Protestschild auf einer Demonstration
Reuters/Borut Zivulovic
Impfgegner und Klimakrisenleugner

Böse Eliten für Populisten „wandelbar“

Die vierte Welle der CoV-Pandemie hat erneut große Teile Europas erfasst, an den Außengrenzen wird Migration wieder einmal politisch vereinnahmt, und auch im Kampf gegen die Klimakrise sind die Aussichten innerhalb der EU nach wie vor eher düster. Klima, Migration, Pandemie – all das sind Themen, die polarisieren, Menschen auf die Straße treiben und nicht zuletzt dem Populismus in Europa zusätzlich Aufwind verleihen, wie sich Fachleute gegenüber ORF.at überzeugt zeigen. Denn die „bösen Eliten“ seien wandelbar.

Diese Woche fand in Brüssel die PaCE-Konferenz statt, bei der neueste Forschungsergebnisse zum Thema „Populismus in Europa“ präsentiert wurden. Auf die Frage, was Populismus ausmache, sagte der Vortragende und Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch im Gespräch mit ORF.at: „Bei Populismus wird immer ein Gegensatz aufgebaut: zwischen einer korrupten Elite und einem homogenen Volk.“ Es gebe „die Bösen da oben“ und die „Guten da unten“.

Die Politanalystin Sophie Pornschlegel vom Brüsseler European Policy Center (EPC) meint gegenüber ORF.at: „Populismus kreiert eine Polarisierung zwischen dem Volk und der Elite.“ Populistische Politikerinnen und Politiker würden sich dabei immer als Vertreter und Vertreterinnen des Volkes positionieren. Für Heinisch ist Populismus daher nichts weniger als „eine Form der Legitimations- und Vertrauenskrise in bestehende Parteien“.

Frau auf einer Demonstration vor Polizisten mit Schutzschildern
Reuters/Benoit Tessier
„Wir gegen euch“ – Populismus führt zu einer Polarisierung zwischen dem „guten Volk und der bösen Elite“

Pandemie als Brennstoff im Feuer der Populisten

Verschärft wurde die politische Situation durch die CoV-Krise. Denn für viele Wählerinnen und Wähler populistischer Parteien sei die Pandemie etwas, wo „eine Elite über ihr Leben bestimmt“. In dieser Zeit sei Heinisch zufolge zwischen dem Bürger und dem System „etwas zerbrochen“.

PaCE

Bei PaCE („Populism and Civic Engagement“, zu Deutsch: Populismus und ziviles Engagement) handelt es sich um ein EU-Forschungsprojekt des Rahmenprogramms Horizont 2020, das noch bis Jänner 2022 läuft.

In einer Studie untersuchte Heinisch populistische Einstellungen im Hinblick auf das subjektive Betroffenheitsgefühl während der Pandemie. Der Politologe spricht von überraschenden Ergebnissen: „Wir haben zu unserem großen Erstaunen festgestellt, dass sich viel mehr Leute als angenommen von der Pandemie betroffen gefühlt haben – sowohl wirtschaftlich als auch gesundheitlich.“

Personen, die kein Vertrauen in die Regierung beziehungsweise das System haben, hätten sich subjektiv kranker und ökonomisch betroffener gefühlt. Dabei handle es sich in Österreich großteils um FPÖ- sowie Nichtwähler. Und: „Die Populisten waren eher diejenigen, die gegen alle Maßnahmen waren.“

Von EU bis Wissenschaft: „Böse Eliten“

Laut Pornschlegel würden Populisten immer die „andere Seite, die des Gegners“ einnehmen – im Falle der CoV-Krise seien diese eben die Impfgegner, bei der Klimakrise seien es die Klimaskeptiker.

Doch auch die „bösen Eliten“ seien Heinisch zufolge wandelbar. Bei den Rechtspopulisten dienten lange etwa korrupte Apparatschiks, Bankiers oder die EU als solche. Nun seien es Wissenschaftler, die CoV-Vorschriften machten, „den einfachen Leuten erklären, wie sie zu leben haben“. Diese würden sich dann in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen.

