Poster eines Demonstranten zeigt Julian Assange
Reuters/Henry Nicholls
Auslieferung möglich

Assange-Verfahren in nächster Runde

Nach neuen Enthüllungen im Fall Julian Assange geht der Rechtsstreit um eine mögliche Auslieferung von Julian Assange in die USA in eine neue Runde. Seit mehr als zwei Jahren sitzt der WikiLeaks-Gründer in Haft. In London beschäftigt sich aktuell erneut ein Gericht mit der Frage, ob Assange in die USA ausgeliefert werden soll. Ein baldiges Ende des Rechtsstreits ist nicht in Sicht.

An den Royal Courts of Justice in London hat heute das Berufungsverfahren begonnen, in dem die USA die bisherige Entscheidung der britischen Justiz anfechten und weiter um die Auslieferung Assanges kämpfen. Die US-Justiz will dem 50-jährigen Australier wegen Spionagevorwürfen den Prozess machen. Ihm drohen in den USA bis zu 175 Jahre Haft. Eine Richterin in London hatte das Auslieferungsbegehren im Jänner mit Hinblick auf Assanges angegriffene psychische Gesundheit und die zu erwartenden Haftbedingungen in den USA abgelehnt.

Vorgeworfen wird Assange, mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht zu haben. Er habe damit US-Informantinnen und -informanten in Gefahr gebracht. Seine Unterstützerinnen und Unterstützer sehen in ihm einen investigativen Journalisten, der Kriegsverbrechen ans Licht brachte.

Berichte über Anschlagspläne durch CIA

Nach Berichten über mögliche Anschlagspläne der US-Geheimdienste auf Assange hoffen viele auf eine Kehrtwende in dem Rechtsstreit. „Das ist ein Wendepunkt“, sagte Assanges Verlobte, Stella Moris, vor der Anhörung zu Medien in London. „Es zeigt die wahre Natur und die Kriminalität des Vorgehens der USA gegen Julian.“

Demonstranten vor dem Royal Courts of Justice in London
Reuters/Henry Nicholls
Dutzende Menschen versammelten sich in London, um für Assanges Freilassung zu demonstrieren

Investigative Journalistinnen und Journalisten hatten vor einigen Wochen unter Berufung auf nicht genannte US-Quellen berichtet, der US-Auslandsgeheimdienst CIA habe Anschlagspläne auf Assange geschmiedet, während dieser sich noch in der ecuadorianischen Botschaft in London aufhielt.

„Die Frage ist: Kann Großbritannien jemanden an ein Land ausliefern, das ihn umbringen wollte?“, sagte Moris. „Ich mache mir große Sorgen um Julians Gesundheit“, sagte sie vor dem Gericht, wo Unterstützerinnen und Unterstützer mit „Free Assange“-Plakaten demonstrierten. „Ich hoffe, die Justiz wird diesen Alptraum beenden, sodass Julian nach Hause kommen kann und die Vernunft gewinnt.“

„Würde Auslieferung nicht überleben“

Assange nahm per Videoschaltung am Berufungsverfahren teil. Er verfolgte die Anhörung aus dem Gefängnis, nachdem ihn sein Anwalt zuvor entschuldigt hatte. Ihm gehe es gesundheitlich und psychisch allerdings sehr schlecht, so seine Verlobte. Sie ist überzeugt: „Julian würde eine Auslieferung nicht überleben.“ Der 50-Jährige bekomme eine höhere Dosis an Medikamenten und fühle sich nicht in der Lage, die Anhörung zu verfolgen, sagte sein Anwalt am Mittwoch zu Beginn des Verfahrens vor dem Royal Courts of Justice in London.

Stella Morris, Partnerin von Julian Assange, vor dem Royal Courts of Justice in London
Reuters/Hannah McKay
Moris zeigte sich über den Gesundheitszustand ihres Verlobten besorgt

US-Anwalt: Urteil basiert auf falschen Schlussfolgerungen

James Lewis als Anwalt der US-Regierung sagte am Mittwoch vor dem Londoner Gericht: „Wir halten daran fest, dass die Richterin falsch lag, als sie zu ihrer Schlussfolgerung kam.“ Das Urteil der britischen Richterin hatte sich auch auf die Annahme gestützt, Assange könnte nach seiner Auslieferung in Isolationshaft in die extrem abgesicherte US-Haftanstalt ADX Florence im US-Staat Colorado eingewiesen werden. „ADX“ steht für „administrative maximum“ und damit für die höchste Sicherheitsstufe, den Supermax-Standard. Die Haftanstalt ist wegen ihrer harschen Haftbedingungen berüchtigt.

Lewis versicherte, der WikiLeaks-Gründer würde weder vor noch nach einem Prozess in den USA in die Haftanstalt ADX Florence gebracht. Er werde zudem „jede empfohlene klinische und psychologische Behandlung erhalten“. Möglicherweise werde er auch eine Haftüberstellung in seine Heimat Australien beantragen können.

Das Verfahren soll am Donnerstag fortgesetzt werden, eine schnelle Entscheidung wird jedoch nicht erwartet. Assange sitzt seit mehr als zwei Jahren im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Auch an anderen Anhörungen hatte er mehrfach per Videoschaltung teilgenommen.

NGOs fordern Freilassung

Amnesty International forderte erneut die Freilassung des inhaftierten WikiLeaks-Gründers. Die US-Justiz müsse ihre Vorwürfe gegen den Australier fallen lassen, und die britischen Behörden müssten ihn umgehend aus der Haft entlassen, teilte die Menschenrechtsorganisation mit.

Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen forderte US-Präsident Joe Biden auf, das Verfahren zu stoppen. Die USA wollten sich auf der Weltbühne wieder für Menschenrechte einsetzen, sagte die Londoner Vertreterin der Organisation, Rebecca Vincent. „Aber das wird immer ein großer Stachel im Fleisch bleiben. Das muss aufhören.“