Bundespräsident Alexander Van der Bellen
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Ein Jahr nach Terror

Plädoyers für solidarische Gesellschaft

Ein Jahr nach dem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt hat das offizielle Österreich am Dienstag der Opfer gedacht. Ein Sympathisant der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hatte am 2. November des Vorjahres vier Menschen getötet und 20 verletzt, bevor er selbst von der Polizei erschossen wurde. In den Reden zum Jahrestag wurde betont: Der Terror könne das Land nicht spalten.

Die offizielle Gedenkfeier fand am späten Dienstagnachmittag in der Ruprechtskirche in der Wiener Innenstadt statt. Daran teil nahmen unter anderen Bundespräsident Alexander Van der Bellen, ÖVP-Bundeskanzler Alexander Schallenberg und weitere Mitglieder der Bundesregierung, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) sowie Kardinal Christoph Schönborn. Auch die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) lud zum stillen Gedenken in die Seitenstettengasse.

Van der Bellen gedenkt Terroropfern

„Es gibt keine Worte, die angemessen wären angesichts dessen, was hier draußen vor dieser Kirche passiert ist vor einem Jahr“, befand Bundespräsident Alexander Van der Bellen in seiner Rede bei der Gedenkveranstaltung für die vier Opfer des Terroranschlags in Wien im vergangenen Jahr. Alles, was er tun könne, sei, den Angehörigen die tief empfundene Anteilnahme im Namen der Republik Österreich auszudrücken. Nichts könne dafür entschädigen und wiedergutmachen, was geschehen sei. Der Bundespräsident nannte die Vornamen der getöteten Opfer, Gudrun, Nedzip, Qiang und Vanessa. Van der Bellen hob auch das Leid der Verletzten hervor und dankte der Exekutive: „Sie haben uns alle verteidigt.“ Er würdigte auch jene Menschen, die in der Terrornacht Passanten geholfen haben.

Der 2. November 2020 sei der Tag gewesen, an dem der Terror auch in Österreich „seine Fratze gezeigt“ habe, sagte Schallenberg als erster Redner. Die Wunden seien tief und „sie schmerzen noch“, den Angehörigen der Opfer gelte „unser tief empfundenes Mitgefühl“, so der Bundeskanzler. Er erinnerte aber auch daran, dass „in dieser entscheidenden Stunde“ die Gesellschaft zusammengehalten habe. So unmenschlich die Tat gewesen sei, so menschlich seien Hilfe und Solidarität zu diesem Zeitpunkt gewesen.

Bundeskanzler Alexander Schallenberg
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„Es darf, es wird dem Terrorismus nicht gelingen, uns zu spalten“

„Keine Toleranz den Intoleranten“

All jenen, die versuchten, Hass und Zwietracht zu säen, müsse klar sein, dass sie die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekämen. Hass habe keinen Platz in der offenen Gesellschaft, sagte Schallenberg. „Es darf, es wird dem Terrorismus nicht gelingen, uns zu spalten.“ Die Gesellschaft sei stärker.

Gedenkveranstaltung an die Opfer des Terroranschlags in Wien
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Gedenkveranstaltung in der Wiener Ruprechtskirche

Nationalratspräsident Sobotka erinnerte an die vier Toten nach dem Anschlag, die erschütternde Bilanz eines Menschen, „die Religion missbrauchend“. Die Fassungslosigkeit darüber sei auch nach einem Jahr noch immer spürbar. Das Mitgefühl gelte den Angehörigen und den Opfern, bei denen die Tat unauslöschliche Spuren hinterlassen habe. Der Anschlag habe auch „tiefe Wunden in unsere gesamte Gesellschaft geschlagen“. Österreich sei „kein weißer Fleck mehr“ auf der Landkarte des internationalen Terrorismus. Als Motto gab Sobotka aus: „Keine Toleranz den Intoleranten.“

„Sehen Sie, was Sie getan haben“

Was den Opfern und ihren Angehörigen angetan wurde, dafür gebe es kein Wort, das trösten könnte, sagte Bundespräsident Van der Bellen in seiner Rede. Ihnen gelte seine tief empfundene Anteilnahme, persönlich wie im Namen der Republik. Heute bleibe nur, ein Zeichen zu setzen. Aber „wir wissen auch“, sagte der Bundespräsident, nichts könne entschädigen. Er bat die Angehörigen der Opfer: „Nehmen Sie unser Mitgefühl an.“

Einsatzkräfte am Tatort
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Einsatz in der Wiener Innenstadt am 2. November 2020

Der Bundespräsident nannte die vier Todesopfer beim Vornamen, gedachte aber auch der vielen, die bei dem Attentat physisch oder psychisch verletzt worden seien. Besonderen Dank sprach Van der Bellen der Exekutive aus, explizit jenem Polizeibeamten, der bei dem Einsatz verletzt worden war – und seinem Retter, einem gebürtigen Palästinenser. „Sie haben uns alle verteidigt.“ In Richtung mutmaßlicher Täter sagte Van der Bellen: „Sehen Sie, was Sie getan haben. Am Ende bleibt es kalter Mord.“ Und am Ende würden „Sie dafür zur Verantwortung gezogen“.

