Bundeskanzler Sebastian Kurz schreibt am Mobiltelefon
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ÖVP-Affäre

Chats zeigen Sittenbild

Aus den Korruptionsermittlungen rund um Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sind am Freitag weitere Details an die Öffentlichkeit gedrungen. In auch der APA vorliegenden Chats lassen der ehemalige Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, und Kurz kein gutes Haar am ehemaligen ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner. Und auch ein Projekt zur Nachmittagsbetreuung von Kindern, das Mitterlehner und der damaligen SPÖ-Kanzler Christian Kern planten, sollte durchkreuzt werden.

Die Chatverläufe zwischen Schmid und Kurz, bei denen etwa der ehemalige ÖVP-Vizekanzler Mitterlehner alles andere als gut wegkommt, lassen laut Staatsanwaltschaft auf eine langjährige Freundschaft schließen. Der Kontakt zwischen Kurz und Schmid sei seit 2014 nie abgerissen.

Den Ermittlungen zufolge soll Schmid im Finanzministerium in der Causa um mutmaßlich geschönte Umfragen, die – so der Verdacht der Anklagebehörde – mit Scheinrechnungen bezahlt wurden, eine zentrale Rolle gespielt haben. Immer wieder hätten die beiden angeregt über Kurz’ Vorgänger als Parteichef, Mitterlehner, diskutiert, berichteten mehrere Medien.

Deftige Worte über Mitterlehner

Als Mitterlehner 2019 sein Buch „Haltung“ veröffentlichte, tauschten sich Schmid und Kurz darüber aus. Schmid schrieb demnach: „Diese alten Deppen sind so unerträglich! Keiner musste sich jemals einer Bundeswahl stellen und den Schwachsinn der Vorgänger erklären! Du hast das alles erfolgreich geschafft und wir durften dabei mitarbeiten Mitterlehner ist ein Linksdilettant und ein riesen oasch!! Ich hasse ihn Bussi Thomas.“ Und Kurz, damals Kanzler der türkis-blauen Regierung, antwortet: „Danke Thomas Super war dass Spindi heute ausgerückt ist. Das stört den Arsch sicher am meisten…“

Die neuen Chatnachrichten

Am Freitag sind neue Chatnachrichten bekanntgeworden. Sie zeigen ein Sittenbild der engsten Mitarbeiter von Sebastian Kurz. In den SMS-Nachrichten ziehen die Mitarbeiter über den früheren Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und den früheren Finanzminister her. Die ZIB2 hat die Inhalte dieser Nachrichten mit jüngsten Aussagen von Bundeskanzler Kurz abgeglichen.

„Bitte, kann ich ein Bundesland aufhetzen?“

Zudem habe Kurz Mitterlehner offenbar auch keinen Erfolg gönnen wollen. So schrieb Kurz etwa an Schmid im Zusammenhang mit Verhandlungen von Mitterlehner mit dem damaligen SPÖ-Kanzler Kern rund um eine Lösung für Banken und 1,2 Milliarden Euro für Nachmittagsbetreuung für Kinder: „Gar nicht gut. Wie kannst Du das aufhalten?“ Unmittelbar danach schickte er an Schmid: „Bitte, kann ich ein Bundesland aufhetzen?“ Am Freitag merkte Kurz in seinem Pressestatement an, dass er die Nachrichten „teilweise in der Emotion und der Hitze des Gefechts so formuliert habe, wie ich sie heute nicht mehr formulieren würde“.

Als der damaligen Finanzminister Hans Jörg Schelling in einer wichtigen Steuerfrage einen Kompromiss mit der SPÖ habe eingehen wollen, schrieb Schmid laut Ö1 an Mitarbeiter im Finanzministerium über den damaligen Finanzminister: „Habe mit Kurz geredet. Kurz war ganz klar. Kurz sagte, er will keinen Kompromiss und keine Lösung. Wenn er es macht, ist er draußen.“

Druck auf IHS?

In den Berichten der Korruptionsstaatsanwaltschaft gebe es auch Hinweise darauf, dass Schmid Druck auf das Institut für Höhere Studien (IHS), dessen damaliger Leiter der derzeitige Arbeitsminister Martin Kocher war, ausüben wollte, weil es in einzelnen Fragen nicht auf Kurz’ Linie war. Etwa schrieb Schmid: „Mit den Wirtschaftsforschern habe ich telefoniert, wegen der zwölf Milliarden Entlastung. Schellhorn voll auf Linie, der braucht ein bisschen Pflege. Kocher bringe ich noch auf Linie. IHS von BMF finanziert. Badelt – Wendehals.“ Kocher und WIFO-Chef Christoph Badelt wollte Schmid auf Linie bringen. Druckmittel war offenbar ein Fördervertrag mit dem IHS. „Ich will diesen Fördervertrag IHS jetzt doch nicht freigeben. Können wir das noch rückgängig machen?“ Der Vertrag wurde allerdings unterzeichnet.

