Gasherd
APA/AFP/Paul Ellis
Preisexplosion

Gespenst der „Gaspreiswelle“ geht um

Wer über „Float-Tarife“ seine Haushaltsenergie bezieht, befindet sich derzeit auf der Verliererseite. Bei diesen Verträgen wird der Energiepreis monatlich auf Basis des aktuellen Großhandelspreisindex verändert – der von der Österreichischen Energieagentur berechnete Gaspreisindex (ÖGPI) lag im September fünfmal so hoch wie vor einem Jahr. Ein Bild, das die Lage auf dem globalen Gasmarkt widerspiegelt.

Entwarnung bei den Preisen ist nicht in Sicht, ganz im Gegenteil: Deutsche Verbraucherportale berichteten zu Wochenbeginn bereits von einer „größeren Gaspreiswelle“ im Herbst und Winter, Dutzende Versorger hätten bereits ihre Preise erhöht. „In Österreich wurden Preiserhöhungen bei den Standardtarifen aktuell noch nicht öffentlich angekündigt“, sagte Karina Knaus, Leiterin des Centers Volkswirtschaft, Konsument:innen und Preise bei der Österreichischen Energieagentur, gegenüber ORF.at.

Dass diese ganz ausbleiben, sei aber nicht zu erwarten: „Nachdem die Preisbewegungen der letzten Monate sehr ausgeprägt und ungewöhnlich waren und aktuell keine Trendumkehr in Sicht ist, ist davon auszugehen, dass es in den nächsten Wochen und Monaten auch hier zu Preiserhöhungen kommen kann.“

Carola Millgramm, Leiterin der Gasabteilung in der E-Control, rechnet damit, dass „eine Preissteigerung im zweiten Teil der Heizsaison schlagend wird“. Allerdings hält die E-Control fest, dass der reine Energiepreis nur etwa ein Drittel der Strom- und Gasrechnung ausmache, der Rest belaufe sich auf Netzgebühren und Steuern.

Grafik zum Gaspreisindex in Österreich
Österreichische Energieagentur

„Träge“ Preisentwicklung in Österreich

In Österreich ist also für eine relative Preisstabilität gesorgt, wie beide Expertinnen gegenüber ORF.at betonten: „Generell sind die Haushaltsgaspreise in Österreich eher träge, so werden vorübergehende und kurzfristige Bewegungen am Großhandelsmarkt – weder Preisausschläge nach unten oder nach oben – in der Regel nicht sofort an die Haushalte weitergegeben, da auch die Beschaffung in diesem Segment längerfristig erfolgt“, hielt Knaus fest.

Auch Millgramm sagte, dass etwa im Vorjahr die Großhandelspreise extrem niedrig waren, die Konsumenten und Konsumentinnen davon aber nichts bemerkt hätten. Verträge würden von den großen Energielieferanten schon deutlich vor der Heizsaison abgeschlossen, bevor also der Preisdruck am höchsten werde. Der Tarifkalkulator der E-Control könne jedenfalls einen Überblick schaffen, ob sich ein Lieferantenwechsel derzeit lohne. Millgramm: „Ein Preisvergleich ist immer gut und vor allem auch in Zeiten, wo vielleicht die Großhandelspreise höher sind, so wie jetzt.“

Knaus geht davon aus, „dass uns das hohe Gaspreisniveau im Großhandel noch länger erhalten bleiben wird, einen stärkeren Preisrückgang wird es aller Voraussicht nach erst im Frühling wieder geben.“ Und: „Für eine langfristige Entspannung muss sich Europa unabhängig von importierten fossilen Energieträgern wie Öl, Erdgas und Kohle machen und verstärkt eigene Potenziale aus Wind, Sonne, Wasserkraft sowie effiziente Technologien wie Wärmepumpen nutzen.“ Das sei in den letzten Jahren zu langsam erfolgt, nun bekomme man die entsprechend hohe Abhängigkeit von Erdgas und Kohle zu spüren.

