Panzer im Panjshir Tal
AP/Jalaluddin Sekandar
Afghanistan

Taliban wollen Panjshir-Tal erobert haben

Die radikalislamischen Taliban haben nach eigenen Angaben die letzte Bastion des Widerstands in Afghanistan eingenommen. Das Panjshir-Tal sei „vollständig erobert“, sagte Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid Montagfrüh. Die Nationale Widerstandsfront (NRF) kündigte dagegen an, ihren Kampf „fortzusetzen“. Ihr Anführer Ahmad Massoud rief zum „nationalen Aufstand“ auf.

„Mit diesem Sieg ist unser Land vollständig aus dem Sumpf des Krieges befreit“, so Mujahid. Die Taliban waren bereits am Wochenende im Panjshir-Tal vorgerückt. Sie meldeten schwere Kämpfe und Gebietsgewinne in der Provinz nördlich von Kabul.

Die NRF erklärte am Montag, sie sei in „strategischen Positionen“ präsent. „Der Kampf gegen die Taliban und ihre Partner wird weitergehen“, hieß es von der Gruppe auf Twitter. Der Kampf werde fortgesetzt, bis die Aggressoren aus dem Land entfernt seien. In der Nacht auf Montag hatten die Widerstandskämpfer bereits einen Waffenstillstand vorgeschlagen. Wie die NRF am Sonntagabend mitteilte, wurden bei den Kämpfen auch ein bekannter Sprecher, Fahim Dashti, sowie ein General der Widerstandsgruppe getötet.

Taliban schieben Schuld auf Widerstandsführer

Ein Taliban-Sprecher teilte ein Bild, das Taliban-Kämpfer vor dem Gouverneurssitz in der Provinzhauptstadt Basarak zeigen soll. In Panjshir seien mehrere „Rebellen“ geschlagen worden, der Rest sei geflohen, teilten die Taliban mit. Man gebe den Menschen dort die volle Gewissheit, dass sie nicht diskriminiert würden und dass „ihr alle unsere Brüder seid und wir einem Land und einem gemeinsamen Ziel dienen werden“, hieß es.

Afghanische Widerstandkämpfer im Panjschir Tal.
APA/AFP/Ahmad Sahel Arman
Widerstandskämpfer in Panjshir

Die Panjshir-Frage sollte ursprünglich durch Verhandlungen gelöst werden. Am Dienstag allerdings begannen Gefechte, als Taliban Kontrollpunkte am Taleingang angriffen. Die Islamisten rechtfertigten den Angriff auf das Tal: Nachdem Verhandlungen gescheitert seien, „weil zwei Personen die Gespräche verweigerten“, seien die Taliban gezwungen gewesen, Streitkräfte zu entsenden und eine Operation zu starten, sagte Taliban-Sprecher Mujahid, während einer Pressekonferenz am Montag in der Hauptstadt Kabul.

Es ist davon auszugehen, dass er damit die zwei Anführer des Widerstands, den bisherigen Vizepräsidenten Amrullah Saleh und Ahmad Massoud, Sohn des legendären Nordallianz-Führers Ahmad Shah Massoud, meinte. Panjshir sei nun vollständig unter Kontrolle der Taliban, der Krieg sei vorbei und das Land aus der Krise, sagte Mujahid weiter. Saleh sei nach Tadschikistan geflohen, hieß es, was sich von unabhängiger Seite derzeit nicht bestätigen lässt.

Masoud ruft zu Aufstand auf

NRF-Führer Massoud wandte sich am Montag in einer Audiobotschaft an die Öffentlichkeit. Darin rief er zu einem „nationalen Aufstand“ gegen die Taliban auf, berichtete die BBC. Die Islamisten hätten seine Truppen angegriffen, obwohl Kleriker sie zur Zurückhaltung aufgerufen hätten. Bei den Kämpfen am Sonntag seien auch Mitglieder seiner Familie umgekommen, so der 32-Jährige.

In der knapp 19 Minuten langen Aufnahme beschuldigt Massoud die internationale Gemeinschaft, die Taliban-Herrschaft zu legitimieren und das politische und militärische Selbstvertrauen der Dschihadisten zu fördern. Seine Kräfte seien weiterhin im Panjshir-Tal, so Massoud, der damit den Angaben der Taliban widersprach.

