Borrell erwartet Fluchtbewegung aus Afghanistan

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erwartet beträchtliche Flüchtlingsströme aus Afghanistan als Folge des dortigen Regierungsumsturzes und der humanitären Notlage. „Die Menschen werden sich auf den Weg machen, wenn die Taliban es ihnen erlauben“, sagte Borrell heute vor dem EU-Parlament in Straßburg. „Wir wissen, dass viele Menschen (…) das Land verlassen wollen.“ Die Lebensmittelpreise in dem Krisenland stiegen, das Finanzsystem befinde sich im freien Fall.

Nach UNO-Zahlen haben 93 Prozent der Haushalte in Afghanistan nicht genug zu essen, die Grundversorgung stehe vor dem Zusammenbruch. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wurden in dem Krisenstaat etwa 3,5 Millionen Menschen vertrieben, davon 550.000 seit Beginn dieses Jahres. Neben den nun beigelegten Konflikten zwischen Aufständischen und Regierungstruppen trug auch die Dürre mit schlechten Ernten und wenig Futter für Tiere zur prekären Lage bei.

Nach Angaben von Borrell muss deswegen schon jetzt geklärt werden, welche Länder gegebenenfalls flüchtende Afghanen aufnehmen könnten. Dabei wolle niemand, dass Hilfsangebote der EU als eine Art Einladung verstanden würden. „Wir wollen keinen Pull-Effekt erzeugen“, sagte Borrell. „Aber wir wollen viele afghanische Menschen schützen, die unseren Schutz verdient haben.“

Taliban versprechen transparente Verteilung von Hilfen

Unterdessen haben die Taliban versprochen, die bei der UNO-Geberkonferenz zugesagten humanitären Hilfen in Milliardenhöhe für alle nachvollziehbar an Bedürftige zu verteilen. „Das Islamische Emirat wird sein Bestes tun, um diese Hilfe auf völlig transparente Weise an die bedürftige Bevölkerung zu verteilen“, sagte der Taliban-Außenminister Amir Khan Muttaki heute auf einer Pressekonferenz in Kabul. Er bat die Geberländer, ihre Unterstützung für Afghanistan fortzusetzen.

„Islamisches Emirat“ ist die Eigenbezeichnung der Taliban für Afghanistan, wo sie vor gut einem Monat nach dem Truppenabzug der NATO-Staaten die Macht übernommen hatten. Die Regierung der Taliban wird bisher international nicht anerkannt.

Taliban-Außenminister: USA sollen „großes Herz zeigen“

Muttaki forderte die USA nun auf, großzügiger zu sein. „Amerika ist ein großes Land, sie müssen ein großes Herz zeigen“, sagte Muttaki. Er begründete seine Forderung damit, dass die Taliban den USA bei ihrem Abzug und der Evakuierung von Ausländern per Luftbrücke geholfen hatten. „Aber anstatt sich zu bedanken, sprechen sie davon, Sanktionen gegen unser Volk zu verhängen“, sagte Muttaki.

Die USA hatten bei der gestrigen Geberkonferenz 60 Mio. Dollar (54 Mio. Euro) Hilfe zugesagt. Zum Vergleich: In den 20 Jahren des US-Militäreinsatzes in Afghanistan hatte Washington mehr als zwei Billionen Dollar zur Stützung der nun gestürzten Regierung ausgegeben.

Etwa eine Mrd. Euro zusammengekommen

Insgesamt kamen der UNO zufolge 1,2 Mrd. Dollar (1,02 Mrd. Euro) zusammen. Deutschland und Frankreich versprachen jeweils 100 Millionen Euro.