Bewaffnete Kräfte in Tigray (Äthiopien)
AP
„Extreme Brutalität“ in Tigray

UNO berichtet über Menschenrechtsverstöße

UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet hat schwere Verbrechen im Konflikt um die äthiopische Unruheregion Tigray angeprangert. „Der Tigray-Konflikt ist von extremer Brutalität geprägt“, sagte Bachelet am Mittwoch anlässlich der Vorstellung eines Untersuchungsberichts zu Menschenrechtsverstößen der Konfliktparteien. Es seien schwere Verbrechen auf beiden Seiten festgestellt worden.

Die meisten davon seien von Streitkräften Äthiopiens und Eritreas, das sich in den Konflikt eingemischt hat, verübt worden, so Bachelet. In jüngster Zeit habe es aber vermehrt Berichte über Menschenrechtsverletzungen auch auf der Seite der Tigray-Unabhängigkeitsbewegung gegeben.

„Bei einigen könnte es sich um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln“, sagte Bachelet. Es habe verstörende Hinweise auf ethnisch begründete Gewalt gegeben, aber nicht genügend Beweismaterial, um von einem Genozid zu sprechen, sagte sie. Die Untersuchung fand gemeinsam mit der Menschenrechtskommission Äthiopiens statt. Das Team hatte dadurch Zugang zu großen Teilen der von der Regierung weitgehend abgeriegelten Region Tigray, aber nicht zu allen Teilen. Das Team dokumentierte Tötungen, Folter, sexuelle Gewalt, Gewalt gegen Flüchtlinge und die Vertreibung von Zivilisten.

Maarit Kohonen Sheriff (UNHCR), UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet und Francoise Mianda (UNHCR)
AP/Martial Trezzini
Bei der Präsentation der UNO-Berichts fand Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet drastische Worte

Kritik an mangelnder Transparenz

Die äthiopischen Behörden hätten der UNO versichert, dass gut ein Dutzend Täter bestraft worden seien und gegen weitere rund 20 ermittelt werde. Es gebe aber keine Transparenz bei diesen Prozessen. Wenn die nationalen Behörden nicht in der Lage seien, sämtliche Verstöße zu verfolgen, müsse eine unabhängige Kommission eingerichtet werden, die Beweismaterial für Gerichtsprozesse sammeln könne.

Die Menschenrechtsbehörde dokumentierte unter anderem, dass in der von Rebellen gehaltenen Stadt Mek’ele Zivilisten durch Beschuss von äthiopischen Streitkräften getötet wurden. Milizen der Tigray-Kämpfer hätten Zivilisten des Amhara-Volkes getötet. Die eritreischen Streitkräfte hätten Zivilisten in Tigray getötet und einmal 600 Männer aus Tigray nackt oder nur mit Unterhose bekleidet durch die Straßen einer Stadt getrieben, um sie zu erniedrigen.

„Extreme Brutalität“

„Der Tigray-Konflikt ist von extremer Brutalität geprägt“, sagte UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet anlässlich der Vorstellung eines Untersuchungsberichts zu Menschenrechtsverstößen.

Ein 70-jähriger Mann habe berichtet, eritreische Soldatinnen hätten sich über sie mokiert und Fotos gemacht. Auch Tigray-Kämpfer hätten in ihre Gewalt gebrachte äthiopische Soldaten zur Schau gestellt und beleidigt.

Regierung wehrt sich gegen Vorwürfe

Äthiopiens Regierung wehrte sich gegen die Vorwürfe. Es gebe keine faktische Grundlage für die Anschuldigungen des Völkermords oder des Einsatzes von „Hunger als Kriegswaffe“, hieß es in einer Mitteilung. Die Untersuchung bringe keine Beweise, dass die Regierung der Zivilbevölkerung in Tigray vorsätzlich humanitäre Hilfe verweigert habe.

Die im Bericht beschriebenen Verstöße und Übergriffe durch Regierungstruppen seien jedoch „beunruhigend und werden ernst genommen“. Die Regierung werde umgehend eine hochrangige Taskforce einrichten, um die Vorwürfe zu untersuchen und die Täter vor Gericht zu stellen.

Aus Tigray Geflüchtete stellen sich um Nahrung an
AP/Yasuyoshi Chiba
Tausende Menschen sind im vergangenen Jahr geflohen und sind nun auf humanitäre Hilfe angewiesen

Kaum humanitäre Hilfe in der Region

Der militärische Konflikt begann Anfang November 2020, als Ministerpräsident Abiy Ahmed anfing, die in Tigray an der Macht befindliche Volksbefreiungsfront (TPLF) zu verdrängen. Seit Anfang August weitet sich der Konflikt auf die Nachbarregionen Afar und Amhara aus. Die Lage der Menschen ist verheerend, weil humanitäre Helfer kaum in die Region kommen.

Am Dienstag hatte die Regierung in Addis Abeba wegen des Konflikts in Tigray im Norden des Landes den Notstand ausgerufen. Die Aufständischen haben einen Angriff auf die Hauptstadt zum Sturz der Regierung jüngst nicht ausgeschlossen. Die Behörden in der Hauptstadt riefen die Einwohner auf, ihre Wohngegenden im Konflikt mit der TPLF zu verteidigen. Die Menschen sollten innerhalb der nächsten zwei Tage Schusswaffen polizeilich registrieren lassen. Alle Teile der Gesellschaft seien zur Kooperation aufgerufen. Abiy Ahmed hatte am Montagabend nicht näher benannte Ausländer weißer und schwarzer Hautfarbe beschuldigt, die TPLF zu unterstützten.

Rebellen auf dem Vormarsch

In dem Konflikt musste sich das Militär in den vergangenen Tagen aus wichtigen Städten in der Region Amhara, die an die Hauptstadt grenzt, zurückziehen. Gemeinsam mit Rebellen der Oromo Liberation Army (OLA) konnte sich die TPLF Zugang zu einer der wichtigsten Autobahnen im Land verschaffen. Sie rückt nun auf Addis Abeba vor.

Ein OLA-Sprecher drohte am Mittwoch mit einer raschen Einnahme Addis Abebas: „Wenn die Dinge so weitergehen wie bisher, sprechen wir über eine Angelegenheit von Monaten, wenn nicht Wochen.“ Der Sprecher sagte weiter, die OLA-Kämpfer hätten sich mit denen der TPLF „zusammengeschlossen und stehen in ständigem Kontakt“. Der Sturz von Ministerpräsident Abiy Ahmed sei „eine ausgemachte Sache“.