Szene des Films „The Last Duel“ mit Jodie Comer
2021 20th Century Studios
„The Last Duel“

„#MeToo“ im Mittelalter-Kracher

Ridley Scott lässt das Mittelalter krachen: Nach einer Drehbuchidee von Matt Damon und Ben Affleck geht es in „The Last Duel“ brutal zur Sache. Zwei Ritter duellieren sich um die Ehre einer Frau. Doch auch sie wird diesmal gefragt, wie sie das findet – und auf einmal sieht die Sache mit der Ehre ganz anders aus.

Am 29. Dezember 1386, vor fast 635 Jahren, fand auf dem Gelände des Klosters Saint-Martin in Paris das letzte offizielle Duell statt, dessen Ergebnis vom Gericht als Gottesurteil anerkannt wurde. Die beiden Männer, die gegeneinander antraten, mit Streitaxt, Lanze, Dolch und Schwertern, waren eigentlich einmal Freunde gewesen.

Jean de Carrouges war der eine, ein Ritter aus einem verarmten Geschlecht, der durch die Heirat mit der schönen und reichen Marguerite de Thibouville wieder zu Vermögen gekommen war. Der andere, Jacques le Gris, war nur ein Knappe, ein Günstling des Königs. Seite an Seite hatten die beiden Männer einen Krieg überstanden, Jean hatte Jacques das Leben gerettet.

Doch dann machte sich der rechthaberische Jean beim König unbeliebt, während der gesellige Jacques immer mehr Zeit am Hof verbrachte. Irgendwann war Jacques, dem Jeans Frau Marguerite schon lange gefallen hatte, in dessen Abwesenheit bei ihr vorbeigekommen. Danach sagte sie: Er hat mich vergewaltigt. Und er: Das ist nie passiert. Aussage stand gegen Aussage, es ging um die Ehre zweier Männer, die Frau war Nebensache.

Szene des Films „The Last Duel“ mit Adam Driver und Matt Damon
2021 20th Century Studios
Der fesche Knappe Jacques (Adam Driver) trifft auf den sturen Ritter Jean (Matt Damon)

„Keiner kann Mittelalter wie er“

Diese Begebenheit, die Eric Jager, Professor für englische Mediävistik an der University of California in Los Angeles, in seinem 2006 auf Deutsch erschienenen Buch „Auf Ehre und Tod“ facettenreich schildert, ist Ausgangspunkt für Scotts jüngsten Film „The Last Duel“. Die Drehbuchidee stammte von den Freunden Matt Damon und Ben Affleck, die sich an Scott wandten, weil „keiner Mittelalter kann wie er“, wie Affleck bei der Venedig-Premiere des Films in Anspielung auf Scotts „Königreich der Himmel“ (2005) und „Robin Hood“ (2010) sagte.

Der Ritter, der Knappe und die schöne Maid

Das Mittelalter dröhnt in „The Last Duel“ gewaltig, bei grausamen Schlachten, in zugigen Burgen, bei hemmungslosen Sauf- und Sexgelagen. Doch erfolgreiches Rittersein ist nicht nur mit Gemetzel, sondern auch mit viel Administration verbunden, wie Jean de Carrouges (Matt Damon mit beeindruckendem Vokuhila-Haarschnitt) nach seiner Hochzeit feststellen muss. Jean ist einer, der sich immer ungerecht behandelt fühlt, und dass bei der großzügigen Mitgift seiner Frau Marguerite (Jodie Comer) eine ganz bestimmte kleine Burg fehlt, schmerzt ihn sehr.

Die jedoch hat der König (Ben Affleck mit blonder Perücke) erst kürzlich Jacques le Gris (Adam Driver) geschenkt, zum Dank, dass der seine Geldgeschäfte in Ordnung hält. Schon länger ist es Jean ein Dorn im Auge, wie gut sich Jacques – von niedrigem Stand, aber gebildet – am Hof zurechtfindet. Und dass der ganze Hofstaat über den humorlosen Gerechtigkeitsfanatiker Jean lacht, macht die Sache nicht besser. Erst als Jean bei einem Fest mit Marguerite auftritt und sie und Jacques einander kennenlernen und sympathisch finden, ist eine Versöhnung in Sicht. Doch in Wahrheit nimmt da die Katastrophe erst ihren Lauf.

