Ein medizinischer Mitarbeiter bereitet den Wirkstoff Comirnaty von Biontech/Pfizer vor
APA/Robert Michael
CoV-Bekämpfung

Drittimpfung als Durchbruchsbremse

Das Nationale Impfgremium (NIG) ist am Dienstag dem gefolgt, wozu auch das Gros anderer Fachleute zuvor geraten hatte: Die dritte CoV-Impfung wird sechs Monate nach dem Zweitstich für alle Menschen über 18 Jahren freigegeben und empfohlen, nicht nur für Ältere oder Risikopatienten und -patientinnen. Impfdurchbrüche werden sich in nächster Zeit dennoch mehren – ein Überblick.

Die Empfehlung einer Auffrischungsimpfung für Risikogruppen und mit AstraZeneca Geimpften sechs Monate nach der Zweitimpfung bestehe seit Anfang September, betonte die wissenschaftliche Leiterin des NIG, Ursula Wiedermann-Schmidt: „Daran hat sich nichts geändert.“ Durch eine entsprechende Zulassung der EU-Arzneimittelbehörde (EMA) gelte die Empfehlung nun aber eben für alle über 18 Jahren.

Bei dem Vakzin von Biontech und Pfizer wird beim dritten Stich dieselbe Dosis wie bei den ersten beiden verabreicht, bei Moderna nur die halbe. Bei Personen unter 30 Jahren soll die dritte Impfung jedenfalls aber mit Biontech und Pfizer erfolgen, Moderna kann bei über 30-Jährigen verimpft werden. Grund dafür sind Daten, wonach es bei Moderna bei Jüngeren gehäufter zu Myokarditis, also Herzmuskelentzündung, komme.

Dringender Handlungsbedarf bei Johnson & Johnson

Das NIG empfahl auch allen mit dem Vakzin von Johnson & Johnson Geimpften, sich so schnell wie möglich die zweite Impfung zu holen. Der Impfstoff war ursprünglich so konzipiert, dass nur ein Stich notwendig sein sollte. Der Impfschutz hat den Experten und Expertinnen zufolge aber zu schnell stark nachgelassen. Aus dem Gesundheitsministerium hieß es auf ORF.at-Anfrage dazu, dass „eine zweite Impfung 28 Tage nach der ersten aus fachlicher Sicht dringend empfohlen“ werde.

Auch für Genesene, die einen Stich für die Vollimmunisierung erhalten haben, gelte die Empfehlung des Impfgremiums für eine Auffrischung nach sechs Monaten, sagte Wiedermann-Schmidt. Umgekehrt seien Personen, die trotz zweier Impfungen erkrankt seien, so zu behandeln, als hätten sie einen dritten Stich bekommen.

Der klinische Pharmakologe Markus Zeitlinger rechnet mit einer nachhaltigeren Wirkung des Drittstichs als nach den ersten beiden Impfungen: „Ich gehe davon aus, dass man nach der dritten Impfung eine viel längere Immunität hat als nach der zweiten Impfung.“ Die dritte Impfung könne man mit der zweiten „nicht mehr vergleichen“. Die Auffrischung mit dem dritten Stich werde auch Auswirkung auf das Verbreitungsgeschehen haben.

Grafik zeigt Daten zu Impfdurchbrüchen bei Personen ab 12 Jahren
Grafik: ORF.at; Quelle: AGES

Immer wieder erkranken aber auch Menschen an CoV, die geimpft worden sind. Je mehr Geimpfte es gibt, desto häufiger kommen Impfdurchbrüche vor. Nach den neuesten Daten der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) wurde bisher von 5.388.859 Personen mit vollständiger Impfung bei 35.675 ein Impfdurchbruch mit Covid-19-Symptomen gemeldet. Damit kommen auf 1.000 vollständig Geimpfte rund sieben Personen mit Impfdurchbruch.

Impfdurchbrüche als logische Folge

Innerhalb der vergangenen vier Kalenderwochen (von 4. Oktober bis 31. Oktober) traten unter den 49.609 symptomatischen laborbestätigten SARS-CoV-2-Infektionsfällen 19.575 Fälle auf, die vollständig geimpft waren. Dieser Anteil ist mit 39,46 Prozent deutlich höher als im Gesamtzeitraum der Impfkampagne. Wenn der Anteil der Geimpften in der Population steigt, dann steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass unter den Personen, die sich mit dem Virus infizieren bzw. daran erkranken, Geimpfte sind.

In einem Bericht der Agentur zu Impfdurchbrüchen heißt es dazu: „Vereinfacht gesagt: Wenn alle Personen einer Population geimpft sind, sind alle Infektionen, die auftreten, bei Personen, die vollständig geimpft sind; sprich es beträgt der Anteil der Fälle von Impfdurchbrüchen an den Fällen 100 Prozent.“

Die Zahl der Impfdurchbrüche ist darüber hinaus auch von der Anzahl aktiver Fälle abhängig. Je höher diese ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, sich als geimpfte Person zu infizieren. In der Regel aber hätten Geimpfte einen milderen Krankheitsverlauf – Krankenhausaufenthalte, Aufenthalte auf Intensivstationen und Erkrankungen mit tödlichem Ausgang könnten mit einer Impfung weitgehend vermieden werden, hielt die AGES fest.

