Kritik und Protestaufruf nach EU-Recht-Urteil in Polen

Die Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts, dass Teile des EU-Rechts nicht mit der Verfassung Polens vereinbar seien, schlägt hohe Wellen.

Die EU-Kommission zeigte sich „besorgt“. Brüssel wolle „alle Mittel“ ausschöpfen, damit das EU-Recht in Polen gewahrt bleibe, so EU-Justizkommissar Didier Reynders in Reaktion auf das Urteil. Das Prinzip, wonach EU-Recht vor nationalem Recht vorrangig und Entscheidungen der EU-Justiz bindend seien, stelle ein zentrales Element des Staatenbunds dar, hieß es.

„Angriff gegen die EU“

Als „Angriff gegen die EU“ bezeichnete der französische EU-Staatssekretär Clement Beaune die Entscheidung. „Es besteht das Risiko eines De-facto-Austritts (Polens aus der EU, Anm.).“ Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) bezeichnete das Urteil als „dramatisch“. Sie will aber „nicht so weit gehen“, damit schon das Einleiten eines Austritts Polens aus der EU herbeizureden.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn bezeichnete das Urteil als „sehr besorgniserregend“. Die polnische Regierung spiele mit dem Feuer. „Der Vorrang des europäischen Rechts ist wesentlich für die Integration Europas und das Zusammenleben in Europa. Wenn dieses Prinzip gebrochen wird, wird das Europa, wie wir es kennen und wie es mit den Römischen Verträgen aufgebaut wurde, aufhören zu existieren“, warnte Asselborn.

Tusk ruft zu Protesten auf

Der ehemalige EU-Ratspräsident und polnische Oppositionsführer Donald Tusk rief unterdessen zu Protesten gegen das Urteil auf. „Ich rufe alle, die ein europäisches Polen verteidigen wollen, dazu auf, am Sonntag um 18.00 Uhr auf den Schlossplatz in Warschau zu kommen“, schrieb er gestern Abend auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. „Nur gemeinsam können wir sie stoppen.“

Tusk ist kommissarischer Vorsitzender von Polens größter Oppositionspartei, der liberalkonservativen Bürgerplattform.

Nächste Stufe in Streit über Justizreform

„Der Versuch des Europäischen Gerichtshofs, sich in das polnische Justizwesen einzumischen, verstößt gegen (…) die Regel des Vorrangs der Verfassung und gegen die Regel, dass die Souveränität im Prozess der europäischen Integration bewahrt bleibt“, hieß es gestern in dem mehrmals verschobenen Urteil. Dieses könnte nun den Streit zwischen Warschau und Brüssel über die Reform des polnischen Justizsystems weiter anheizen.

In dem Urteil hatten die obersten EU-Richter festgestellt, dass EU-Recht Mitgliedsstaaten zwingen kann, einzelne Vorschriften im nationalen Recht außer Acht zu lassen, selbst wenn es sich um Verfassungsrecht handelt.

Laut Europäischem Gerichtshof (EuGH) könnte das Verfahren zur Besetzung des Obersten Gerichtshofs in Polen gegen EU-Recht verstoßen. Das würde bedeuten, dass der EuGH Polen zwingen könnte, Teile der umstrittenen Justizreform der nationalkonservativen PiS-Regierung aufzuheben.

Polen erklärt EU-Verträge für verfassungswidrig

Der Oberste Gerichtshof in Polen hat Teile der EU-Verträge für verfassungswidrig erklärt. Eine Reihe von Artikeln seien nicht mit dem polnischen Grundgesetz vereinbar.

Die EU-Kommission hat wegen der Reformen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung in Warschau eröffnet und Klagen beim EuGH eingereicht. Unter anderem hat die Brüsseler Behörde auch Zweifel an der Unabhängigkeit des polnischen Verfassungsgerichts, das nun den Vorrang des nationalen Rechts über EU-Recht festgestellt hat. Vorsitzende ist Julia Przylebska, enge Vertraute von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski.