UN Generalsekretär Antonio Guterres
Reuters/Yves Herman
Guterres bei COP26-Festakt

„Wir graben uns unser eigenes Grab“

Die von den Staaten weltweit versprochenen Anstrengungen beim Klimaschutz reichen nach Worten von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres bei Weitem nicht aus, um eine Katastrophe abzuwenden. Ganz in diesem Sinn rief der UNO-Chef die Staats- und Regierungsvertreter auf der Weltklimakonferenz am Montag in Glasgow auf, mehr zu tun.

„Wir graben unser eigenes Grab“, sagte Guterres bei der feierlichen Auftaktveranstaltung mit Dutzenden Staats- und Regierungschefs, darunter Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP). Eindringlich warnte der UNO-Chef vor einem Scheitern des Klimagipfels. In diesem Fall müssten die Länder ihre Klimapläne nicht nur alle fünf Jahre, sondern „jedes Jahr und jeden Moment“ auf den Prüfstand stellen. Es gebe „ein Defizit an Glaubwürdigkeit und ein Übermaß an Verwirrung bei der Reduzierung der Emissionen“.

Regierungen müssten Subventionen für fossile Brennstoffe beenden, aus der Kohle aussteigen und einen Preis für sämtliche Emissionen festlegen, verlangte er. „Es ist an der Zeit, zu sagen: Genug“, sagte Guterres. „Genug brutale Angriffe auf die Artenvielfalt. Genug Selbstzerstörung durch Kohlenstoff. Genug davon, dass die Natur wie eine Toilette behandelt wird. Genug Brände, Bohrungen und Bergbau in immer tiefere Lagen.“

Klimagipfel in Glasgow beginnt

UNO-Generalsekretär Antonio Guterees warnte davor, weiter Raubbau an der Natur zu betreiben.

Gleichzeitig äußerte Guterres große Zweifel an den bisherigen Klimaschutzversprechen mancher Staaten. Selbst, wenn alle tatsächlich eingehalten würden, steige die Erwärmung zur Jahrhundertwende auf 2,7 Grad über vorindustriellem Niveau. „Wir steuern immer noch auf eine Klimakatastrophe zu.“

Johnson will „Bombe entschärfen“

Der britische Premierminister Boris Johnson als Gastgeber nahm die Staats- und Regierungschefs ebenfalls in die Pflicht. Das Treffen müsse „der Anfang vom Ende“ des zerstörerischen Klimawandels werden, sagte Johnson zu Beginn der feierlichen Eröffnungszeremonie am Montag in Glasgow. „COP26 kann und darf nicht das Ende der Geschichte sein.“ Man habe mit dem Pariser Klimaabkommen ein Rettungsboot geschaffen, dem man nun einen Schubs in die Richtung einer grüneren, saubereren Zukunft geben müsse.

„Es ist eine Minute vor Mitternacht auf der Uhr des Weltuntergangs“, sagte Johnson. „Wir fühlen uns vielleicht nicht wie James Bond und sehen vielleicht auch nicht so aus.“ Aber mit Blick auf den Filmgeheimagenten und die Gefahr der Erderwärmung sagte er: „Lasst uns diese Bombe entschärfen.“ Man habe nun die einmalige Chance, das Ruder herumzureißen und dafür zu sorgen, dass kommende Generationen die heutigen Mächtigen nicht verurteilen würden, sagte der Premier zu seinen Amtskolleginnen und -kollegen.

Queen appelliert an Gipfelteilnehmer

Am Abend redete die britische Königin Elizabeth II. den Staats- und Regierungschefs eindringlich ins Gewissen. „In den kommenden Tagen hat die Welt die Chance, eine sicherere und stabilere Zukunft für unsere Bevölkerung und den Planeten, von dem wir abhängig sind, zu schaffen“, sagte die Königin in einer am Montagabend veröffentlichten Botschaft.

Sie selbst hoffe, dass die Konferenz einer jener Momente sein werde, an denen alle die Politik des Augenblicks hinter sich ließen und über sich hinauswachsen würden. „Viele hoffen, dass das Vermächtnis dieses Gipfels – geschrieben in noch zu druckenden Geschichtsbüchern – Sie als die Staatenlenker beschreiben wird, die die Gelegenheit nicht verpasst haben, sondern dass Sie dem Ruf dieser zukünftigen Generationen gefolgt sind“, sagte die Queen.

Merkel für weltweiten CO2-Preis

Italiens Ministerpräsident Mario Draghi forderte schließlich einen besseren Einsatz der Gelder im Kampf gegen den Klimawandel. Es stünden Dutzende Billionen Dollar zur Verfügung, aber nun müsse man einen intelligenten Weg finden, dieses Geld schnell auszugeben, sagte der frühere Chef der Europäischen Zentralbank (EZB). Draghi forderte aber auch, dass die Länder weiter gehen müssten als beim Treffen der 20 stärksten Industrienationen am Wochenende in Rom. Dort scheiterten die G-20 daran, ein starkes Signal für mehr Klimaschutz nach Glasgow zu senden.

„Wir werden mit staatlichen Aktivitäten allein nicht vorankommen“, sagte Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel: „Deshalb will ich hier ein klares Plädoyer einlegen für die Bepreisung von Kohlenstoffemissionen.“ Mit einem solchen Preis kann man Merkel zufolge die Industrie dazu bringen, die technologisch besten Wege zur Klimaneutralität zu finden.

