Tizian: Junge Frau mit Federhut
The State Hermitage Museum, Foto: Dmitri Sirotkin
KHM Wien

Tizians Frauen viel zu brav

Die lange erwartete Schau zu „Tizians Frauenbild“ im Kunsthistorischen Museum (KHM) Wien ist ab Dienstag endlich offen. Der Erneuerer der venezianischen Malerei verlieh weiblichen Porträts so viel Charakter wie kein Künstler vor ihm. So sinnlich die Bilder, so akademisch fällt die Beschäftigung damit aus: Die Ausstellung vermeidet jeden Hinweis auf die Lebensrealität der Kurtisanen, die für die Bilder Modell gestanden sein dürften.

Ein Veilchen steckt im Dekollete. So intensiv wie das blonde Haar und die weiße Haut der Dame leuchten, ist das Blümchen leicht zu übersehen. Wer hat es in ihren Ausschnitt gesteckt? Ob es wohl duftet? Um daran zu riechen, müsste man die Nase dem Busen nähern, aber dafür ist der Blick von Tizians „Violante“ zu reserviert.

Der Renaissancemaler liebte das Wechselspiel von Anziehung und Abstoßung, Enthüllen und Verdecken, heiß und kalt. Diese schwebende Spannung macht seine Werke noch 500 Jahre nach ihrem Entstehen so reizvoll. Weniger prickelnd klingt indes der Untertitel „Schönheit – Liebe – Poesie“ des pandemiebedingt verschobenen Tizian-Blockbusters im Kunsthistorischen Museum. Das Haus am Ring besitzt einen der weltweit größten Bestände des Altmeisters und konzentriert sich nun erstmals auf dessen Frauenbild.

Insgesamt 60 Gemälde von Tizian und Zeitgenossen wie Giovanni Bellini, Paolo Veronese und Giorgione wurden dafür vereint. Dabei soll es weniger um die Göttinnen, Bibelheldinnen und Allegorien gehen, vielmehr um die profanen „belle donne“, also jene attraktiven Venezianerinnen, denen Tizian in seinen Porträts Individualität und Tiefe verlieh.

Tizian: Violante; Junge Frau bei der Toilette
KHM-Museumsverband; RMN-Grand Palais/Franck Raux
Links: Tizians „Violante“ mit Veilchen im De­kolle­tee (um 1510/14), rechts: „Junge Frau bei der Toilette“ (um 1515)

Herrliche Leihgaben aus Madrid, Paris und St. Petersburg

Gleich im ersten großen Saal reihen sich herrliche Leihgaben aus Madrid, Paris und St. Petersburg aneinander, so das Frühwerk „Junge Frau bei der Toilette“ aus dem Louvre. Die Dargestellte hält versonnen ihre Haarsträhne und tunkt den Finger in Parfumöl. Ein Diener hält ihr einen Spiegel vor das Gesicht, und hinter ihrem Rücken hängt ein zweiter.

Aber betrachtet sie sich wirklich selber, oder blickt sie nicht vielmehr vorbei zum Fenster, das in der Spiegelung aufleuchtet? Ihr Spiegelträger hat die Augen geschlossen. Träumt er diese Szene idealer Schönheit gar nur?

Heilige oder Hure: Tizians Frauenbild im KHM

Mit einer Schau der Superlative begibt sich das Kunsthistorische Museum Wien auf Aufholjagd, will man doch das Publikum, das pandemiebedingt auf der Strecke geblieben ist, endlich wieder ins Museum locken. Zum 130. Geburtstag, den das international renommierte Haus Mitte Oktober feiert, hat sich Direktorin Sabine Haag und ihr Team Besonderes einfallen lassen. Mit der Ausstellung „Tizians Frauenbild. Schönheit – Liebe – Poesie“ soll das Jubiläum gebührend gefeiert werden. Anhand von rund 60 Gemälden aus internationalen Sammlungen konzentriert man sich auf die Darstellung der Frau in Tizians Oeuvre und seiner Zeitgenossen der venezianischen Renaissance, wie Jacopo Tintoretto, Paolo Veronese oder Lorenzo Lotto.

Wer die Frauen waren, die Tizian Modell standen, darüber wurde jahrhundertelang gemutmaßt. Aber ausgerechnet die jetzige Schau schweigt sich über die Debatten aus. Besonders drängt sich die Frage nach Identität und Schicksal der Dargestellten vor einer Wand auf, bei der das Publikum gleich dreimal auf dasselbe Gesicht trifft. Nebeneinander hängen dort die fürstlich gekleidete Figur „La Bella“ aus Florenz, die „Junge Frau im Pelz“ aus Wien und die „Junge Frau mit Federhut“ aus St. Petersburg.

