Türkischer Präsident Tayyip Erdogan
Reuters/Murad Sezer
Erdogan gegen zehn Länder

Gemäßigtere Töne nach Diplomatie-Eklat

Nach der Drohung, zehn Botschafter praktisch des Landes zu verweisen, hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan seinen Ton am Montag wieder etwas gemäßigt. Zuvor hatten die USA und andere der betroffenen Staaten ihrerseits betont, sich an die diplomatische Konvention der Nichteinmischung in interne Angelegenheiten zu halten. Grund für den Streit war – nicht zum ersten Mal – ein entsprechender Vorwurf mit Blick auf den Umgang mit Regierungskritikern.

Die amtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu zitierte Erdogan mit den Worten, er begrüße die Erklärung der westlichen Botschaften zur Einhaltung des diplomatischen Vertrags. „In letzter Minute“, titelte die auflagenstarke türkische Tageszeitung „Hürriyet“ Montagabend und berichtete von einer möglichen positiven Wende in der Causa. Die „Cumhuriyet“ berichtete Ähnliches über eine akkordierte Stellungnahme mehrerer Botschafter. Erdogan musste sich für seinen Ton – auch im eigenen Land – deutliche Kritik gefallen lassen.

Die US-Botschaft und mehrere andere westliche Vertretungen im Land, laut „Cumhuriyet“ darunter etwa die aus Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden, Kanada und Neuseeland, hatten zuvor mitgeteilt, sie hätten sich an eine diplomatische Konvention gehalten, sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines Gastlandes einzumischen.

Ohne Gesichtsverlust für beide Seiten

„Die Vereinigten Staaten stellen fest, dass sie Artikel 41 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen einhalten“, hieß es von der US-Botschaft auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Erdogan habe das als Einlenken gewertet, hieß es Montagabend.

Analyse: Diplomatie-Eklat entschärft

In der diplomatischen Krise um die angedrohte Ausweisung von zehn westlichen Botschaftern aus der Türkei scheint es eine Annäherung zu geben. ORF-Korrespondent Jörg Winter erklärt die Details.

Die Botschafter hätten damit vor „der Verleumdung unserer Justiz und unseres Landes kehrtgemacht“, sagte Erdogan nach einer Kabinettssitzung in Ankara. Er glaube daran, dass sie in Zukunft „vorsichtiger“ sein werden. Wer die Unabhängigkeit der Türkei und die Empfindsamkeiten der Türken nicht respektiere, werde in diesem Land nicht willkommen geheißen, so Erdogan. Egal welchen Status die Person habe.

Kritik an Haft für Regierungskritiker

Der Hintergrund: Erdogan hatte am Wochenende angekündigt, die Botschafter und Botschafterinnen aus Deutschland, den USA und acht weiteren Staaten durch das Außenministerium zu unerwünschten Person erklären zu lassen. Ein solcher Schritt bedeutet in der Regel die Ausweisung der Diplomaten.

Anlass war eine Forderung der Botschafter, den seit 2017 ohne Urteil inhaftierten Menschenrechtsaktivisten und Kulturmäzen Osman Kavala freizulassen. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) hatte bereits 2019 seine Freilassung gefordert. Erdogan wertete die Positionierung der Botschaften als Einmischung in innere Angelegenheiten.

Kritik an Eskalationskurs auch aus dem eigenen Land

Aus Erdogans Regierungspartei AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) kam vereinzelt Unterstützung für Erdogans Drohung, die ranghohen Präsidentenberater Ibrahim Kalin und Fahrettin Altun, eigentlich als treue Fürsprecher Erdogans bekannt, hätten sich aber nicht dazu geäußert, hieß es.

Offene Kritik übte der frühere Präsident und Außenminister Abdullah Gül. Es könne nicht im Interesse des Landes sein, die Sache zu einer noch größeren Krise zu machen, wurde er am Montag in der oppositionsnahen Zeitung „Sözcü“ zitiert. Der frühere Erdogan-Getreue hatte sich bereits zuvor kritisch gegenüber dem Präsidenten geäußert.

Vorwurf der Ablenkung von Wirtschaftskrise

Der Chef der größten Oppositionspartei CHP (Republikanische Volkspartei), Kemal Kilicdaroglu, warf Erdogan vor, künstliche Probleme zu schaffen, um von der von ihm verursachten wirtschaftlichen Krise abzulenken. Die türkische Landeswährung Lira, die seit geraumer Zeit mit Problemen kämpft, fiel am Montag erneut auf Tiefstände.

Als eine der Angesprochenen äußerte sich auch die deutsche Bundesregierung am Montag kritisch zu den Drohungen aus Ankara. Man sehe diese „mit Sorge und Unverständnis“, so Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Eine Sprecherin des deutschen Außenministeriums sagte, man habe von türkischer Seite noch keine offizielle Nachricht dazu erhalten.

Deutschland habe sich am Wochenende mehrfach mit Partnern in Paris und Washington beraten. Die Reaktion werde man davon abhängig machen, welchen Schritt die türkische Seite jetzt setzen werde.

International zurückhaltende Reaktionen

Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell teilte mit, man verfolge die Entwicklungen sehr genau und stufe die Situation als sehr ernst ein. Bisher sei jedoch keines der betroffenen Länder über tatsächliche Maßnahmen informiert worden.

Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg äußerte sich zurückhaltend: Bis Ergebnisse der Kontakte zwischen der Türkei und den jeweiligen Ländern bekanntwürden, sei es zu früh, darüber zu sprechen. Der finnische Präsident Sauli Niinistö sagte, über Medien habe man von der türkischen Reaktion gehört, nicht aber auf diplomatischem Wege.

Menschenrechtsaktivist seit 2017 in Haft

Die zehn Botschafter hatten am 18. Oktober die Freilassung des seit 2017 inhaftierten Kavala gefordert. Unterzeichner sind neben Deutschland und den USA Frankreich, die Niederlande, Dänemark, Finnland, Schweden, Norwegen, Kanada und Neuseeland. Auf Nachfrage solidarisierte sich auch das österreichische Außenministerium mit der Erklärung. Kavala, Unternehmer und Menschenrechtsaktivist, ist wegen unterschiedlicher Vorwürfe in Haft, angefangen von Spionage bis hin zu einer Beteiligung am Putschversuch 2016.