Kaninchen
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Bis über beide Ohren

Madrider kämpfen mit Kaninchenplage

Kaum ein Tier ist – Kindchenschema sei Dank – herziger anzusehen als das Kaninchen. Doch nicht überall, wo die langohrigen Tiere auftauchen, bringen sie Freude. Fehlende Fressfeinde und reich gedeckte Vorgärten sorgen etwa in Teilen Madrids dafür, dass sich die Tiere ungebremst ausbreiten – zum Ärger der Bewohnerinnen und Bewohner.

Kaninchen sind das sprichwörtliche Symbol für eine überbordende Fortpflanzung. Das wissen Haustierbesitzer, die es verabsäumen, rechtzeitig für eine Trennung der Geschlechter zu sorgen, ebenso wie die Menschen in Neuseeland und Australien. Dort haben die eingeschleppten Langohren die einheimische Tier- und Pflanzenwelt gehörig unter Druck gebracht. Aber auch an Orten, wo Kaninchen ursprünglich heimisch sind, können die vermehrungsfreudigen Tiere zum Problem werden – zum Beispiel im Madrider Bezirk Carabanchel.

Seit mehreren Jahren sind die Kaninchen im Südwesten der spanischen Hauptstadt auf dem Vormarsch. Vorgarten um Vorgarten, Park um Park, Kinderspielplatz um Kinderspielplatz haben die Tiere zu ihrem Lebensraum gemacht. Anfangs sorgte das am Stadtrand noch für wohlwollendes Staunen: „Für uns Großstädter war es ein Hauch von Exotik“, zitierte der Fernsehsender Telemadrid einen Bezirksbewohner. Doch die Freude über die tierischen Nachbarn war nicht von Dauer. „Es war alles sehr beschaulich, bis sie beschlossen, sich das zurückzuholen, was ihnen vielleicht einmal gehörte.“

Vorwurf an Verwaltung

„Als all die Gebäude hochgezogen und die Straßen gebaut wurden, verschwanden die natürlichen Feinde der Kaninchen und sie blieben allein zurück.“ Inzwischen sei die Zahl der Kaninchen so hoch wie nie zuvor. „In einem feuchten Frühjahr kann sich die Population verdreifachen“, sagte Mateo Melendrez gegenüber dem britischen „Guardian“. Der Handwerker ist Sprecher des Nachbarschaftsvereins Carabanchel Alto.

Eine Karte zeigt den Madrider Bezirk Carabanchel

Ende Oktober wandte sich der Verband gemeinsam mit drei örtlichen Elternvereinen an die Bezirks- und Stadtverwaltung. Viel zu lange hätten die Behörden nur zugesehen, ohne etwas zu unternehmen, lautet ihr Vorwurf.

Kinder dürfen nicht auf Spielplatz

„Die Kaninchen dringen in die Freizeitbereiche der Kinder ein und hinterlassen überall ihren Kot. In unserem Garten fressen sie unsere Pflanzen und Früchte und verursachen Schäden. Sie haben sich auch durch unsere Zäune gegraben und Löcher hinterlassen. In die können die Kinder ihre Hände stecken und sich verletzen“, so Maria Secos Morales, Vorsitzende eines Elternvereins, gegenüber Telemadrid.

In einem Kindergarten sei der Spielplatz fast das ganze letzte Schuljahr geschlossen gewesen, sagte Nachbarschaftsvertreter Melendrez. „Dieses Jahr haben wir auf die gleiche Weise begonnen. Mehr als 200 Kinder zwischen drei und fünf Jahren können ihren Spielplatz nicht benutzen, weil er voller Kaninchenkot ist.“ Er möge ja Kaninchen. „Aber wenn das Problem zu einem Gesundheitsproblem wird, finde ich das nicht lustig – vor allem, wenn wir gerade eine schreckliche Pandemie durchgemacht haben, bei der sich Krankheiten von Tieren auf Menschen ausbreiten“, so Melendrez.

Kaninchen als Wirtstier für Parasiten

Ob das Coronavirus tatsächlich von einem Wirtstier wie der Fledermaus auf einen Menschen übersprang, ist zwar noch nicht letztgültig geklärt – und wird es vielleicht auch nie werden. Bei der Leishmaniose, die durch die gleichnamigen Kleinstlebewesen ausgelöst wird, dienen Tiere aber bewiesenermaßen als Wirte. Das Kaninchen ist eines dieser Wirtstiere, von denen über den Zwischenweg der Sandmücke die Leishmanien auf den Menschen übertragen werden können.

Nur wenige Kilometer südlich von Carabanchel verzeichnete die spanische Stadt Fuenlabrada vor zwölf Jahren den bisher größten Ausbruch der Leishmaniose beim Menschen in Europa. Hunderte wurden damals mit den Parasiten infiziert. Als Auslöser wurden die Kaninchen und Hasen in der Gegend ausgemacht. Zehntausende der Tiere wurden in der Folge gekeult.

Frettchen als Kaninchenjäger

Auch deshalb sind Melendrez und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter der Meinung, dass die Verwaltung die Überpopulation nicht ernst genug nehme. „Wir können nicht alle Kaninchen aus dem Gebiet vertreiben. Aber wir könnten richtige, kaninchensichere Zäune und Schulen und Wohnungen errichten“, sagte der Nachbarschaftsvertreter.

Im Sommer versuchten die Bewohnerinnen und Bewohner einer Wohnsiedlung, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sie engagierten einen Mann, der Frettchen zur Jagd auf die Kaninchen losschickte. „Er hat zwölf oder 13 gefangen, aber jetzt haben wir weitere 18 entdeckt“, so die Elternvertreterin Secos Morales.

Laut dem „Guardian“ plant nun auch die Bezirksvertretung einen erneuten Einsatz von Frettchen – neben der Verstärkung der Zäune rund um die betroffenen Schulen. Andernorts setzt die Verwaltung der autonomen Region Madrid auch auf andere tierische Hilfe. Auf landwirtschaftlichen Flächen sollen abgerichtete Adler die Kaninchen fernhalten.

Nicht auf Madrid beschränkt

Madrid ist mit diesen Problemen in Europa nicht alleine. Erst im Frühjahr war in deutschen Zeitungen von einer Kaninchenplage in Ingolstadt zu lesen. Und in Paris macht eine große Population vor dem Invalidendom zwar Touristinnen und Touristen Freude. Die für die Anlage verantwortliche Armee führt aber seit Jahren einen Kampf gegen die Tiere – der allerdings heuer im Sommer erst einmal gerichtlich gestoppt wurde. Ein Pariser Gericht verhängte ein vorläufiges Jagdverbot.

Für solche Konflikte gebe es „keine magische Lösung“, sagte Juan Garcia Vicente vom spanischen Umweltschutzdachverband Ecologistas en Accion. Die Problematik sei ja auch nicht auf Kaninchen beschränkt – seien es Bären in Rumänien, Kojoten in Los Angeles oder Wildschweine in Teilen Spaniens und anderswo. „Wir können nicht so tun, als gehöre uns alles. Wir müssen diese Räume teilen“, zitiert der „Guardian“ den Umweltschützer. Am Ende gehe es um Kontrolle und darum, „das Gleichgewicht zu halten“.