Assen Wassilev und Kiril Petkow
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Doppelwahl in Bulgarien

Harvard-Absolventen als Hoffnungsträger

Im April und Juli dieses Jahres haben die Wählerinnen und Wähler Bulgariens ein neues Parlament gewählt. Doch nach beiden Abstimmungen scheiterte eine Regierungsbildung. Am Sonntag erfolgt der dritte Versuch – die Vorzeichen stehen nicht zum Besten, auch wenn es mit der frisch gegründeten Partei PP („Wandel fortgesetzt“) eine Bereicherung der Politlandschaft gibt. Gleichzeitig wird auch der Präsident neu bestimmt.

Das bulgarische Parteiensystem wurde im Zuge der Massenproteste im Sommer 2020 durcheinandergewirbelt. Gleich drei neue Protestparteien sind dieses Jahr ins Parlament eingezogen. „Doch bereits nach der April-Wahl isolierten sich nahezu alle Parteien entweder selbst oder gegenseitig“, zitierte die Deutsche Welle unlängst den Politologen Daniel Smilow vom Zentrum für liberale Strategien (CLS) in Sofia. Entsprechend steht seit April eine interimistische Expertenregierung unter dem ehemaligen General Stefan Janew an der Spitze des Landes.

Bei der Wahl im April ging der bisherige Regierungschef Bojko Borissow mit seiner Partei GERB als stimmenstärkste Kraft hervor, er musste jedoch herbe Verluste hinnehmen. Borissow stand bereits seit dem Jahr 2009 fast durchgehend an der Spitze. Gegen ihn wurden jedoch vermehrt Korruptionsvorwürfe laut, die sich im vergangenen Jahr vor allem in Form von Straßenprotesten äußerten. Im Juli setzte sich dann die populistische ITN des Entertainers Slawi Trifonow knapp vor der GERB durch.

Bulgarischer Politiker Boyko Borisov
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Ex-Premier Borrisow will weiter mitmischen, ist aber politisch weitgehend isoliert

Erneut droht Hängepartie

Von Beginn an aber lehnte Trifonow die Bildung einer Koalitionsregierung ab. Er bestand darauf, mit den 65 Abgeordneten seiner Partei im 240 Sitze umfassenden Parlament eine Minderheitsregierung zu stellen – die anderen Parteien spielten nicht mit. Und auch Borissow lehnte einen neuerlichen Auftrag zur Regierungsbildung mangels Erfolgsaussicht ab.

Die letzten Meinungsumfragen lassen allerdings vermuten, dass auch nach Sonntag eine Hängepartie droht. Wahlsieger dürfte erneut GERB werden, auf Platz zwei folgt Prognosen zufolge der neue Hoffnungsträger in der bulgarischen Politik, die erst im September gegründete Partei PP, gefolgt von der sozialistischen Partei (BSP). Die wirtschaftsliberale Partei der türkischen Minderheit (DPS), die konservative Koalition Demokratisches Bulgarien (DB) und die – vermutlich stark dezimierte – ITN dürften ebenfalls den Sprung ins Parlament schaffen.

Grafik zu den Umfragewerten der bevorstehenden Parlamentswahl in Bulgarien
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Market Links

An der politischen Isolation der GERB im Parlament wird sich nichts ändern, ihr Ruf ist in den vergangenen zwei Jahren zu tief gesunken. Das macht eine Regierungsbildung nur mit der Beteiligung ideologisch kaum miteinander vereinbarer Parteien aus dem Anti-GERB-Lager möglich. Der neue politische Hoffnungsschimmer bietet sich als Kompromissträger an – die ideologisch undefinierte Partei PP, gegründet und geführt von den politischen Neulingen Kiril Petkow und Assen Wassilew.

Antikorruptionskämpfer neu auf der Bühne

Die beiden Harvard-Absolventen waren beliebte Minister in der Übergangsregierung und haben sich dem Kampf gegen Korruption und Machtmissbrauch verschrieben. Petkow deckte als Wirtschaftsminister Missstände bei der staatlichen Entwicklungsbank auf. Wassilev forderte als Finanzminister bei großen Konzernen ausstehende Steuern ein. Beide wollen nun „mit konservativer Politik linkspolitische Ziele umsetzen“, wie Petkow es formulierte.

„Die politische Mitte, besetzt von der GERB-Partei, ist nur über beide Flügel – rechts und links der Mitte – zu bezwingen. Genau das versucht das Harvard-Duo Petkow/Wassilew“, sagte der rennomierte bulgarische Politologe Andrej Rajtschew. Die neue Partei ziehe sowohl unzufriedene Wähler und Wählerinnen der Sozialisten als auch Anhänger konservativer Politik aus der urbanen Oberschicht an.

Bulgarischer Präsident Rumen Radev
Reuters/Stoyan Nenov
Präsident Rumen Radew hat gute Chancen, im Amt zu bleiben

Das Wahlergebnis wird unter anderem von der gleichzeitig stattfindenden Wahl des Präsidenten beeinflusst. Die Meinungsforscher stellen jetzt schon eine höhere Wahlbeteiligung in Aussicht. Das bedeutet, dass nicht nur die Stammwählerinnen und -wähler zu den Urnen gehen werden, was die Wahlprognose schwieriger macht. „Knapp 60 Prozent der Befragten wollen das neue Staatsoberhaupt wählen, rund 52 Prozent das nächste Parlament“, ergab eine Erhebung von Market Links.

Keine Alternative zu Kompromissen

Laut dieser Erhebung hat Amtsinhaber Rumen Radew mit 46,7 Prozent Unterstützung die besten Aussichten auf den Wahlsieg. Für einen Erfolg noch im ersten Wahlgang würde das jedoch nicht ausreichen. Sein Herausforderer dürfte der Sprachwissenschaftler und Universitätsrektor Anastas Gerdschikow werden – er gilt als Kandidat der GERB.

Auch wenn also wenig darauf hindeutet, dass sich am Sonntag an den innenpolitischen Kräfteverhältnissen viel ändert, „wird es zu Koalitionen und Kompromissen keine Alternative geben“, sagte Parwan Simeonow, Politologe und Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Gallup International in Sofia.

Die deutsche Tagesschau zitierte Simeonow: „Die Protestparteien übersehen die schlichte Tatsache, dass in der bulgarischen Gesellschaft ein starker Wunsch nach Veränderung, aber immer noch ein fest verwurzelter Status quo besteht. Wir haben nirgendwo supersaubere Leute, die diesen Status quo plötzlich wegfegen können.“