Pressekonferenz von SPD, den deutschen Grünen und FDP
AP/Markus Schreiber
Deutschland

Plan von SPD, Grünen und FDP reift

Drei Wochen nach der deutschen Bundestagswahl gehen SPD, Grüne und FDP den nächsten Schritt zur Bildung einer „Ampelkoalition“. Die Unterhändler der Parteien einigten sich auf die Schwerpunkte einer gemeinsamen Regierung und streben nun Koalitionsgespräche an. „Wir sind davon überzeugt, dass wir einen ambitionierten und tragfähigen Koalitionsvertrag schließen können“, heißt es in einem gemeinsamen Papier der drei Parteien zu den Ergebnissen der Sondierungen, das am Freitag veröffentlicht wurde.

Die Parteispitzen von Grünen und FDP hoben bei einem gemeinsamen Pressetermin mit SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz die gute Stimmung bei den Sondierungsgesprächen hervor. Es sei sehr „bemerkenswert“ und „wohltuend“, wie vertrauensvoll die Sondierungsgespräche verlaufen seien, sagte Scholz. Nach seinem Eindruck sei „ein Aufbruch möglich“, getragen von den drei Parteien. Scholz machte deutlich, dass es um Fortschritt und Modernisierung in vielen Bereichen gehe.

Es sei trotz der Unterschiede unter den Parteien in der Nacht in intensiven Gesprächen gelungen, „Brücken zu finden“, sagte die gemeinsam mit Robert Habeck an der Spitze der Grünen stehende Annalena Baerbock. Es gehe „nicht um eine Politik kleinster gemeinsamer Nenner“, sondern darum, „in einer Fortschrittskoalition für wirkliche Erneuerung zu sorgen“. Habeck hob die „sehr zufriedenstellende“ Verständigung bei Finanzen und Investitionen hervor. Hier seien gerade Grüne und FDP weit auseinandergelegen – trotzdem sei es gelungen, dass Belastungen für Bürgerinnen und Bürger nicht kommen, aber Investitionen möglich seien.

SPD, Grüne und FDP vor Koalitionsverhandlungen

In Deutschland haben sich SPD, Grüne und FDP auf ein gemeinsames Sondierungspapier geeinigt, das Grundlage für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen sein soll.

Diese politische Konstellation sei neu, „wir sehen darin aber eine Chance“, sagte FDP-Chef Christian Lindner. „Wir haben das gemeinsame Verständnis, dass unsere Gesellschaft einen Modernisierungsschub benötigt“, betonte auch er. In einer „Ampelkoalition“ solle es darum gehen, „Gesellschaft, Wirtschaft und Staat zu modernisieren“.

SPD-Vorstand einstimmig für Koalitionsverhandlungen

Die SPD hatte die Bundestagswahl am 26. September mit 25,7 Prozent knapp vor der Union (24,1 Prozent) gewonnen. Scholz hatte daraufhin angekündigt, er wolle die Möglichkeiten der ersten „Ampelkoalition“ auf Bundesebene ausloten. Grüne und FDP galten nach der Wahl als Königsmacher. Sie können rechnerisch sowohl zusammen mit der SPD als auch mit der Union eine Regierung bilden. Beide Optionen schlossen sie zunächst nicht aus, beschlossen nach mehreren Gesprächsrunden aber, intensiver mit den Sozialdemokraten zu sondieren.

In einem Ergebnispapier der Sondierungen listeten SPD, Grüne und FDP „Vorfestlegungen“ auf und räumten dabei auch einige Streitthemen ab. „Die Sondierungsgespräche waren von Vertrauen, Respekt und gegenseitiger Rücksichtnahme geprägt. Das wollen wir fortsetzen“, heißt es dazu in dem Sondierungspapier.

Nun müssen die Parteigremien von Grünen und FDP den Weg für Koalitionsverhandlungen frei machen. Bei den Grünen soll ein Kleiner Parteitag am Sonntag entscheiden, die FDP-Führung entscheidet dann am Montag. Bei der SPD gibt es bereits grünes Licht für Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP: Das Sondierungspapier und der damit verbundene Einstieg in die Verhandlungen wurde Freitagabend einstimmig vom Parteivorstand abgesegnet.

„Größtes Modernisierungsprojekt seit hundert Jahren“

Laut Scholz soll die neue Regierung vor Weihnachten stehen. Vertreter aller drei Parteien hätten deutlich gemacht, dass die Gespräche bis dahin abgeschlossen sein sollten, sagte er. Deutschland stehe dem SPD-Chef zufolge vor dem größten industriellen Modernisierungsprojekt seit wahrscheinlich über hundert Jahren. Wenn die Zusammenarbeit weiter so gut klappe, werde das eine gute Zukunft für das Land.

