Virginia Raggi
Reuters/Alessandro Bianchi
Auch Mailand, Turin und Neapel wählen

Rom stimmt über Bürgermeisterin Raggi ab

Rund zwölf Millionen Italiener und Italienerinnen sind am Sonntag und Montag zur Wahl von über 1.300 Gemeindevertretungen aufgerufen – dazu kommt eine vorgezogene Regionalwahl und die Nachwahl von zwei Parlamentsabgeordneten. Es ist der erste große Wahltag in der Ära von Premier Mario Draghi und somit Stimmungstest für Italiens derzeitige Allparteienregierung. Im Fokus der Wahl stehen Italiens große Städte wie Mailand, Turin, Neapel und nicht zuletzt Rom, wo Bürgermeisterin Virginia Raggi nach einer turbulenten Amtszeit nun die Abwahl droht.

Die heute 43-Jährige zog vor fünf Jahren als neues Aushängeschild der damals gegen das Politestablishment antretenden Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) mit einem Rekordergebnis in das römische Rathaus ein. Auf die anfängliche Euphorie folgte bald Ernüchterung – und so wie alle ihre Vorgänger scheiterte auch Roms erste Bürgermeisterin mit dem Vorhaben, die verkrusteten Strukturen der seit jeher als unregierbar verrufenen italienischen Hauptstadt zu zerschlagen.

Ob Müllnotstand, Verkehrschaos, wachsende Kriminalität, die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich, gepaart mit ausufernder Misswirtschaft und einer anachronistisch anmutenden Bürokratie: Raggi bekam die großen Herausforderungen der 2,9 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Stadt nicht in den Griff. Ganz im Gegenteil, die Probleme seien unter ihrer Verwaltung noch größer geworden, so Kritiker, die sich durchaus wundern, dass Raggi ungeachtet der vielen Stolperfallen die ganze Amtszeit überstanden hat – und sich immer noch nicht geschlagen gibt.

Conte geht auf Distanz

Vielmehr steht Raggi, zusammen mit 21 weiteren Kandidatinnen und Kandidaten, erneut im Rennen um Roms Senatorenpalast. Der im Vorjahr angekündigte neuerliche Antritt sorgte zunächst auch innerhalb der Fünf Sterne für Irritationen. Da Raggi vor ihrer nun auslaufenden Amtszeit als Bürgermeisterin bereits eine Legislaturperiode auf der römischen Oppositionsbank saß, hätte sie an sich nicht mehr antreten dürfen. Und so musste zunächst die Basis der Bewegung über die Rousseau-Plattform abstimmen, ob bei den Fünf Sternen entgegen den Statuten künftig mehr als zwei Kandidaturen möglich seien.

Ob sich der Aufwand lohnt und sich für Raggi und damit M5S die angestrebte zweite Amtszeit ausgeht, erscheint fraglich. Gänzlich abschreiben wollen Beobachter die in Umfragen meist abgeschlagen auf Platz drei und vier gelistete Raggi dennoch nicht – sorgte sie nach eigenen Worten doch schon einmal für „einen historischen Moment“.

Aktuell stehen im römischen Wahlkampf allerdings breitenwirksame Sinnbilder für die ungelösten Probleme der Stadt in der Auslage: Schlaglöcher sowie durch den Müll in den Straßen watende Wildschweine. Selbst Fünf-Sterne-Chef Giuseppe Conte glaubt offenbar nicht mehr an das Wunder, das Raggi für den Wiedereinzug wohl braucht. Vielmehr sagte Draghis Vorgänger als italienischer Regierungschef erst vor wenigen Tagen, dass der Ausgang der Kommunalwahlen nichts mit dem neuen Kurs der erst vor Kurzem von ihm übernommenen Partei zu tun hätten.

