständlich ökologisch, gendersensibel und antirassistisch agiert, trifft sich dieser Tage beim Projekt Haus in Favoriten.

Ein Freundeskreis aus sechs Kuratorinnen und Künstlern hat dort in einer verlassenen Fabrik samt benachbarter Schrebergartensiedlung einen reizvollen Kunstparcours gestaltet. Von Geltungsdrang und Ellbogen ist bei Haus nichts zu spüren. Stattdessen erscheint die Kunstwelt als Aussteigeridyll, das ein alternatives Miteinander lebt, anstatt es nur anzukündigen.