Berichte über Einmischung Pakistans

Bei ihren Angriffen auf das Panjshir-Tal sollen die Taliban unbestätigten Berichten zufolge Luftunterstützung der pakistanischen Streitkräfte erhalten haben. NRF-Sprecher Dashti soll durch eine Attacke einer pakistanischen Kampfdrohne getötet worden sein. Der Chef von Pakistans Militärgeheimdienst ISI, Faiz Hameed, befindet sich seit dem Wochenende in Kabul. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters könnte Hameed den Taliban bei der Neuorganisation der afghanischen Armee helfen.

Regierung soll in Kürze stehen

Taliban-Sprecher Mujahid kündigte zudem am Montag an, dass die Islamisten in Kürze ihre Regierung vorstellen wollen. Einen genauen Termin nannte er nicht. Mit Panjshir habe man nun das gesamte Land unter Kontrolle. Es werde zunächst ein interimistisches System geben. „Die endgültigen Entscheidungen sind getroffen, wir arbeiten jetzt an den technischen Fragen“, sagte Mujahid. Gleichzeitig warnte er vor Widerstand gegen die Herrschaft der Taliban. Dieser werde hart bestraft. Frühere Regierungstruppen forderte Mujahid auf, sich den Taliban anzuschließen.

Weiters kündigten die Islamisten an, an der Wiedereröffnung des Flughafens in Kabul zu arbeiten. Es seien „ernsthafte Schritte“ für den Wiederaufbau unternommen worden. Technische Teams aus Katar, der Türkei und einem in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässigen Unternehmen arbeiteten in Kabul. Auch Pakistan stelle Hilfe bereit. Inlandsflüge seien bereits wiederaufgenommen worden.

Hochburg des Widerstands

Eine Eroberung Panjshirs wäre ein immenser Erfolg für die Islamisten. Das Tal war bereits in den 90er Jahren eine Hochburg des Widerstands gegen die Taliban und bisher noch nie unter deren Kontrolle.

Vor drei Wochen formierte sich in dem Tal die NRF unter Führung des Sohnes des 2001 getöteten afghanischen Kriegsherrn und Taliban-Gegners Ahmad Shah Massoud sowie des ehemaligen Vizepräsidenten Saleh. Letzterer hatte angesichts der Belagerung durch die Taliban vor einer humanitären Krise im Tal gewarnt. Der Iran verurteilte die neue Offensive der Islamisten. „Die Nachrichten aus Panjshir sind wirklich beunruhigend“, sagte der Sprecher des iranischen Außenministeriums.

Mazar-e Sharif: Unklarheit über wartende Flugzeuge

Unterdessen sitzen rund 1.000 Personen trotz Visa für die Vereinigten Staaten oder andere Länder weiter auf dem Flughafen in Mazar-e Sharif in Afghanistan fest, wie ein Organisator von Charterflügen der Nachrichtenagentur Reuters sagte. Er gab dem US-Außenministerium die Schuld an der Verzögerung.

Taliban versprechen Sicherheit für Helfer

Die Taliban versprechen für die Sicherheit von humanitären Helfern in Afghanistan zu sorgen – das haben die Vereinten Nationen nach Gesprächen mit den Islamisten bekanntgegeben.

Sechs Flugzeuge mit Amerikanerinnen und Amerikanern sowie afghanischem Dolmetschpersonal an Bord könnten aus Mazar-e Sharif nicht abheben, weil sie von den Taliban keine Freigabe erhalten hätten, hatte zuvor der Republikaner Mike McCaul, der im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses sitzt, dem Sender Fox News mitgeteilt.

Die Taliban hielten die Passagiere „als Geiseln“. Er gehe davon aus, dass sie „die volle Anerkennung durch die Vereinigten Staaten von Amerika“ anstrebten. Es gab auch Widersprüche zu McCauls Aussage. Die Maschinen hätten die notwendige Freigabe erhalten und warteten auf die endgültige Genehmigung der Taliban, zitierte die „New York Times“ einen Organisator der Evakuierungsflüge in Katar.

Taliban sollen Ex-Polizistin getötet haben

Unterdessen gibt es Berichte, wonach Taliban eine ehemalige Polizistin in der zentralafghanischen Provinz Ghor getötet haben. Negarah, die vor der Machtübernahme der Islamisten ihren Dienst in einem Gefängnis in der Provinz verrichtet haben soll, sei in der Nacht am Samstag vor den Augen ihres Ehemannes und Sohnes von Taliban getötet worden, sagte Hassan Hakimi, ein aus Ghor stammender Aktivist, der dpa. Die Frau sei zudem schwanger gewesen.