Faksimile eines Wahlzettels für die Wahl in Rom
www.comune.roma.it/
Im ersten Durchgang stehen in Italiens Hauptstadt 22 Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl

Gualtieri vs. Michetti

Dahinter stehe womöglich die Erwartung eines Debakels für die derzeit noch stärkste Einzelpartei im italienischen Parlament, heißt es dazu in Medienberichten mit Verweis auf die in Rom in Umfragen klar in Führung liegenden Favoriten. Demnach haben Ex-Finanzminister Roberto Gualtieri von den Sozialdemokraten (PD) und Mitte-rechts-Kandidat Enrico Michetti die größten Chancen zum Einzug in die erwartete, für 17. und 18. Oktober angesetzte Stichwahl.

Der von einer Reihe sozialdemokratischer Stadtchefs, darunter auch der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, unterstützte Gualtieri liegt bei den Umfragen teils deutlich vor Michetti – das prestigeträchtige Rennen bleibt dennoch spannend, denn eine absolute Mehrheit und Direkteinzug geht sich in Rom so wie 2016 wohl erneut nicht aus.

Mailands Bürgermeister vor Wiederwahl

Neben Rom wird auch in Mailand, Neapel, Turin, Bologna und Triest eine neue Stadtverwaltung gewählt. In Mailand kann Bürgermeister Giuseppe Sala von der Sozialdemokratischen Partei (PD) bereits beim ersten Durchgang auf eine Wiederwahl hoffen. Größter Herausforderer ist Mitte-rechts-Kandidat Luca Bernardo, hinter dem unter anderem Matteo Salvinis Lega, Giorgia Melonis Partei Brüder Italiens (Fratelli d’Italia, FdI) und Silvio Berlusconi Forza Italia stehen.

Menschen sitzten im Zentrum Mailands in einem Gastgarten
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Gewählt wird in über 1.300 Gemeinden, darunter auch in der lombardischen Hauptstadt Mailand

In Neapel gilt der von den Sozialdemokraten gemeinsam mit der Fünf-Sterne-Bewegung ins Rennen geschickte Gaetano Manfredi als großer Favorit für die Nachfolge von Bürgermeister Luigi De Magistris. Auch hier kommt der schärfste Gegenwind von Mitte-rechts. Sollte Catello Maresca in eine Stichwahl kommen, sehen die Umfrageinstitute weiter Manfredi klar in Front.

Während Umfragen für Turin ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Paolo Damilano (Mitte-rechts) und Stefano Lo Russo (Mitte-linke) und damit ebenfalls eine Stichwahl erwarten, könnte in Bologna bereits nach dem ersten Durchgang Mitte-links-Kandidat Matteo Lepore ins Bürgermeisteramt der Hauptstadt der Region Emilia-Romagna einziehen. Nur knapp unter 50 Prozent listen Umfragen schließlich Roberto Dipiazza, den amtierenden Bürgermeister und neuerlichen Mitte-rechts-Kandidaten der norditalienischen Hafenstadt Triest. Bei einer Stichwahl wartet wohl Mitte-links-Anwärter Francesco Russo, denn Alessandra Richetti von den Fünf Sternen ist Medienberichten zufolge „praktisch schon aus dem Rennen“.

Desinfizierte Stifte in Wahllokalen

Neben den sechs Regionalhauptstädten werden in 16 weiteren Provinzhauptstädten (Benevento, Carbonia, Caserta, Cosenza, Grosseto, Isernia, Latina, Novara, Pordenone, Ravenna, Rimini, Salerno, Savona und Varese) und insgesamt 1.349 Gemeinden die im Frühjahr wegen der Coronavirus-Pandemie verschobenen Wahlen nachgeholt. Als Gegenpart zu den großen Zentren verweisen italienischen Medien auch auf Morterone und damit die skurril anmutende Wahl in Italiens kleinster, lediglich 26 Wahlberechtige zählender Gemeinde.

