Die Lockerung der Maßnahmen gegen die Pandemie erlaube nun wieder etwas mehr Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum und auch Arbeitsleben, berichtete am Freitag die „Financial Times“. Warnungen, die strengen Lockdowns würden die Wirtschaft lähmen, hätten zuletzt den Druck auf die Regierung erhöht. Allerdings sind die Schritte ohnehin vergleichsweise vorsichtig.
Seit Freitag sind laut der Wirtschaftszeitung etwa in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem wirtschaftlichen Zentrum und der größten Stadt des Landes, wieder Treffen von bis zu zehn Personen – oder bis zu 50, wenn alle unter ihnen gegen das Virus geimpft sind – gestattet.
Enormes Stadt-Land-Gefälle bei Impfungen
Außerdem wolle die Stadt, das frühere Saigon und bis 1975 die Hauptstadt des Landes, ein „Green Card“-System einführen, um Unternehmen zu ermöglichen, wieder „normal“ zu arbeiten. Das entspricht offenbar dem „Grünen Pass“ bzw. einem Nachweis von zwei Impfungen.

Bis zu dieser Woche hätten an die sieben Millionen Einwohnerinnen und Einwohner der Zehn-Millionen-Metropole zumindest eine Dosis erhalten, fast drei Millionen auch die zweite, berichtete die „Financial Times“ unter Berufung auf Zahlen aus dem vietnamesischen Gesundheitsministerium. Außerhalb der Ballungsräume sieht es anders aus. Auf dem Land ist die Durchimpfungsrate verschwindend gering.
Ausländische Unternehmen machen Druck
Der Schritt von der Null-CoV-Strategie zu einer etwas „flexibleren“ sei erfolgt, nachdem Unternehmen, vor allem auch solche mit ausländischen Investoren im Hintergrund, Premierminister Pham Chinh gewarnt hätten, zu strenge Regeln würden ihnen schaden. Es habe auch Warnungen gegeben, solche Unternehmen, ein wesentlicher Motor der Wirtschaft des südostasiatischen Landes, könnten abwandern.

Besonders hart hätten diese Lockdowns beschäftigungsintensive Sektoren der Wirtschaft wie die Bekleidungs- und Schuh-, aber auch die Elektronikindustrie getroffen. Ausländische Konzerne, darunter die Technologieriesen Apple aus den USA und Samsung aus Südkorea, der japanische Toyota-Konzern und der US-Sportartikelhersteller Nike, hätten Probleme mit ihren Zulieferern bekommen.
Puma und adidas ging es nicht anders, alle litten unter Werksschließungen in Vietnam, hieß es mehrfach. Erst vor wenigen Tagen schrieb die „New York Times“ von einer „Krise“ im US-Einzelhandel wegen der Lockdowns in Südostasien. Zahlreiche US- und europäische Unternehmen aus den genannten Sektoren lassen in Südostasien produzieren.
Starker Einbruch der Wirtschaftsleistung
Mit seiner – strengen – Strategie war Vietnam im Kampf gegen das Virus erst vergleichsweise erfolgreich. Dann kam die hochansteckende Delta-Variante auch nach Ho-Chi-Minh-Stadt, es wurden Ausgangssperren und Reisebeschränkungen verhängt, die Bewegungsfreiheit im Ballungsraum sehr stark eingeschränkt. Unternehmen, schrieb die Londoner Wirtschaftszeitung am Freitag, hätten die Wahl gehabt, entweder ihre Arbeit zu unterbrechen oder ihren Beschäftigten Unterkünfte und Verpflegung zur Verfügung zu stellen.

Mitte dieser Woche habe Vietnam einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 6,2 Prozent im dritten Quartal gemeldet, berichtete die „Financial Times“. Der Wert sei der bisher höchste überhaupt gewesen.
Deshalb habe sich die Regierung eingestehen müssen, dass ihre bisherige Strategie nicht länger durchzuhalten sei. An deren Stelle steht nun eine laut dem vietnamesischen Gesundheitsministerium eine, die sich an den Kriterien „sichere Adaptierung, Flexibilität und effektive Kontrolle der Covid-19-Pandemie“ orientiere.
Armee überwachte Lockdown
Im Sommer war noch alles anders gewesen. Im August mobilisierte die vietnamesische Regierung das Militär, um den Lockdown in Ho-Chi-Minh-Stadt durchzusetzen. Es wurden Lebensmittel an die Bevölkerung verteilt, die Armee führte aber auch Personenkontrollen durch. Ende August hieß es, es seien nicht einmal zwei Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. Das Land hat geschätzte 98 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner.

Strenge Sanktionen
Aktuell melde Vietnam an die 780.000 Infektionen mit dem Coronavirus, hieß es in der „Financial Times“, rund 19.000 Menschen seien bisher an den Folgen gestorben. Gegen Ende August habe es mit der Delta-Variante des Virus einen starken Anstieg der Infektionszahlen gegeben, zuletzt seien sie etwas zurückgegangen.
In der kritischen Situation setzte die Regierung in Hanoi auch auf strenge Sanktionen. Im September berichtete etwa die "New York Times“, ein Mann sei wegen des Verstoßes gegen die geltenden Maßnahmen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Der 28-Jährige habe, als er von seinem Arbeitsplatz in Ho-Chi-Minh-Stadt nach Hause gefahren sei, mehrere Personen angesteckt, wobei eine an einer Infektion verstorben sei, lauteten die Vorwürfe gegen ihn. Seine Strafe habe der Mann wegen „Verbreitung gefährlicher Infektionskrankheiten“ erhalten, hieß es.