Daran erinnerte am Dienstag im Ö1-Morgenjournal auch Herwig Kollaritsch, Epidemiologe und Mitglied des Nationalen Impfgremiums. Dass die Impfungen nicht hundertprozentig wirken würden, sei bekannt, es gelte aber zu differenzieren: „Was wir jetzt sehen als Impfdurchbrüche sind vor allem teilweise mit Symptomen behaftete Infektionen, die aber die Betreffenden nicht ins Krankenhaus bringen und auch nicht auf die Intensivstation. Natürlich steigt die Zahl der Geimpften in den Spitälern, weil wir nun einmal schon einen sehr großen Pool an Geimpften haben (…). Aber absolut gesehen ist die Wirksamkeit der Impfungen nach wie vor hervorragend.“

Komplexe Korrelation

Kollaritsch erläuterte auch die Korrelation zwischen Impfdurchbrüchen und Impfquote: „Wir haben in Wahrheit zwei Baustellen.“ Das eine sei die zu niedrige Durchimpfung, die den Infektionsdruck stark ansteigen lasse und damit auch das Einstreuen von Infektionen unter den Geimpften begünstige. Anderseits gebe es unter den Geimpften viele, vor allem Risikopersonen, die auf die Impfung nicht denselben Schutz ausbilden würden wie „gesunde, junge, immunkompetente Personen. Das heißt, hier ist eine Grauzone gegeben.“

Aktion „Impfen im Gemeindebau“ der Stadt Wien
APA/Herbert Neubauer
Eine Impfung schützt keineswegs zu 100 Prozent, schwere Verläufe mindert sie aber drastisch

Dass ein rasches Nachimpfen die niedrige Impfquote kompensieren könnte, verneinte Kollaritsch: „Es kann nur die Krankheitslast für die Personen reduzieren, die jetzt langsam, aber sicher ihren Immunschutz verlieren. Die niedrige Impfquote können wir nur dadurch kompensieren, dass wir mehr Leute impfen.“

Studie: Schützende Maßnahmen weiter notwendig

Dass sich Geimpfte nicht restlos in Sicherheit wiegen können, zeigte in der Vorwoche auch eine im Fachmagazin „The Lancet Infectious Diseases“ veröffentlichte britische Studie. Dafür analysierten die Forscherinnen und Forscher die Krankheitsdaten von 621 Personen, die sich zwischen September 2020 und September 2021 mit dem Coronavirus infizierten und milde oder keine Symptome zeigten. Anhand täglicher PCR-Tests konnte analysiert werden, wie lange die Teilnehmenden infektiös waren und wie hoch ihre Viruslast war.

Dabei kam heraus: Auch vollständig Geimpfte haben immer noch ein gewisses Risiko, sich anzustecken und auch andere Personen ihres Haushalts zu infizieren. 25 Prozent der geimpften Haushaltskontakte seien positiv getestet worden gegenüber 38 Prozent der ungeimpften. Die Infektiosität der geimpften Infizierten sei ähnlich hoch wie die der ungeimpften Fälle gewesen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Impfungen allein nicht genug sind, um Menschen davor zu schützen, sich mit der Delta-Variante anzustecken und sie in ihren Haushalten weiter zu verbreiten“, schrieb einer der Hauptautoren, Ajit Lalvani.

„Kontinuierliche Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung wie das Tragen von Masken, Abstand halten und Tests bleiben wichtig, auch bei geimpften Menschen“, heißt es in der Studie. Es habe sich außerdem gezeigt, dass die Immunität von Geimpften bereits nach einigen Monaten abnehme. Die Forscherinnen und Forscher empfahlen Ungeimpften dringend, sich impfen zu lassen und bereits Geimpften, Angebote für Booster-Impfungen anzunehmen.

„Dritter Stich“ für alle empfohlen

Karl Zwiauer, Mitglied im Nationalen Impfgremium, spricht im Studiogespräch über die empfohlene dritte CoV-Auffrischungsimpfung.

Antikörpertest nicht empfohlen

Für all jene, die es vor einer erneuten Impfung vorziehen würden, ihren Antikörperstatus bestimmen zu lassen, erging seitens der Fachleute keine aufmunternde Nachricht. Der Status biete keine verlässliche Aussage darüber, ob ein sicherer Schutz vorhanden sei, sagte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne). Er erinnerte in diesem Zusammenhang gar an haftungsrechtliche Folgen für Ärztinnen und Ärzte, die Gegenteiliges behaupten würden.

Karl Zwiauer, Mitglied im Nationalen Impfgremium, Kinderarzt und lange Jahre Leiter der Kinder- und Jugendheilkunde im Universitätsklinikum Sankt Pölten, pflichtete in der ZIB2 bei: „Wir kennen Personen, die sehr hohe Antikörper hatten und die dennoch die Infektion wieder bekommen haben. Andererseits gibt es Personen, die sehr niedrige Antikörpertiter haben und die nicht infiziert werden. Das heißt, wir haben kein Schutzkorrelat für die Antikörperbestimmung, und daher fühlt man sich unter Umständen in einer falschen Sicherheit oder ist unsicher und braucht die Impfung eben trotzdem.“