Vor dem Eingang der russischen Botschaft in Berlin
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Berlin

Rätsel um toten russischen Diplomaten

In Berlin ist ein Mitarbeiter der russischen Botschaft unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen. Der 35-jährige Mann wurde auf dem Gehsteig hinter der russischen Botschaft gefunden, berichtet der „Spiegel“. Er soll persönliche Verbindungen zum russischen Geheimdienst FSB gehabt haben.

Die Berliner Polizei habe den Mann bereits am 19. Oktober in der Früh auf dem Gehsteig auf der Rückseite des Botschaftskomplexes gefunden, so der „Spiegel“-Bericht. Das deutsche Außenministerium erklärte am Freitag, der Fall sei bekannt, man werde sich aus Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen dazu nicht weiter äußern. Auch ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft wollte keine Angaben zu dem Fall machen.

„Die Botschaft Russlands in Deutschland kommentiert das tragische Ereignis nicht aus ethischen Gründen“, teilte auch die diplomatische Vertretung Moskaus in Berlin zunächst mit. Später hieß es, der Tod des Mannes sei ein „tragischer Unfall“. Zugleich wurden Berichte über mögliche Hintergründe zurückgewiesen. „Spekulationen, die im Lichte dieses tragischen Ereignisses in einer Reihe westlicher Medien aufgetaucht sind, halten wir für absolut falsch.“

Die russische Botschaft in Berlin
APA/AFP/Odd Andersen
Der Mann wurde hinter dem Botschaftsgebäude tot aufgefunden

Der Tote soll laut der Rechercheplattform Bellingcat bis 2013 auch in Wien gewesen sein, als dritter Sekretär der ständigen russischen Vertretung bei den Vereinten Nationen. Im Oktober 2013 soll er demnach in Wien an einer UNO-Konferenz teilgenommen haben.

Obduktion nicht möglich

Der Mann könnte aus einem oberen Stockwerk der Botschaft im Berliner Bezirk Mitte gefallen sein – offen ist unter anderem, ob er zu dem Zeitpunkt schon tot war. Einer Obduktion des Mannes soll die russische Botschaft laut „Spiegel“ nicht zugestimmt haben. Entsprechend konnte die Leiche auch nicht auf Hinweise auf Fremdverschulden untersucht werden.

Umstände des mutmaßlichen Sturzes und die Todesursache seien „unbekannt“, hieß es aus Sicherheitskreisen. Da der Tote Diplomatenstatus besaß, habe die Staatsanwaltschaft kein Todesermittlungsverfahren einleiten können. Die Auslandsvertretung teilte mit, sie habe die Rückführung der Leiche nach Russland sofort eingeleitet. Das sei mit den zuständigen deutschen Strafverfolgungs- und Gesundheitsbehörden abgestimmt worden.

Sohn eines ranghohen russischen Offiziers?

Der Tote war laut einer offiziellen Diplomatenliste seit Sommer 2019 als Zweiter Botschaftssekretär in Berlin akkreditiert. Den deutschen Sicherheitsbehörden soll er laut „Spiegel“ als getarnter Angehöriger des FSB bekannt gewesen sein. Laut Berichten auch der Rechercheplattform The Insider und Bellingcat soll er der Sohn eines ranghohen russischen FSB-Offiziers gewesen sein, der in Moskau die „Verwaltung für den Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung“ leite.

„Diese Abteilung befasste sich mit außergerichtlichen Hinrichtungen von Aktivisten und Journalisten in Russland“, schreibt The Insider. Die Abteilung ist in Russland unter anderem für Terrorismusbekämpfung zuständig und wird von westlichen Nachrichtendiensten mit dem Berliner Tiergarten-Mord in Verbindung gebracht. Bei dem Attentat wurde im Sommer 2019 in Berlin ein Exil-Georgier am helllichten Tag erschossen. Nach Ansicht der deutschen Bundesanwaltschaft wurde die Tat im Auftrag staatlicher russischer Stellen verübt.

Verbindung auch nach Wien

Der nun tot aufgefundene Mann zog laut Bellingcat Mitte 2019 nach Berlin, zwei Monate vor dem Tiergarten-Mord, zu dem er laut Bellingcat aber keine direkte Verbindung gehabt haben soll. Der Fall aus dem Jahr 2019 belastet die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland stark. Das Opfer hatte im Tschetschenien-Krieg gegen Russland gekämpft und galt dort nach Angaben der Anklage als Staatsfeind.

Seit gut einem Jahr versucht das Kammergericht in Berlin die Hintergründe des Mordes aufzuklären. Angeklagt ist ein Russe, der kurz nach der Tat gefasst wurde und in Untersuchungshaft sitzt. Nach Deutschland soll der 56-Jährige erst kurz zuvor mit Alias-Namen eingereist sein. Der Angeklagte hat sich bisher im Prozess nicht zu den Vorwürfen geäußert.

Fenster für Suizid „nicht hoch genug“

Der russische Oppositionelle Leonid Wolkow, der selbst mehrfach in der Botschaft war, erklärte auf Telegram, die „Fenster des Gebäudes“ seien nicht hoch genug für einen Suizid. Seiner Meinung nach wurde der Mann „aus dem Fenster geworfen“. Es gehe hier um etwas „ziemlich Ernstes“.

Wolkow ist ein enger Vertrauter des inhaftierten Kreml-Gegners Alexej Nawalny. Nawalny wurde im August vergangenen Jahres mit dem Nervengift Nowitschok beinahe getötet und danach in der Berliner Charite behandelt. Nawalny macht ein Killerkommando des FSB für den Mordanschlag verantwortlich. Wolkow und Nawalny werfen dem FSB politische Attentate vor.