Ausstellungsansicht „Tizians Frauenbild“ („La Bella“, „Junge Frau im Pelz“ und „Junge Frau mit Hut“)
KHM-Museumsverband
Dreimal dieselbe Porträtierte: „La Bella“, „Junge Frau im Pelz“, „Junge Frau mit Federhut“ (alle um 1534/36)

Kurtisanen unerwünscht

Der Saaltext informiert über Röntgenaufnahmen, die Aufschluss über Komposition der Porträts gaben, aber er verliert kein Wort darüber, um wen es sich hier handeln könnte. Spekulationen der Vergangenheit führten in die Halbwelt der Kurtisanen, die den venezianischen Künstlern häufig als Vorbild dienten.

Die Kunsthistorikerin Eva Gesine Baur hat 2020 unter dem Pseudonym Lea Singer den Roman „La Fenice“ veröffentlicht, in dem sie die Vergewaltigung und die Verleumdung der venezianischen Edelprostituierten Angela del Moro schildert. Baur unterstrich darin die These, dass es sich bei Tizians „La Bella“ ebenso wie bei der „Venus von Urbino“ in den Uffizien um diese Kurtisane handelt.

Keusche Busenblitzer

„In unserer Schau geht es nicht um weibliche Sozialgeschichte, sondern um das Bild der Frau in der Malerei des 16. Jahrhunderts“, unterstrich die Kuratorin Sylvia Ferino-Pagden bei der Pressekonferenz zu ihrer Ausstellungskonzeption und schob damit einer feministischen Kunstgeschichte den Riegel vor. Eine Erklärung, warum gesellschaftlicher und kunsthistorischer Hintergrund nicht Hand in Hand vermittelt werden können, blieb die frühere Leiterin der KHM-Gemäldegalerie schuldig.

Tizian: Venus mit Orgelspieler und Cupido
Archivo Fotográfico. Museo Nacional del Prado, Madrid
„Venus mit Orgelspieler und Cupido“ (um 1555): Im KHM steht nicht die Sexualisierung, sondern die Musik im Vordergrund

Der Begriff „Kurtisane“ kommt in der Schau überhaupt nur vor, um ihn zurückzuweisen. So etwa in der Galerie von Frauenbildnissen, die eine Brust entblößen. Bei diesen Busenblitzern gehe es nicht wie bisher behauptet um die Verführungskünste von Liebesdienerinnen, sondern um einen Treueschwur. Anstatt mit Reizen zu locken, würde die Geste eine Öffnung des Herzens für den einzigen Geliebten signalisieren. Neuinterpretationen schön und gut, aber es braucht schon Scheuklappen, um die vibrierende Sinnlichkeit von Tizians „Flora“ so keusch zu sehen.

Streit der Geschlechter

Wie es scheint, wollten Ferino-Pagden und ihre Kokuratorinnen ausgetretene Pfade der Tizian-Rezeption vermeiden. Besonderen Wert legt die Schau auf die Rolle der humanistischen Liebeslyrik, in der weibliche Figuren idealisiert und vorbildhafte Paare gefeiert wurden. Von Tizian selbst ist unter dem halben Dutzend Bildern von Liebespaaren jedoch keines vertreten.

Ausstellungshinweis

„Tizians Frauenbild. Schönheit – Liebe – Poesie“, bis 16.1. im Kunsthistorischen Museum, dienstags bis sonntags 10.00 bis 18.00 Uhr (mit Time-Slot-Ticket).

Wie viel Schmähung die Frauen erdulden mussten, thematisiert die Schau in zwei Kabinetten, die sich der „Querelle de femmes“ widmen. Mit diesem Begriff werden die jahrhundertelangen, meist frauenfeindlichen Debatten über die Geschlechterordnung bezeichnet. Im Cinquecento, als Venedig zu einem Zentrum des Buchdrucks wurde, erschienen erstmals auch Schriften kämpferischer Autorinnen wie Moderata Fonte und Christine de Pizan.

Altmodisch-akademisch statt am Puls der Zeit

Mit seiner liegenden Venus hat Tizian eine Aktdarstellung geschaffen, die noch moderne Maler wie Manet beschäftigte. Unverhohlen blickt der Orgelspieler aus dem Prado in den Schoß der hingebetteten Göttin. Der Saaltext streicht jedoch lieber die Rolle der Musik hervor als die Art und Weise, wie Frauen zu Sexobjekten gemacht wurden.

Vermittlungstechnisch kommt die Schau überhaupt gestrig daher, die Saaltexte sind fad, und digitale Medien fehlen. Sozialgeschichte und Feminismus hin oder her: Dieser Tizian-Inszenierung fehlt einfach der Pfeffer! Was an Schärfe in den Bildern selbst und ihrer Genese liegt, wurde durch eine altmodisch-akademische Betrachtungsweise restlos neutralisiert.