Ähnlich dürfte es sich auch mit der Klimakrise verhalten: „Auch da haben wir eine Situation, wo Wissenschaftler ein zukünftiges Szenario beschwören und Verhaltensmaßnahmen bestimmen, die Menschen auch unterschiedlich treffen.“

Benachteiligungsgefühl von Populisten „ausgenützt“

Heinisch ist überzeugt, dass Personen, die populistische Parteien wählen, eher aus niedrigen Bildungsschichten sowie dem ländlichen Bereich stammen und dem Veränderungsdruck oft nur schwer nachkommen würden. Auch würden sie sich oft über Statussymbole wie Autos und Fleischkonsum definieren, erklärt Heinisch.

„Dass sich diese Personen disproportional betroffen fühlen und dementsprechend stark reagieren, wird dann von den populistischen Parteien ausgenützt.“ Heinisch beobachtet die sich dadurch vertiefende Spaltung und Polarisierung der Gesellschaft laut eigener Aussage mit Sorge.

Demonstration in Wien
APA/Georg Hochmuth
Wer sich stärker von der Pandemie betroffen fühlt, neigt einer Studie zufolge eher zu populistischen Einstellungen

„Populistische Politik nimmt permanent zu“

Der Politikwissenschaftler betonte jedoch, dass Populismus per se weder rechts noch links sei, sondern vielmehr ein „Vorzustand“, der sich dann mit den jeweiligen Ideologien verbinde – und nicht selten radikale Positionen einnehme. Die Maßnahmen, die Populisten fordern, entstünden auf Basis rechter oder linker Ideologien. „Linkspopulisten fordern eine radikale Umverteilung, Rechtspopulisten eine radikale Migrationspolitik“, erklärt der Politikwissenschaftler.

Und weiter: „Populistische Politik nimmt permanent zu. Von den circa 300 Parteien (in Europa, Anm.) sind ungefähr 30 Prozent dem einen oder dem anderen Lager zuzuordnen.“ In Europa gebe es zwar im Süden und in einigen Ländern des Nordens linkspopulistische Parteien, generell sei Rechtspopulismus jedoch deutlich stärker ausgeprägt und ganz klar die „dominante Form“.

Verlagerung in Mitte: Normalisierung radikaler Positionen

Allerdings gibt es laut Heinisch auch hier Entwicklungen: Einerseits seien populistische Parteien einem Mainstreamprozess ausgesetzt, wodurch die Radikalität abnehme. Andererseits würden etablierte Parteien die Agenda populistischer Parteien übernehmen und diese damit legitimieren.

Das führe zu einer „Normalisierung an sich radikaler Positionen“ – nicht zuletzt auch in der Wahrnehmung innerhalb der Bevölkerung. In Österreich zeige sich dieses Phänomen etwa, wenn man die Parteiprogramme vergleiche. So finde man bei der ÖVP Positionen, die von der FPÖ übernommen wurden.

„Gefahr für Demokratie“

Populismus stelle immer auch eine „Gefahr für die Demokratie“ dar, zeigten sich Fachleute auf dem Kongress überzeugt. Schließlich basiere Demokratie immer auf der Basis von Pluralismus – komme es zu einer Polarisierung, in der Kompromisse und Andersdenkende ausgeschlossen werden, entstehe eine „illiberale Demokratie“, erklärt Heinisch. Was passiere, wenn Populisten eine sehr große Macht erreichen, lasse sich derzeit eindrücklich in Ungarn beobachten, so Heinisch und fügt hinzu: „Die Gefahr ist real.“

Viktor Orban
AP/Laszlo Balogh
Ungarn mit Machthaber Viktor Orban gilt in Europa als Paradebeispiel des Populismus. Fachleute bezeichnen das Land bereits als autoritären Staat.

Expertin: EU muss „klare Kante“ zeigen

Ähnlich äußert sich Pornschlegel: „Es geht uns alle an. Ungarn und Polen führen in der EU dazu, dass viele Politikbereiche stagnieren, weil sich die beiden Länder immer dagegenstellen.“

Die EU müsse hier eine „klare Kante“ zeigen: „Die EU muss sich eine Strategie überlegen, wie sie mit diesen Ländern umgeht, die nicht mehr im Club der Demokratien sind.“ Notfalls müsse die EU auch finanzielle Sanktionen durchsetzen, etwa die Zurückhaltung der CoV-Hilfsgelder. Im Fall von Polen wären das rund 36 Milliarden Euro.