Der spanische Regierungschef Pedro Sanchez forderte für die Eindämmung der Klimaerwärmung eine neue internationale Ordnung. „Die Regierungen, öffentliche Verwaltungen, die Menschen, die Unternehmen und die Finanzinstitutionen müssen dabei als unverzichtbare Akteure für die notwendigen Veränderungen zusammengeführt werden.“

Entschuldigung für Trumps Klimapolitik

„Wir haben nur noch ein kurzes Zeitfenster vor uns“, mahnte US-Präsident Joe Biden. „Mit jedem Tag, den wir warten, steigen die Kosten der Untätigkeit“, so der US-Präsident, demzufolge in Glasgow nun „der Startschuss für ein Jahrzehnt des Ehrgeizes und der Entschlossenheit“ sein müsse. Biden entschuldigte sich bei seiner Rede schließlich auch für den Rückzug seines Vorgängers Donald Trump aus dem Pariser Klimaschutzabkommen.

Klimagipfel in Glasgow beginnt

Der 26. Klimagipfel in Glasgow strebt nach politischer Einigkeit, um die Erderwärmung im Zaum zu halten.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte, dass die größten Klimasünder ihre Ambitionen steigern. Das sei der Schlüssel für einen Erfolg in den nächsten zwei Wochen, sagte Macron in Glasgow. Zudem müssten auch die Schwellenländer ihren Beitrag leisten, um mehr Klimaschutz zu finanzieren. Notwendig seien Ehrgeiz, Solidarität und Vertrauen.

Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) unterstrich bei seiner Rede die enge Verbindung der österreichischen Aktivitäten beim Klimaschutz mit jenen auf EU-Ebene. Und Europa sei mit seinen Klimazielen „auf dem besten Weg, bis 2050 erster klimaneutraler Kontinent zu werden“, so Schallenberg. Beim globalen Ziel, den Klimawandel aufzuhalten, gelte es, neue, nachhaltige Formen der industriellen Produktion, der Verkehrstechnik, des Konsums, des Wohnbaus wie auch der Waldbewirtschaftung zu finden. So sei das Ziel der Nullemissionen zu erreichen, schloss Schallenberg.

Attenborough hofft auf richtige Entscheidungen

Beim feierlichen COP26-Auftakt meldete sich zuvor unter anderem auch Prinz Charles zu Wort. Dieser betonte die wichtige Rolle des Privatsektors für eine klimaneutrale Zukunft. Industrie und Banken hätten Billionen, um die Transformation voranzutreiben, sagte der britische Thronfolger. Sie, die Politikerinnen und Politiker, müssten dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen klar seien und sich nicht immer wieder änderten.

Auch der britische Naturfilmer David Attenborough erinnerte die Verhandlerinnen und Verhandler an ihre Verantwortung für zukünftige Generationen. Die Menschen von morgen würden zur COP26 zurückblicken und sich fragen, ob die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre durch die dortigen Entscheidungen zurückgegangen sei oder nicht, und „wir haben allen Grund zu glauben, dass die Antwort Ja sein kann“.

Xi mit schriftlichem Statement

Chinas Präsident Xi Jinping mahnte indes die Industrieländer, nicht nur mehr für den Klimaschutz zu tun, sondern den Schwellenländern auch dabei zu helfen, besser zu werden. Jeder solle das Beste nach seinen Möglichkeiten gegen den Klimawandel unternehmen, so Xi laut staatlichen Medien in einer Botschaft an den Glasgower Gipfel. Wie zuvor bekanntewurde, wollte Xi auf dem Gipfel in Glasgow weder persönlich sprechen noch sich per Video zuschalten.

Brasilien will nach Angaben von Umweltminister Joaquim Alvaro Pereira seinen Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 50 Prozent reduzieren. Er habe seinen Umweltminister angewiesen, die Ziele Brasiliens beim Klimaschutz anzuheben, so Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro dazu in einer Videobotschaft. Bolsonaro zog es vor, anstatt nach Glasgow die norditalienische Ortschaft Anguillara Veneta zu besuchen, wo er am Montag als Ehrenbürger ausgezeichnet wurde.

Erdogan mit kurzfristiger Absage

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte unterdessen seine Teilnahme am Klimagipfel nach eigenen Angaben wegen mangelnder Sicherheitsstandards kurzfristig ab. „Nachdem unseren Anforderungen nicht entsprochen wurde, haben wir darauf verzichtet, nach Glasgow zu reisen“, sagte Erdogan laut einer Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu vom Montag. Das türkische Parlament hatte im vergangenen Monat als letztes G-20-Land das Pariser Klimaabkommen ratifiziert.

Über eine Million unterzeichnen offenen Brief

Unter den rund 28.000 Menschen, die in Glasgow erwartet werden, sind auch zahlreiche Aktivistinnen und Aktivisten, die auf den Straßen für eine ehrgeizigere Klimapolitik protestieren wollen – darunter die weltweit prominenteste Aktivistin, die 18-jährige Schwedin Greta Thunberg.

Ein offener Brief führender Aktivistinnen um Thunberg an die Staatenlenker der Erde fand in kurzer Zeit mehr als eine Million Unterstützer. Bis zum Montagnachmittag hatten den zum Start der Weltklimakonferenz veröffentlichten Aufruf fast 1,1 Millionen Menschen online mit ihrer E-Mail-Adresse unterzeichnet.

In diesem fordern Thunberg, Vanessa Nakate aus Uganda, die Polin Dominika Lasota und Mitzi Tan von den Philippinen die Staats- und Regierungschefs auf, der Klimakrise endlich entscheidend und mit sofortigen und drastischen Maßnahmen zu begegnen.