„Warum geschieht das?“

Auch nach einem Jahr stehe man immer noch fassungslos da, sagte Kardinal Schönborn in seiner Rede. Es stelle sich ihm immer wieder die Frage: „Warum geschieht das? Warum geschieht das immer wieder?“ Zu glauben, „dass die Gewalt die Lösung ist“, sagte Schönborn, der „an diesem geschichtsträchtigen Ort“, der Ruprechtskirche, der ältesten erhaltenen katholischen Kirche Wiens, auch an die Opfer des Holocaust erinnerte, „mit einer vergleichbaren Ideologie in den Tod getrieben“. Und weiter: „Wie kommt es zu solchen Haltungen?“ Der Erzbischof beendete seine Rede mit einem Gebet für Frieden.

Kardinal Christoph Schönborn
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Schönborn: „Warum geschieht das immer wieder?“

„Diese Stadt ist stark“

Bereits am Vormittag hatte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) im Beisein vieler Angehöriger einen Kranz niedergelegt. Man wolle zum Ausdruck bringen, wie sehr man diesen Terrorakt verurteile, sagte Ludwig beim Gedenkstein am Desider-Friedmann-Platz, aber auch, wie sehr man den Familienangehörigen Trost vermitteln wolle. Auch wenn das nicht über den Schmerz hinweghelfe, solle es doch ein Zeichen der Verbundenheit sein. Der 2. November 2020 habe eine tiefe Narbe in die Geschichte der Stadt geschlagen. Man werde diesen Tag, die Opfer und deren Angehörige nie vergessen, so der Wiener Bürgermeister.

Einsatzkräfte am Tatort
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Ausnahmezustand in der Wiener Innenstadt vor einem Jahr

Ludwig, begleitet von Schönborn und flankiert von Stadt- und Gemeinderätinnen und -räten aller Parteien, sprach auch davon, dass sich die Stadt „vom feigen Terrorismus“ nicht in die Knie zwingen lasse. „Diese Stadt ist stark und diese Stadt zeigt, dass auch in Krisensituationen das Zusammenstehen, das Miteinander im Vordergrund stehen.“

„Wir versuchen gemeinsam, die Wunden zu heilen“

Schon in der Früh hatte Van der Bellen an die Opfer des „feigen terroristischen Attentats“ via Twitter erinnert und geschrieben: „Vier Menschen haben ihr Leben verloren. Viele wurden verletzt. Viele haben ihr Leben & ihre Gesundheit in die Waagschale geworfen, um andere zu beschützen. Heute gedenken wir der Opfer. Wir versuchen gemeinsam, die Wunden zu heilen.“

Schallenberg hatte erklärt, gleichfalls via Twitter, dass sich die Gesellschaft gemeinsam dem Hass in all seinen Formen entgegenstellen müsse. „Es darf und wird dem Terrorismus nicht gelingen, uns zu spalten.“ Auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) sprach den Angehörigen und Hinterbliebenen der Opfer sein Mitgefühl aus. Gleichzeitig erinnerte er an die Einsatzkräfte, das medizinische Personal und mutige Passanten mit Zivilcourage – und an jene in Wien, die in „einer Notsituation mit offenen Türen und offenen Herzen Zuflucht geboten haben“.

Auch Kurz meldet sich zu Wort

Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) meldete sich ebenfalls zu Wort. Auch ein Jahr nach dem schrecklichen Anschlag „stehen wir zusammen und lassen uns nicht von diesem Hass spalten“, schrieb er in einer Aussendung. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) erinnerte an die Hunderten Polizistinnen und Polizisten, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens den schwer bewaffneten Attentäter bekämpft hatten. Für Kritik am Handeln der Behörden zeigte er im Interview mit dem „Report“ Dienstagabend Verständnis.

Innenminister Nehammer zum Terroranschlag

Innenminister Nehammer (ÖVP) spricht den Opfern des Terroranschlags sein Mitgefühl aus und erläutert, welche Hilfsmaßnahmen geplant sind. Weitere Ermittlungen sollen noch aufzeigen, ob in der Terrornacht Fehler und Versäumnisse seitens der Behörden und der Regierung gemacht wurden.

Für den Dritten Nationalratspräsidenten Norbert Hofer (FPÖ) haben die „blutigen Ereignisse eine tiefe Wunde in Österreich geschlagen und eine deutliche Narbe hinterlassen“. Seine Gedanken seien bei den Opfern des „bestialischen Mörders, deren Hinterbliebenen, bei den zahlreichen Verletzten, aber auch den Helden dieser Nacht“, erklärte. SOS Mitmensch rief in einer Aussendung am Dienstag anlässlich des Jahrestages dazu auf, „durch Ablehnung von Hassideologien und durch das Stärken der Fundamente unserer Republik dem Terror in Österreich keine Chance zu geben“.