Militärhubschrauber evakuiert die US-Botschaft in Kabul
AP/Rahmat Gul
Ex-Afghanistan-Beauftragter

US-Abzug „nicht auf Grundlage von Fakten“

Im ersten Interview nach seinem Rücktritt hat Zalmay Khalilzad seine Arbeit als US-Sonderbeauftragter für Afghanistan verteidigt – und die Hintergründe rund um den chaotischen US-Abzug kritisiert. Die Debatte über den Abzug innerhalb der US-Regierung sei demnach „nicht wirklich auf der Grundlage der Realität und der Fakten“ geführt worden, sagte der 70-jährige Diplomat am Sonntag gegenüber CBS.

Khalilzad stellt demnach in den Raum, dass der unter seiner Federführung mit den radikal-islamischen Taliban ausgehandelte Rückzug – Stichwort Doha-Abkommen – zwar an Bedingungen geknüpft, allerdings nicht an ein bestimmtes Datum gebunden gewesen sei. Dennoch habe die US-Regierung entschieden, „einem Kalender zu folgen“.

CBS verweist auf Kritik, wonach der ehemalige US-Sonderbeauftragte bei den Verhandlungen mit den Taliban womöglich „zu viel gegeben und zu wenig bekommen“ habe. Khalilzad wies die gegen ihn gerichteten Anschuldigungen strikt zurück. Er sei auch nicht von den politischen Führern der Taliban in die Irre geführt worden, während deren Kämpfer auf dem Boden erhebliche Fortschritte gemacht hätten. „Ich lasse mich nicht in die Irre führen. Ich mache meine Hausaufgaben“, so Khalilzad, der noch anfügte: „Das hat nicht Zal Khalilzad allein gemacht. Ich hatte das Militär, den Geheimdienst, alle waren dabei.“

ehemaliger US-Sonderbeauftragten Zalmay Khalilzad
APA/AFP/T. J. Kirkpatrick
Khalilzad trat Anfang der Woche als Sonderbeauftragter der USA für Afghanistan zurück

„Hätte viel schlimmer kommen können“

Was den chaotischen Abzug der US-Truppen betrifft, kommt Khalilzad zum Schluss, dass dieser noch deutlich verheerender verlaufen hätte können. „Ich sage nicht, dass es ein geordneter Rückzug war. Es war eine hässliche Schlussphase, kein Zweifel. Zweifellos hätte es viel schlimmer kommen können“, so Khalilzad. „Kabul hätte zerstört werden können. Es hätte zu Straßenkämpfen kommen können.“

Die letzten US-Soldaten waren Ende August aus Afghanistan abgezogen. Bereits zwei Wochen zuvor hatten die Taliban die Hauptstadt Kabul kampflos erobert, weil die afghanischen Sicherheitskräfte keinen Widerstand leisteten. Kurz vor dem Ende der US-Evakuierungsmission waren bei einem Anschlag auf dem Flughafen Kabul 13 US-Soldaten und Dutzende Afghanen getötet worden.

„Kampf geht weiter“

Khalilzad räumte ein, die Bemühungen, eine Demokratie in Afghanistan aufzubauen, seien „nicht erfolgreich“ gewesen. „Dieser Kampf geht weiter.“ Die militant-islamistischen Taliban haben seit ihrer Machtübernahme keine Absichten erkennen lassen, das Volk etwa in Form von Wahlen mitbestimmen zu lassen.

Neuer US-Sonderbeauftragter für Afghanistan ist Khalizads bisheriger Stellvertreter, Thomas West. Khalilzad war im September 2018 von der Regierung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump auf den Posten berufen worden. Nach dem Wahlsieg Bidens ließ die neue Regierung den Karrierediplomaten im Amt. Am Montag vergangener Woche hatte US-Außenminister Antony Blinken Khalilzads Rücktritt verkündet. Blinken dankte dem Diplomatieveteranen für seinen „jahrzehntelangen Dienst“ für die USA.

Ex-US-Sonderbeauftragter über Truppenabzug

Im ersten Interview nach seinem Rücktritt hat Zalmay Khalilzad seine Arbeit als US-Sonderbeauftragter für Afghanistan verteidigt – und die Hintergründe rund um den chaotischen US-Abzug kritisiert.

Der in Afghanistan geborene US-Diplomat sollte eine Friedenslösung für Afghanistan finden, um einen US-Truppenabzug aus dem Bürgerkriegsland zu ermöglichen. Was folgte, war das im Februar 2020 besiegelte Abkommen von Doha, in dem die USA den Taliban einen vollständigen Truppenabzug bis Mai 2021 zusicherten.

Seit August wieder an der Macht

Im Gegenzug wollten die Taliban auf Angriffe auf die US-Truppen und ihre Verbündeten verzichten. Zudem versprachen sie einen Bruch mit dem Terrornetzwerk al-Kaida und sagten künftige Friedensgespräche mit der afghanischen Regierung zu. Allerdings überrannten die Taliban im Zuge des von Trumps Nachfolger Biden vollzogenen US-Truppenabzugs das Land.

Die Taliban-Flagge vor der US-Botschaft in Kabul
AP/Bernat Armangue
Die Taliban-Flagge am Tor der ehemaligen US-Botschaft in Kabul

Die Islamisten kehrten im August mit der Einnahme der Hauptstadt Kabul an die Macht zurück. Für die USA und ihre westlichen Verbündeten wurde der Abzug vom Hindukusch damit 20 Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu einer Demütigung.

„Spektakulär gescheitert“

Khalilzad geriet immens unter Beschuss, und viele Beobachter und Beobachterinnen stellten dem US-Afghanistan-Sonderbeauftragten ein miserables Zeugnis aus. „Er hat schlecht verhandelt, die Taliban ermutigt und behauptet, Verhandlungen würden zu einer Übereinkunft der Machtteilung führen, obwohl die Taliban keinerlei Absicht hatten, die Macht zu teilen“, sagte etwa Husain Haqqani von der Denkfabrik Hudson Institute.

Der konservative US-Abgeordnete und Afghanistan-Veteran Michael Waltz schrieb ebenfalls im August in einem Brief an Biden, der Sonderbeauftragte habe den Präsidenten „schlecht beraten“, seine diplomatische Strategie sei „spektakulär gescheitert“. Auch für die Biden-Regierung tätige Beamte hätten das von Khalilzad ausgehandelte Abkommen als fehlerhaft kritisiert, so CBS: Dennoch habe man keine andere Wahl gehabt, als es zu akzeptieren.