Dass die erste Wahl seit Pandemiebeginn weiter im Zeichen des Coronavirus steht, bleibt außer Frage. Eine neuerliche Verschiebung stand diesmal nicht zur Debatte – um eine Infektion mit dem Coronavirus in den Wahllokalen so gering wie möglich zu halten, haben Italiens Innen- und Gesundheitsministerium allerdings gemeinsam umfangreiche Maßnahmen erlassen, die selbst eine obligatorische Desinfektion der Stifte nach jeder Stimmabgabe umfasst.

Gewagter Poker in Siena

Coronavirusbedingt gleich mehrmals verschoben, wird nun auch in Kalabrien eine neue Regionalvertretung gewählt. Hintergrund der vorgezogenen Wahl ist der Tod von Regionalpräsidentin Jole Santelli und die damit verbundene Auflösung des Regionalparlaments. Erwartet wird ein enges Rennen zwischen dem Mitte-rechts-Kandidaten Roberto Occhiuto und Amalia Bruni, der Spitzenkandidatin einer Mitte-links-Allianz. Im Rennen steht zudem Neapels scheidender Bürgermeister De Magistris mit dem Bündnis DemocraziaAutonomia (DemA).

In Siena und im römischen Wahlbezirk Primavalle-Bastogi werden parallel zur Gemeinderatswahl schließlich zwei vakante Sitze der italienischen Abgeordnetenkammer nachbesetzt. Hinter der Nachwahl steht zum einen der Wechsel des früheren Finanzministers und 2020 im Wahlkreis Siena für die Sozialdemokraten in das Parlament gewählte Pier Carlo Padoan in den Verwaltungsrat der italienischen Großbank Uni Credit. Nachbesetzt werden muss zudem der Platz der von der EU zur Hohen Vertreterin für die Sahelzone ernannten Fünf-Sterne-Politikerin Emanuela Del Re.

In Siena kandidiert auch der erst im März zum PD-Chef gewählte Ex-Premier Enrico Letta, womit nun selbst eine an sich kaum beachtete Nachwahl eine besondere Brisanz erhält. Spannung verspricht zudem das Abschneiden der Oppositionspartei FdI – die ungeachtet der gemeinsam unterstützten Bürgermeisterkandidaten mit der an der Regierung beteiligten Lega in einem Wettlauf um die Vormachtstellung in Italiens rechten Parteienspektrum steht.

Matteo Salvini und Giorgia Meloni
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Auf nationaler Ebene ist Salvinis Lega in der Regierung und Melonis FdI in der Opposition – bei den Kommunalwahlen treten sie im Bündnis an und hoffen etwa auf Erfolge in Mailand und Rom

„Echte Probleme“ der Städte im Fokus

Nicht zuletzt handelt es sich um die ersten großen Wahlen, seit Politquereinsteiger Draghi in Italien das Experiment einer nahezu alle politischen Lager umfassenden Regierungskoalition startete. Auf die anfängliche Skepsis folgte schon bald Staunen, denn allen Unkenrufen zum Trotz erweist sich die aus sechs an sich heillos zerstrittenen Parteien zusammengewürfelte Regierung bisher als erstaunlich stabil.

Außer Frage steht: Die Wahlen sind für Draghi, seine Regierung, aber auch für den bisher gefahrenen Krisenkurs ein wichtiger Stimmungstest. Was mögliche Folgen angeht, zeigen sich Beobachter allerdings auffallend zurückhaltend. Dahinter stehe zum einen, dass die gegeneinander antretenden Parteien auf nationaler Ebene gemeinsam regieren – zum anderen der in einem Medienbericht als „nie da gewesen“ bezeichnete Aspekt, wonach es diesmal tatsächlich um die Belange der Gemeinden gehe und „nicht mehr von vorgetäuschten Notlagen die Rede ist, sondern nur noch von echten Problemen, von Schlaglöchern, Müll, Stadtvierteln, Kultur, öffentlichen Verkehrsmitteln und sogar Museen“.