Politologe Peter Filzmaier
ORF/Hans Leitner
Filzmaier

„Bitte um Entschuldigung“ der Politik nötig

Es ist bereits die vierte CoV-Welle, die Österreichs Gesundheitssystem nun gefährlich unter Druck bringt. Die heimische Politik hat monatelang Expertenwarnungen vor genau diesem Schreckensszenario überwiegend ignoriert. Zusätzlich zu schärferen Maßnahmen braucht es für den Politologen Peter Filzmaier jetzt vor allem eines: „eine Bitte um Entschuldigung der Politik für Fehlentscheidungen und Versäumnisse“.

Filzmaier sagte am Donnerstag im Interview mit ORF.at, es gehe jetzt – abseits aller Enttäuschung und Empörung über das (Nicht-)Handeln der Politik – darum, die CoV-Welle einzudämmen. Damit die wohl unausweichlichen und auch für Geimpfte geltenden neuen Maßnahmen bis hin zu einem österreichweiten Lockdown aber ihre Wirkung entfalten können, brauche es das Vertrauen in die Politik, die diese Entscheidung treffe. Denn ein Lockdown, der missachtet werde, weil niemand auf die Politik hört, bringe nichts.

Daher brauche es spätestens am Freitag bei der Pressekonferenz nach den Beratungen von Bundesregierung und Ländern eine „Bitte um Entschuldigung für vergangene Fehlentscheidungen und Versäumnisse“ in der Pandemiebekämpfung. Nur durch ein solch ehrliches Eingeständnis und das Aussetzen jeder Form parteistrategischen Denkens könne der für die Kommunikation nötige Respekt wiederhergestellt werden. Filzmaier sieht hier Bund wie Länder und alle Parteien, insbesondere auch die FPÖ, gefordert.

„Unglaublicher Druck“ auf Politik

Filzmaier wies zugleich explizit auf den „unglaublichen Druck“ hin, dem politische Entscheidungsträger in Bund und Ländern ausgesetzt seien. Niemand wünsche sich wohl einen derartigen Verantwortungs-, Handlungs- und Entscheidungsdruck, wie ihn die Politik derzeit erlebe. Wenn es das ehrliche Fehlereingeständnis und die Bitte um Entschuldigung gebe, sollten Medien und Öffentlichkeit der Politik ihrerseits den nötigen Respekt und das Vertrauen einräumen.

„Neudefinition des Verhältnisses zu Experten“

Für die öffentliche Kommunikation hält es Filzmaier zudem für unerlässlich, dass die Politik ihr Verhältnis zu den Expertinnen und Experten in der Pandemie „neu definiert“. Zu Beginn der Pandemie seien diese gar nicht eingebunden worden, später manchmal ja, manchmal nein, und zuletzt seien die Fachleute auch noch – Stichwort: „Witzeleien“ des Salzburger Landeshauptmanns Wilfried Haslauer (ÖVP) über Virologen – diskreditiert worden. Es brauche ein fixes Modell, wie – und in welcher Zusammensetzung – politische Entscheidungen in der Pandemie in Pressekonferenzen mitgeteilt werden. Es sei zumindest nötig, dass Fachleute „mit kommunizieren“.

Drittens warnte Filzmaier vor Vergleichen – mit anderen Staaten oder zwischen verschiedenen Bundesländern. Darin sei es in der Vergangenheit allzu oft darum gegangen, sich selbst besser darzustellen, indem man auf andere verwies, die tatsächlich oder vermeintlich schlechter dastanden. Das vertiefe nur die Gräben weiter und erschwere politische Einigungen. Vergleiche würden ausschließlich dann Sinn ergeben, wenn sie konstruktiv sind, sprich: Wenn damit auf Positivbeispiele verwiesen wird mit dem Ziel, was man von diesem oder jenem gerade besser dastehenden Land für die Pandemiebekämpfung lernen kann.

Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) habe eigentlich die beste Chance für eine Neuaufstellung nach dem Abgang seines Amtsvorgängers, ÖVP-Chef Sebastian Kurz, verpasst. Anstatt die Pandemiepolitik neu auszurichten, habe er sich „in eine Linie mit Kurz gestellt“, der im Sommer die Pandemie für Geimpfte für beendet erklärt hatte. Schallenberg schließt – unter Verweis auf die von Kurz vorgegebene Linie – bis dato einen Lockdown für Geimpfte aus, wie er aber nun zumindest für Salzburg und Oberösterreich kommt.

„Nicht die nächste Erlösung ankündigen“

Immer wieder habe es Prognosen der Bundesregierung und der Länder gegeben („Licht am Ende des Tunnels“, „Pandemie für Geimpfte vorbei“ u. Ä.), die sich stets als falsch erwiesen hätten – zuletzt etwa vom Wiener SPÖ-Gesundheitsstadtrat Peter Hacker. Es werde immer wieder mit „Illusionsbildern“ gearbeitet, „die enttäuscht werden müssen“.

Auch wenn sie in der gut gemeinten Absicht, Hoffnung zu geben, geäußert würden, sei der Schaden – Vertrauensverlust bei Nichteintreten – einfach zu hoch, so Filzmaier. Die Politik müsse klar sagen, worum es geht, nämlich den Schaden zu begrenzen, und dürfe „nicht die nächste Erlösung ankündigen“.