Der im Chat vermutlich angesprochene Franz Schellhorn, Leiter des wirtschaftsliberalen Thinktanks Agenda Austria, meinte in einer Reaktion gegenüber der APA: „Dass ich nicht pflegeleicht bin, mag sein. Aber dass ich pflegebedürftig wäre, ist mir neu.“ Was immer Schmid damit gemeint haben kann, sei „ein Rätsel“, zudem habe man nie miteinander gesprochen. Tatsache sei, dass die Agenda Austria als einziges Institut weder Aufträge noch Geld von Staat, Parteien, Interessenvertretungen oder Vorfeldorganisationen nehme.

„Wie kann Fischler früher abgelöst werden?“

Laut den Chats versuchte Schmid auch 2018 Franz Fischler, Präsident des IHS-Kuratoriums, loswerden. So schreibt Schmid im Mai 2018: „Wie kann Fischler früher abgelöst werden?“ sowie „Und wir brauchen verlässliches Kuratorium Müssen das jetzt angehen“.

Fischler ist allerdings bis heute tätig, Schmid musste zur Kenntnis nehmen, dass Fischler im Kuratorium breite Unterstützung genoss und selber hätte zurücktreten müssen.

Interventionen für Karmasin?

Schmid dürfte kein besonders respektvolles Verhältnis zur zeitweiligen Familienministerin Sophie Karmasin gehabt haben. Unter anderem bezeichnete er sie 2019 als „wäre gut steuerbar“. Dennoch sieht die WKStA „deutliche Indizien“, dass Schmid für Karmasin intervenierte, damit sie nach dem Ausscheiden aus der Politik wieder als Meinungsforscherin Fuß fassen konnte.

Im Februar, nachdem Karmasin ein Gespräch mit Schmid zum IHS gehabt hatte, schrieb dieser an den damaligen IHS-Chef Kocher: „Lieber Herr Kocher, wir Haber in paar ernste Fragen zur Entwicklung des IHS! Möchte gerne baldigen Termin“. Karmasin urgierte in Chats mit Schmid infolge weitere Termine mit Kocher – und bekam im Juni 2018 mit ihrem kurz davor neu gegründeten Institut Karmasin Research & Identity einen Konsulentenvertrag des IHS-Kompetenzentrums Insight Austria. Und drei Monate später beschwerte sie sich bei Schmid, „mit IHS rennt das nicht so wie vereinbart“.

Kocher: Kritik „deutlich zurückgewiesen“

Schmid wollte auch im August 2018 „denen Stress“ machen, nachdem das IHS Regierungsvorhaben zur Reform der Sozialversicherungsträger und der Finanzierung der Bildungsinstitutionen kritisiert hatte. „Müssen Termin machen. Aufbereiten – den ganzen Käse den das IHS derzeit verbreitet. SV Kritik Bildungs Kritik. Will denen Stress machen“, schreibt er. Dennoch wurde IHS-Chef Kocher im Jänner 2021 Arbeitsminister.

Er meldete sich zu den veröffentlichten Chats am Freitag via Twitter zu Wort: „Es liegt in der Natur der Sache und ist immer wieder vorgekommen, dass Institutionen und Personen Wünsche, Meinungen und Kritik zu Forschungsergebnissen und Interpretation derselben an mich herangetragen haben.“ Er habe diese als Direktor aber immer „sehr deutlich“ zurückgewiesen. Das IHS habe in seiner Zeit „immer völlig partei- und regierungsunabhängig und wissenschaftlich integer agiert“, so Kocher.

Einstieg bei Beinschabs Firma?

Über den SPÖ-Kandidaten Kern merkt Schmid in einem ausführlichen Chat mit Meinungsforscherin Sabine Beinschab an: „Ich hasse Kern“. Deren Antwort: „Ich mag ihn auch nicht, er ist so ein typischer Wiener.“ Zwei Tage nach der Nationalratswahl lässt Beinschab Schmid wissen, sie gehe „morgen wieder ins Feld“. Dann bespricht sie mit Schmid „Umfragen mit beliebten Koalitionsvarianten“, der Vorschläge unterbreitet, wie diese Umfragen aussehen sollten.

In einem anderen Chat unterhalten sich Schmid und der spätere Kanzlersprecher Johannes Frischmann darüber, dass sie sich am Institut von Beinschab beteiligen wollen. „Ich meine das ernst. Die kriegt bald orf Vertrag. Und Fellner hat sie jetzt fix übernommen. Werde mit ihr im neuen Jahr essen gehen und das klar stellen. Sonst bekommt sie ein Problem. Mit mir! Sophie ist damit einverstanden.“, schrieb Schmid. Daraus geworden ist aber offenbar nichts.