Weib als Beute

„The Last Duel“ ist ein wüstes Ding, da wird gehauen und gestochen, als gäbe es kein Morgen, gedroschen und gemordet, gesoffen und gevögelt, doch bei Letzterem will niemand Jean dabeihaben. Damon spielt ihn als stumpfen Choleriker, einen Michael-Kohlhaas-Typ, schlicht in seinen moralischen Überlegungen. Jean ist nicht bereit, die Welt aus einer anderen Perspektive als seiner eigenen zu sehen. Als ihm seine Frau berichtet, sie sei vergewaltigt worden, ist er entsetzt, allerdings nur wegen seiner verletzten Ehre.

Szene des Films „The Last Duel“ mit Ben Affleck
2021 20th Century Studios
Der König (Ben Affleck) ist so lange auf Jacques’ Seite bis dieser wirklich Mist baut

„The Last Duel“ besteht aus drei Kapiteln, erzählt aus drei verschiedenen Perspektiven: aus der Jeans, der des lebenslustigen Jacques, und, wie ein Schlüssel zum Rest des Filmes, aus der Sicht Marguerites. Über sie wird anfangs verhandelt, als sei sie Nutzvieh, für ihren Vater und ihren Ehemann bemisst sich ihr Wert nur nach ihrer Mitgift und ihrer Fähigkeit, einen männlichen Erben zu gebären – um nichts anderes geht es.

Bei dieser Dreifaltigkeit der Erzählperspektiven stand Akira Kurosawas Klassiker „Rashomon“ aus dem Jahr 1950 Pate; auch dort wird ein Verbrechen aus mehreren, teils einander widersprechenden Blickwinkeln geschildert. Im oft schwerfälligen Genre des Ritterfilms ist dieser Perspektivwechsel ungemein aufschlussreich, macht er doch deutlich, dass der weibliche Blickwinkel in der Geschichte fast immer gefehlt hat – und wie anders die Welt auf einmal aussieht, wenn die Sichtweise einer Frau als erzählenswert befunden wird.

Szene des Films „The Last Duel“ mit Matt Damon und Jodie Comer
2021 20th Century Studios
Marguerite (Jodie Comer) hat letztlich keine Geduld mehr mit ihrem gekränkten Ehemann

In Afflecks Worten: „Der Film verdeutlicht, wie wenig Frauen innerhalb eines patriarchalen Systems vom Gesetz und von der Gesellschaft als ganze Menschen betrachtet werden.“ Als kompetente weibliche Unterstützung haben sich Damon und Affleck dafür die Regisseurin und Drehbuchautorin Nicole Holofcener ins Boot geholt, Spezialistin für herb-humorvolle kleine Filme, die das Peinliche und allzu Menschliche verständnisvoll verhandeln. Aus ihrer Hand stammt der Großteil des dritten Kapitels.

Mittelalter-„#MeToo“

Was „The Last Duel“ nicht zuletzt leistet, ist das glaubwürdige Aufdröseln einer „#MeToo“-Situation, in der einem Vergewaltiger jedes Schuldbewusstsein fehlt. Und die Bedeutung des historischen Falles macht genau das aus: dass da vor über 600 Jahren eine Frau gewagt hat, darauf zu beharren, dass ihr Unrecht geschehen ist – in einer Gesellschaft, die sie nicht als eigenständige Person sieht.

Wie selten bis heute in einer solchen Situation eine Verurteilung ist, ist hinlänglich bekannt. Plakativ, brutal, überdeutlich und mit gerechtfertigtem Pathos lassen Scott und sein Drehbuchteam am Ende keine Fragen offen. Vor allem ist „The Last Duel“ aber ein bombastisches Ritterspektakel, das die Bedeutung von „Ritterlichkeit“ grundsätzlich hinterfragt, das auch witzige Moment zulässt, und das bei allem Pathos unglaublich spannend ist – bis zum allerletzten Moment.