Eine Abordnung der Taliban
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Afghanistan

Taliban stellen Übergangsregierung vor

Die radikalislamischen Taliban haben drei Wochen nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan erste Mitglieder ihrer Übergangsregierung vorgestellt. Hasan Akhund werde an der Spitze der neuen Regierung stehen, sagte ein Taliban-Sprecher am Dienstag in Kabul. In der afghanischen Hauptstadt demonstrierten indes Hunderte gegen die Islamisten.

Taliban-Mitbegründer Abdul Ghani Baradar wird Stellvertreter von Regierungschef Akhund. Baradar war bisher Vizechef der Taliban. 2020 unterzeichnete er das in Doha ausverhandelte Abkommen mit Washington über den Abzug der US-Truppen. Zweiter Stellvertreter von Akhund ist Abdul Salam Hanafi, der zuletzt im politischen Büro der Taliban in Doha tätig war. Akhund war enger Weggefährte des vermutlich 2013 gestorbenen Mohammed Omar, eines der Gründer der Taliban und Staatsoberhaupt während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001.

Der Posten des Innenministers geht an Sarajuddin Haqqani, auf den die US-Bundespolizei FBI ein Kopfgeld von bis zu fünf Millionen Dollar ausgesetzt hat und dessen Haqqani-Netzwerk als Terrororganisation eingestuft ist. Verteidigungsminister soll Mohammad Yaqoob werden, der Sohn von Taliban-Gründer Omar. Als Außenminister vorgesehen ist Amir Khan Muttaqi, als dessen Stellvertreter Sher Mohammad Abbas Stanikzai. Mit Abdul Haq Wasiq wird ein ehemaliger Guantanamo-Häftling Chef des Geheimdienstes.

Mullah Baradar Akhund
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Baradar, einer der beiden stellvertretenden Regierungschefs

Insgesamt 33 Posten in Regierung

Die Regierung werde interimistisch eingesetzt, sagte Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid. Wie lange der Übergangszeitraum dauern wird, blieb offen. Insgesamt besetzten die Taliban 33 Posten. Die Ernennung der verbleibenden Führungspositionen von Ministerien und Institutionen werde man nach „langer Überlegung“ sukzessive bekanntgeben, sagte Mujahid.

Ebenfalls unklar ist die Rolle des derzeitigen Taliban-Führers Hibatullah Akhundzada. Er galt lange als verschollen, ehe die Taliban Ende August mitteilten, Akhundzada befinde sich in der afghanischen Stadt Kandahar. Öffentlich in Erscheinung getreten ist er seither nicht. In einer Erklärung forderte er das neue Kabinett am Dienstag auf, die Anwendung der Scharia in Afghanistan durchzusetzen.

Regierung aus Taliban-Mitgliedern

Kritik an der Zusammensetzung des Kabinetts folgte prompt. Die Islamisten hatten zuletzt immer wieder betont, eine „inklusive Regierung“ ernennen zu wollen. Kurz nach ihrer Machtübernahme hatten sie regelmäßig andere Politiker des Landes wie etwa den Ex-Präsidenten Hamid Karzai oder den bisherigen Leiter des Hohen Versöhnungsrates, Abdullah Abdullah, zu Gesprächen getroffen. Ihrer Ankündigung wurden sie nun aber nicht gerecht: Bei allen bisher bekannten Besetzungen handelt es sich um Taliban-Mitglieder.

Auch ethnisch geht es bisher einseitig zu. Der Afghanistan-Experte der Denkfabrik International Crisis Group, Ibraheem Bahiss, schrieb auf Twitter, soweit er dies beurteilen könne, seien bis auf zwei Tadschiken und einen Usbeken alle Postenträger Paschtunen. Mitglieder der Minderheit der Hazara etwa fehlen völlig. Die Frage der Inklusivität ist relevant, da viele westliche Regierungen davon abhängig machen, ob sie die künftige Regierung anerkennen und das Land, das stark von ausländischen Hilfsgeldern abhängig ist, unterstützen werden.

Hunderte bei Demo in Kabul

In der afghanischen Hauptstadt Kabul haben indes Hunderte Menschen gegen Pakistan und die militant-islamistischen Taliban demonstriert. Männer wie Frauen zogen am Dienstag durch die Innenstadt und riefen gegen das Nachbarland gerichtete Sprechchöre und äußerten indirekte Kritik an den Islamisten.

Proteste in Afghanistan

Mehrere hundert Menschen sollen am Dienstag an einem Protestmarsch in der afghanischen Hauptstadt Kabul teilgenommen haben.

Lokale Medien berichteten von kurzzeitigen Verhaftungen ihrer Mitarbeiter durch Sicherheitskräfte der Taliban. Die Demonstrierenden hielten Schilder, auf denen „Pakistan – Pakistan – raus aus Afghanistan“ und „Freiheit“ stand, wie auf Fernsehbildern zu sehen war.

Einem BBC-Reporter zufolge behaupteten die Demonstrierenden, Pakistan habe den Taliban bei ihrer Eroberung der Provinz Panjshir geholfen. Viele erwähnten zudem den Besuch des Chefs des pakistanischen Geheimdienstes ISI, Faeez Hamid, der sich in den vergangenen Tagen mit der Taliban-Führung in Kabul traf.

Proteste auch in anderen Städten

Viele Afghaninnen und Afghanen, auch bisherige Regierungsvertreter, äußern die Überzeugung, dass Pakistan die Taliban unterstützt und ihnen bei ihrer jüngsten Militärkampagne geholfen habe, mit der sie das Land gewaltsam übernommen haben. Islamabad bestreitet das.

Seit der Machtübernahme der Islamisten hatte es bereits mehrere Demonstrationen in Afghanistan gegeben. Der Protest in Kabul war nun der bisher größte und bedeutendste. Auch aus der Stadt Mazar-e Sharif im Norden und Ferus Koh in Zentralafghanistan gab es Berichte über Proteste. Ein Zivilrechtsaktivist aus Ferus Koh sagte, die Taliban hätten lokalen Medien verboten, über die Demonstration zu berichten.

Taliban-Gegner ruft zu Aufstand auf

Die Taliban haben eigenen Angaben zufolge am Montag auch die umkämpfte Provinz Panjshir vollständig eingenommen. Der Anführer der Widerstandsgruppe im Panjshir-Tal, Ahmad Massoud, will weiter gegen die Islamisten kämpfen. In einer Audiobotschaft rief er zum „nationalen Aufstand“ auf.

Massoud, der Reste der regulären afghanischen Armee und Spezialeinheiten sowie lokale Milizen zur Nationalen Widerstandsfront (NRF) vereint hat, ist eigenen Angaben nach in Sicherheit. In einer am Montagnachmittag veröffentlichten Audiobotschaft rief der 32-Jährige zum Widerstand auf: „Wir rufen Sie auf, einen allgemeinen Aufstand zu beginnen, um der Ehre, Freiheit und dem Stolz unserer Heimat willen!“