Gestiegene Nachfrage, vermindertes Angebot

Der Hauptgrund für den enormen Gaspreisanstieg der letzten Zeit ist recht simpel: Gestiegene Nachfrage während der Pandemie traf und trifft auf ein nun vermindertes Angebot. Die Wirtschaftsaktivität, und damit auch der Gasbedarf, laufe derzeit global wieder an, sagten die Energieexpertinnen. Das drücke sich etwa auch in steigenden Preisen für Flüssiggas (LNG) aus – wovon derzeit vieles aufgrund der hohen Nachfrage in den asiatischen Markt und nach Südamerika geliefert würde, weniger nach Europa als in den letzten Jahren. Zudem komme, dass Gas in Europa vermehrt auch in der Stromerzeugung eingesetzt wird.

Nord Stream 2 Baustelle
Reuters/Nord Stream 2
„Nord Stream 2“ wird für die Gaspreisentwicklung in Europa eine entscheidende Rolle spielen

Und schließlich spiele auch Russland eine bedeutende Rolle, wie Knaus ausführte: „Das verminderte Angebot entspringt dem Ausfall einzelner Produktions- und Transportkapazitäten in Norwegen und Lieferengpässen aus Russland. Über die Gründe für Letzteres gibt es Spekulationen: Russland will selbst seine Speicher auffüllen, kämpft mit dem Ausfall einer wichtigen Kompressorstation, liefert viel Gas in die Türkei und nach China und – so eine weitere mögliche Erklärung – schränkt Exporte nach Europa absichtlich ein, um den politischen Druck zur Genehmigung der fertigen Pipeline Nord Stream 2 zu erhöhen. Aussagen eines Kreml-Sprechers zuletzt deuten in diese Richtung: Er spricht davon, dass ‚eine rasche Genehmigung von Nord Stream 2 die Gaspreise in Europa stabilisieren würde‘.“

Eine Erklärung, die kurz nach Fertigstellung der deutsch-russischen Gaspipeline „Nord Stream 2“ einige teilten, wobei man in Deutschland expliziter wurde. Oliver Krischer, Fraktionsvize der Grünen im Deutschen Bundestag, sagte zu Wochenbeginn: „Mindestens die Hälfte des gestiegenen Gaspreises geht auf das Konto von Gasprom und Wladimir Putin. Das ist auch das taktische Begleitspiel, um die Genehmigung der ‚Nord Stream 2‘-Pipeline durchzudrücken.“

Grafik zum Erdgasspeicher in Österreich
Österreichische Energieagentur

Leere Speicher – verhältnismäßig

Auffällig ist: Der wegen seiner Größe besonders bedeutende Gassilo im niedersächsischen Rehden ist derzeit ähnlich leer wie der von Gasprom genutzte Gasspeicher in Haidach, Oberösterreich – beide werden vom russischen Gasprom-Konzern betrieben.

Millgramm mahnte aber zur Beruhigung: Erstens sei die Kapazität in Haidach primär für den Export gedacht, zweitens wiesen die „anderen Gasspeicher in Österreich derzeit Füllstände zwischen 60 und 80 Prozent vor – also noch in einem normalen Ausmaß“. Die Einspeichersaison dauere zudem in der Regel bis Mitte November. „Die Lagerkapazitäten sind gebucht, die Transportanbindung funktioniert.“

Auch Knaus wies darauf hin, dass die aktuellen Speicherfüllstände „durchaus von denen der letzten Jahre abweichen. Üblicherweise liegt der Füllstand österreichischer Gasspeicher in dieser Jahreszeit zwischen 70 und 90 Prozent, aktuell bei lediglich 50 Prozent.“ Österreich habe im Vergleich zu anderen EU-Ländern aber sehr hohe Speicherkapazitäten.

Negativbeispiel Großbritannien

„Anders ist das in Großbritannien, das im Verhältnis zu seinem Verbrauch sehr kleine Gasspeicherkapazitäten aufweist. Dazu kommt: Großbritannien ist in der Stromerzeugung stark abhängig von Erdgas und muss zudem aktuell den Ausfall von Atomkraftwerken sowie geringerer Erzeugung aus Windkraft kompensieren“, sagte Knaus gegenüber ORF.at

In Großbritannien eskaliert die Gaskrise derzeit, ein Krisentreffen der Regierung jagt das nächste. Im Königreich waren in den vergangenen Jahren zahlreiche kleine Anbieter entstanden, die viele Kundinnen und Kunden von alteingesessenen Versorgern wie British Gas abwarben und Preisindexe sofort wiedergeben – sie kämpfen derzeit um ihr Überleben, oder haben den Kampf bereits verloren.