Filmcrew beim Aufbau eines Filmsets
AP/Yesica Fish
Hollywood

Filmcrew-Gewerkschaft auf den Barrikaden

In Hollywood rumort es: Mit überwältigender Mehrheit hat eine der größten US-Filmcrew-Gewerkschaften für einen Streik gegen den Studioverband gestimmt – erstmals in ihrer 128-jährigen Geschichte. Der Grund ist unter anderem, dass die Streaminganbieter schlecht bezahlen. Seit Dienstag wird weiterverhandelt.

Wenn Kameraleute, Lichtoperatoren, Cutterinnen und Maskenbildner nicht zu Arbeit erscheinen, dann steht das Set still – und genau das könnte Hollywood bald bevorstehen: Die International Alliance of Theatrical Stage Employees (IATSE), eine zentrale Gewerkschaft der Filmcrew-Mitarbeiter, stimmte am Wochenende mit fast 99-prozentiger Zustimmung für einen Streik.

Das Ergebnis ist nun ein Ass im Ärmel der IATSE, die seit Dienstag wieder mit der Alliance of Motion Picture and Television Producers (AMPTP) am Verhandlungstisch sitzt. Die AMPTP vertritt die großen Hollywood-Studios und die Streaminganbieter wie Netflix, Amazon und Apple. Nach viermonatiger Verhandlungszeit waren die Gespräche kürzlich wegen der festgefahrenen Verhandlungslage abgebrochen worden.

„Ich hoffe, dass die Studios die Entschlossenheit unserer Mitglieder sehen und verstehen werden“, zitierte die „New York Times“ („NYT“) Matthew D. Loeb, den Präsidenten der IATSE, in einer Erklärung. „Der Ball liegt bei ihnen“, so Loeb weiter, der nun auf ein „vernünftiges Angebot“ hofft.

Plakat auf der Zentrale der IATSE
AP/Chris Pizzello
Die Filmcrew-Gewerkschaft IATSE fordert höhere Löhne und längere verpflichtende Ruhepausen

Höheres Lohnniveau und verpflichtende Pausen

Die Gewerkschaft fordert vom Verband der Produktionsstudios eine bessere Bezahlung für die Arbeit bei Streamingdiensten sowie höhere Löhne für die Koordinatoren und Assistentinnen bei allen Produktionen. Außerdem müssten längere Ruhezeiten zwischen den Schichten und an den Wochenenden eingehalten werden und strengere Vorschriften für Essenspausen bei Marathondrehs gelten.

Der konkrete Hintergrund der jetztigen Verhandlungen ist der im Juli abgelaufene Dreijahresvertrag zwischen der IATSE und der AMPTP, der etwa 60.000 Mitglieder betrifft. Die AMPTP äußerte am Montag ebenfalls die Hoffnung auf eine baldige Einigung. Den Vorwurf, für den Verhandlungsstillstand verantwortlich zu sein, wies sie zurück und wies darauf hin, dass sich die Industrie noch immer von den Folgen der Coronavirus-Krise erholen würde. Eine Niederlegung der Arbeit würde die Existenz der Unternehmen bedrohen, wodurch wiederum Arbeitsplätze auf dem Spiel stünden.

Größere Gewerkschaftsaktion „überfällig“

Den letzten Streik hatte es in Hollywood 2007 gegeben, als die Writers Guild of America mit der Forderung nach höheren Löhnen eine 100-tägige Arbeitsniederlegung organisierte. Die Auswirkungen kosteten die kalifornische Wirtschaft 2,1 Milliarden Dollar und 37.700 Arbeitsplätze, rechnete die „NYT“ jetzt vor. Die Studios nutzten damals einen Rückstand an Drehbüchern, um die Dreharbeiten fortzusetzen. Bei einem Streik der IATSE würde hingegen die sofortige Einstellung drohen.

Teilnehmer des Drehbuchautorenstreiks 2007
Reuters/Lucy Nicholson
Zuletzt streikte 2007 die Writers Guild of America für höhere Löhne

Laut „NYT“ gilt unter Medienanalysten eine größere Gewerkschaftsaktion in Hollywood bereits als überfällig. Seit den 1940er Jahren wurde die Unterhaltungsindustrie etwa einmal pro Jahrzehnt durch einen Streik erschüttert, wobei häufig technologische Fortschritte die Ursache waren. Die Filmcrew-Mitglieder hatten zuletzt 1945 die Arbeit niederlegt, vertreten von der Conference of Studio Unions. Die heutige Gewerkschaft IATSE nahm damals die Gegenposition ein: Die Chicagoer Mafia, die die IATSE kontrollierte, wurde von den Studios bestochen, um Arbeitsunruhen zu vereiteln.

Spannungen schwelen seit Längerem

Die aktuellen Spannungen zwischen den Crews und den Studios schwelen schon seit Längerem. Die Crews – Hollywoods Äquivalent zu den Arbeitern – fühlen sich übersehen und unterschätzt, vor allem seit Technolgieunternehmen wie Apple und Amazon in der Unterhaltungsbranche viel Geld in die Hand nehmen.

Die Wut sei, so heißt es, im Sommer übergekocht, als der junge Beleuchter Ben Gottlieb eine Instagram-Seite ins Leben rief, die dazu aufrief, Horrorgeschichten aus dem Arbeitsalltag zu teilen. Auf der Seite, die inzwischen 147.000 Follower hat, haben inzwischen mehr als 1.100 Beschäftigte der Unterhaltungsbranche erschütternde Anekdoten gepostet.

„Wir sind Menschen, keine Maschinen“

„Wir sind Menschen, keine Maschinen“, sagte auch die Maskenbildnerin Sarah Graalman gegenüber der „NYT“. "Nur weil es normal ist, dass wir uns abrackern, heißt das nicht, dass es in Ordnung ist“, so Graalman, die schilderte, dass sie sich bei der Heimfahrt nach langen Arbeitstagen dadurch wachhalten würde, dass sie im Auto schreie, Wasabi-Erbsen esse und sich selbst heftig ohrfeige.

Längere Ruhepausen gelten als eine der Prioritäten bei den aktuellen Verhandlungen. Der Hintergrund ist, dass Unterhaltungsunternehmen aktuell versuchen, die durch die Pandemie verloren gegangenen Produktionszeiten „im halsbrecherischen Tempo wieder aufzuholen“, so etwa die „NYT“. Netflix und Disney hatten einen Rückgang bei den Abonnentenanmeldungen hinnehmen müssen, weil sich hochkarätige Angebote pandemiebedingt verzögert hatten.

Scheitern wäre „Schock für US-Wirtschaft“

Am Freitag schickten 120 Mitglieder des Kongresses – darunter Senator Chuck Schumer, Demokrat aus New York und Mehrheitsführer im Senat – einen offenen Brief an die AMPTP, in dem sie die Aushandlung eines „fairen“ Vertrags forderten: „Ein Scheitern der Verhandlungen würde nicht nur den Lebensunterhalt dieser Arbeitnehmer bedrohen, sondern auch den ihrer Familienangehörigen, die von der Arbeit in Ihrer Branche abhängig sind, und würde Schockwellen durch die gesamte US-Wirtschaft schicken“, heißt es in dem Schreiben.