Wie aus dem zwölf Seiten umfassenden Sondierungspapier hervorgeht, wollen SPD, Grüne und FDP im Falle einer Regierungsbildung den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöhen. Die Unterhändler der „Ampelparteien“ einigten sich zudem darauf, dass der Kohleausstieg „idealerweise“ auf 2030 vorgezogen wird. Zudem wolle man „keine neuen Substanzsteuern einführen“ und Steuern wie die Einkommens-, Unternehmens- und Mehrwertsteuer nicht erhöhen.

Vor Koalitionsgesprächen in Berlin

In Deutschland haben sich SPD, Grüne und FDP auf ein gemeinsames Sondierungspapier geeinigt, das Grundlage für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen sein soll.

Anstelle der bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) soll der Vereinbarung zufolge ein „Bürgergeld“ eingeführt werden. Dieses solle „die Würde des und der Einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen sowie digital und unkompliziert zugänglich sein; es soll Hilfen zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt stellen.“

Kein generelles Tempolimit

Ihre Pläne wollen die drei Parteien unter Berücksichtigung der Schuldenbremse umsetzen. „Wir werden im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse die nötigen Zukunftsinvestitionen gewährleisten, insbesondere in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung sowie die Infrastruktur“, heißt es in dem Papier.

Eine zentrale Rolle kommt dem Klimaschutz zu: „Wir sehen es als unsere zentrale gemeinsame Aufgabe, Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen, so wie es der Pariser Klimavertrag und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorgeben.“ Zu den anvisierten Maßnahmen zählt neben dem früheren Kohleausstieg auch das Aus für den Verbrennermotor: „Gemäß den Vorschlägen der EU-Kommission hieße das im Verkehrsbereich, dass in Europa 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen werden – entsprechend früher wirkt sich dies in Deutschland aus.“

„Das ist halt der Preis“

Ein generelles Tempolimit steht indes nicht auf dem Plan der „Ampelkoalition“: Habeck sagte, es sei in dem gemeinsamen Papier darum gegangen, Klarheit zu schaffen. „Das Tempolimit konnten wir nicht durchsetzen. An anderen Stellen sind wir sehr zufrieden.“ Die FDP ist gegen ein generelles Tempolimit. Auch Steuerentlastungen für Geringverdiener wird es nicht geben. Solche Entlastungsversprechen seien nach den Sondierungsgesprächen nicht vorgesehen, sagte Habeck. „Das ist halt der Preis, den wir zahlen, weil die FDP sich an der Stelle durchgesetzt hat.“

„Das Wahlalter für die Wahlen zum Deutschen Bundestag und Europäischen Parlament wollen wir auf 16 Jahre senken“, heißt es weiters. Zudem heißt es: „Wir wollen das Wahlrecht überarbeiten, um nachhaltig das Anwachsen des Deutschen Bundestages zu verhindern.“ Zum Thema Migration und Flucht hielten die Sondierer fest: „Die Asylverfahren, die Verfahren zur Familienzusammenführung und die Rückführungen wollen wir beschleunigen“, zudem sollten legale Zugangswege geschaffen werden.

„Kunterbunter Wunschzettel mit vielen Fragezeichen“

Kritik kam am Freitag von der Union. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sprach von einem „kunterbunten Wunschzettel mit vielen großen Worten und noch mehr Fragezeichen“. Die Vorhaben seien nicht finanziert. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt befand: „Das ist keine Grundlage für eine Fortschrittskoalition, sondern für Linksträumereien. Die Ampel steht deutlich auf Rot.“

Linke-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow kritisierte, in einer SPD-Grünen-FDP-Koalition werde es keine Vermögenssteuer und „keine Umverteilung von oben nach unten geben“. Die FDP habe sich bei den Sondierungen in vielen Punkten durchgesetzt, schrieb sie auf Twitter. Der „Ampel“ gehe es „um eine Transformation Deutschlands in ein Versuchslabor für linke Gesellschaftsexperimente“, kritisierte Gottfried Curio von der AfD.

„Ich denke, das werden sie tun“, meldete sich indes auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) während eines Brüssel-Besuchs zu den anstehenden „Ampel“-Koalitionsverhandlungen zu Wort. Sie könne den EU-Partnern „aus voller Gewissheit sagen, es wird eine Regierung sein, die proeuropäisch ist“, fügte Merkel hinzu. „Und das ist eine wichtige Botschaft für die Partner in der EU.“

Politbarometer sieht klare Mehrheit für „Ampel“

Laut ZDF-Politbarometer treffen die Pläne zur Bildung einer „Ampelkoalition“ auf Zustimmung der Bevölkerung. 62 Prozent der Befragten fänden eine Regierung aus SPD, Grünen und FDP gut. Eine Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP wird dagegen ebenso mehrheitlich abgelehnt wie eine weitere Große Koalition aus SPD und Union. Unterstützung gibt es in der Umfrage auch für einen Kanzler Scholz. Drei Viertel der Befragten fänden es gut, wenn der SPD-Politiker Kanzler würde.