Ex-Bundeskanzler Christian Kern
ORF
Kern über Kurz

„Wollte Koalition als Streithansln hinstellen“

Der ehemalige Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat am Dienstag in der ZIB2 seine Perspektive zum Zusammenbruch der damaligen SPÖ-ÖVP-Regierung beschrieben. Durch die im Zuge der ÖVP-Affäre ans Licht gekommenen Chats sei heute „erwiesen“, dass seitens des Ex-Kanzlers und damaligen Außenministers Sebastian Kurz (ÖVP) gegen die Koalition gearbeitet wurde, so Kern. Zudem äußerte er sich zur Problematik der Inseratenvergabe, die im Zentrum der Ermittlungen steht. Dabei nahm er auch die eigene Partei in die Verantwortung.

„Es ist ja erwiesen jetzt durch die Chats, dass viele politische Projekte zerstört wurden“, so Kern, der bereits vergangene Woche zum „Falter“ gesagt hatte, Kurz habe „sabotiert und zerstört“. Man habe die damalige SPÖ-ÖVP-Koalition als „Streithansln“ hinstellen wollen, transportiert, dass nur gestritten werde und Stillstand herrsche. Das sei dann aktiv herbeigeführt worden.

Kurz sei zweifellos populärer gewesen als der damalige Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Auch Machtkämpfe kämen immer wieder vor, immerhin sei die Politik „kein Kindergeburtstag“. Allerdings: „Problematisch ist, wenn jemand vorne steht, für den der Zweck alle Mittel heiligt“, so Kern. Er verwies auf frauenverachtende Nachrichten, Druck auf die Kirche, Wirtschaftsforscher oder Landeshauptleute. „Ich habe viel gesehen, aber das war mir neu“, so Kern. Die ÖVP müsse als staatstragende Partei einen anderen Anspruch haben.

Ex-Kanzler Kern über Kurz und Inseratenwesen

Regierungsausgaben für Inserate sind wegen mutmaßlicher Gefälligkeitsberichterstattung in das Rampenlicht gerückt. In der ZIB2 meldet sich dazu der ehemalige Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) zu Wort.

„Erbsünde der SPÖ“

Auch zur Problematik der Inseratenvergabe äußerte sich Kern in dem Interview. Dabei nahm er auch seine Partei in die Verantwortung, die wegen der Inseratenpraxis unter Ex-Kanzler Werner Faymann (SPÖ) sowie dem hohen Inseratenvolumen in Wien selbst immer wieder scharf kritisiert wird. „Natürlich hat die SPÖ da eine Verantwortung“, so Kern. Kurz habe bei der Inseratenvergabe ein existierendes System übernommen und zur Perfektion getrieben. Es sei eine „Erbsünde der SPÖ“, dass man in der Thematik nicht entschlossener vorgegangen sei.

Dass seine eigene Regierung noch einmal deutlich mehr für Inserate ausgegeben habe als die Vorgängerregierung unter Faymann, begründete Kern damit, dass man „wie ein Drogenkonsument auf Entzug“ sei. Man gerate in eine Spirale, in der jeder versuche, sich durch Inseratenpolitik eine möglichst gute Position zu verschaffen.

Initiative gegen „Inseratenkorruption“

Regierungsausgaben für Inserate sind wegen mutmaßlicher Gefälligkeitsberichterstattung in das Rampenlicht gerückt. Die neue Initiative „Saubere Hände“ forderte am Dienstag in Wien strengere Antikorruptionsgesetze. Auch mit der, wie es hieß, „Inseratenkorruption“ müsse endlich Schluss sein.

Als Bundeskanzler habe er in der Sache kein Durchgriffsrecht gehabt. Laut Kern sei daher während seiner Amtszeit mit Mitterlehner vereinbart worden, dass alle Inserate durch Bundesrat und Ministerrat gehen müssen. Das sei aber verhindert worden. „Richtung der entsprechenden Nutznießer ist dann kommuniziert worden: Der Kern ist verrückt, der will euch das Geschäft ruinieren.“ Kurz sei in dieser Situation eine Einnahmequelle, Kern und Mitterlehner eine Bedrohung gewesen.

„Krebsübel der Demokratie“

Gleichzeitig bezeichnete er den viel kritisierten Umgang mit Inseraten als „Krebsübel der Demokratie“, weil „hier Medien missbraucht werden, sich auch missbrauchen lassen, die eine wichtige demokratische Aufgabe erfüllen“. Durch die Entstehung von Abhängigkeitsverhältnissen könnten Medien ihre Kontrollfunktion nicht mehr wahrnehmen.

Fehler sah Kern dabei auch bei seiner eigenen Partei, angesprochen etwa auf das hohe Inseratenvolumen der Stadt Wien. Er habe keine Möglichkeit, entsprechenden Einwänden zu widersprechen. Man müsse „Meinungspluralismus fördern und nicht jene, die wohlwollende Berichterstattung willfährig bringen“, gerade angesichts von „Echoräumen“ in sozialen Netzwerken.

Vage Worte zu Doskozil-Gerüchten

Bezüglich einer möglichen personellen Neuaufstellung an der Spitze der SPÖ blieb Kern vage. Zu Gerüchten, dass der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) – den Kern mittlerweile berät – als Spitzenkandidat in die nächste Wahl gehen könnte, äußerte er sich nicht. Er sei „in der wirklich glücklichen Situation“, sich darüber nicht den Kopf zerbrechen zu müssen. Er selbst habe für sich gelernt, dass man „gar nichts ausschließen soll“. Er sei aber zufrieden in seiner Rolle als Unternehmer.

ÖVP ortet SPÖ-Doppelmoral

Angesichts der von Kern angesprochenen SPÖ-Inseratenpolitik ortet die ÖVP eine „unerträgliche Doppelmoral“, so ÖVP-Generalsekretär Axel Melchior. „Angesichts dieser immens hohen Ausgaben für Werbung und Inserate ist das Verhalten der SPÖ in der aktuellen Debatte vollkommen scheinheilig“, so Melchior in einer Aussendung. Kerns Kritik an Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz zeige, dass Kern seine Wahlniederlage im Jahr 2017 immer noch nicht verkraftet habe.