Gedenken an Tory-Abgeordneten David Amess
APA/AFP/Tolga Akmen
Tory-Abgeordneter erstochen

Attentat löst Demokratiedebatte aus

In Großbritannien herrscht nach dem tödlichen Angriff auf den Tory-Abgeordneten David Amess tiefe Betroffenheit. Premierminister Boris Johnson und andere führende Politiker legten am Samstag Kränze am Tatort in der Kleinstadt Leigh-on-Sea nieder. Nicht zuletzt löste die Bluttat auch eine Debatte über die Sicherheitsvorkehrungen für Politiker und Politikerinnen aus. Im Zentrum steht die Frage: Wie gefährlich ist Bürgernähe?

Amess war am Freitag während einer Bürgersprechstunde in seinem Wahlkreis in der Grafschaft Essex von einem Angreifer erstochen worden. Ein 25 Jahre alter Mann wurde wegen Mordverdachts noch am Tatort festgenommen.

Erste Untersuchungen hätten „eine mögliche Motivation in Verbindung zu islamistischem Extremismus“ ergeben, hieß es in der Mitteilung der Polizei. Die Ermittler gehen von einem Einzeltäter aus.

Zeitungscovers zum Anschlag
APA/AFP/Daniel Sorabji
Die britische Polizei geht bei dem Attentat von einem Terrorakt aus

„Müssen sicherstellen, dass die Demokratie das überlebt“

Unterhauspräsident Lindsay Hoyle mahnte eine Debatte über die Sicherheit von Politikern an. Es sei aber „essenziell“, dass die Abgeordneten ihre Beziehung zu den Bürgerinnen und Bürgern aufrechterhalten könnten, sagte Hoyle in der BBC am Freitagabend. Er selbst habe daher seine Sprechstunde selbst nach dem Attentat auf Amess noch abgehalten. „Wir müssen sicherstellen, dass die Demokratie das überlebt“, so Hoyle weiter.

Treffen mit Bürgern „vorübergehend einstellen“

Amess’ Parteifreund Tobias Ellwood, der für seinen Erste-Hilfe-Einsatz nach einem terroristischen Angriff auf das Parlament im Jahr 2017 bekannt wurde, forderte am Samstag hingegen, physische Treffen von Angeordneten mit Bürgern vorübergehend einzustellen.

Der britische Abgeordnete David Amessmit seinen Hunden.
APA/AFP/Richard Townshend

Innenministerin Priti Patel, die eine umgehende Sicherheitsüberprüfung angeordnet hatte, bezeichnete das Attentat als „Angriff auf die Demokratie“. Sie sprach sich für ein neues Gleichgewicht zwischen dem demokratischen Prozess und der Sicherheit der Abgeordneten aus.

„Wir können uns nicht von einem Einzelnen oder einem Beweggrund einschüchtern lassen, sodass wir aufhören zu funktionieren, unserer gewählten Demokratie zu dienen“, so Patel im Nachrichtensender Sky News.

Der Labour-Abgeordnete Chris Bryant sagte dem „Guardian“, dass „vernünftige Maßnahmen“ nicht nur im Parlament, das in der Regel bewacht wird, sondern auch in den Wahlkreisen notwendig seien. Dort hielten sich Abgeordnete häufig an öffentlichen Orten wie Gemeindehäusern oder auf der Straße auf. „Wir wollen nicht in Festungen leben. Aber ich möchte nicht noch einen Kollegen durch einen gewaltsamen Tod verlieren.“

Besucher bei Genkstelle an Tory-Abgeordneten David Amess
APA/AFP/Tolga Akmen
Bürgerinnen und ein Bürger bei der Gedenkstelle – der Fall rüttelt auch am britischen Demokratieverständnis

Sprechstunden als wesentlicher Demokratiebestandteil

Britische Abgeordnete, die alle direkt in ihrem Wahlkreis gewählt werden, bieten regelmäßig Sprechstunden mit Bürgern an, die auch kurzfristig besucht werden können. Die „surgeries“ werden gewöhnlich einmal pro Woche abgehalten und gelten als wichtiger Bestandteil der demokratischen Kultur in Großbritannien. Auch die Labour-Abgeordnete Jo Cox war 2016 bei einer Bürgersprechstunde von einem Rechtsextremisten ermordet worden. Das Attentat ereignete sich nur wenige Wochen vor dem Brexit-Referendum.

Mord an Abgeordnetem als Terrorakt eingestuft

Der Mord an einem Abgeordneten erschüttert Großbritannien: David Amess, ein Vertreter der konservativen Torys, ist am Freitag bei einem Termin in seinem Wahlkreis in Essex erstochen worden. Dieser Angriff wird nun von der Polizei als Terrorakt eingestuft. Die Ermittler halten ein islamistisches Motiv für wahrscheinlich.

Amess klagte über strenge Sicherheitsvorkehrungen

In einem im vergangenen Jahr veröffentlichten Buch klagte Amess noch darüber, wie die seit dem Mord an Cox gestiegenen Sicherheitsvorkehrungen „die großartige britische Tradition“ der Treffen mit Bürgern erschwere. „Wir alle machen uns gerne verfügbar für die Bewohner unserer Wahlkreise und haben es oft mit Menschen mit psychischen Problemen zu tun. Es könnte jeden von uns treffen“, so Amess damals.

Der Tory-Abgeordnete hinterlässt eine Frau und fünf Kinder. Der gläubige Katholik aus einer Arbeiterfamilie galt als erzkonservativer Brexit-Befürworter, der sich gegen das Recht auf Abtreibung und für Tierrechte einsetzte. Er war auch ein entschiedener Gegner der Fuchsjagd. Amess saß seit 1983 für die Torys im britischen Parlament, zuerst für den Wahlkreis Basildon, später für Southend West. Er war ein glühender Anhänger der „Eisernen Lady“ Margaret Thatcher. 2015 wurde er zum Ritter geschlagen.

Keir Starmer und Boris Johnson
APA/AFP/Tolga Akmen
„Die Herzen aller sind erfüllt von Schock und Traurigkeit“, sagte Johnson, der am Samstag mit Starmer den Tatort besuchte

„Schock und Traurigkeit“

Premierminister Johnson besuchte am Samstag den Tatort in dem südostenglischen Küstenort Leigh-on-Sea östlich von London. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie der Premier und Konservativen-Parteichef einen Kranz an der Methodisten-Kirche niederlegte, die am Freitag zum Schauplatz des Messerangriffs auf Amess geworden war. Begleitet wurde er vom Oppositionschef Keir Starmer von der Labour-Partei, Innenministerin Patel und Unterhauspräsident Hoyle, die ebenfalls Kränze niederlegten.

Johnson hatte sich bereits am Vortag tief betroffen von dem tödlichen Angriff auf den 69 Jahre alten Parteifreund gezeigt. Die Herzen aller seien erfüllt von „Schock und Traurigkeit“ sagte Johnson am Freitag zu Reportern. Amess sei einer der „liebenswertesten und freundlichsten Menschen in der Politik“ gewesen.

Die tödliche Messerattacke sorgte bis ins Königshaus für Entsetzen. „Wir sind schockiert und traurig über den Mord an Sir David Amess, der 40 Jahre seines Lebens dem Dienst an der Gemeinschaft geopfert hat“, teilten Prinz William und Herzogin Kate am Freitagabend per Twitter mit. Ihre Gedanken und Gebete seien bei der Familie, den Freunden und Kollegen des getöteten Abgeordneten, so das Paar weiter.